Seit 1974 gibt es ihn – den Mutter-Kind-Pass. Der kleine gelbe, unscheinbare Pass legte eine Karriere sondergleichen in der österreichischen Gesundheitspolitik hin. Nachdem die Ärztekammern in zumindest vier Bundesländern im nächsten Jahr aus den Mutter-Kind-Pass auszusteigen drohen, weil die Honorare seit 28 Jahren nicht mehr angepasst wurden, hat die Regierung – für erst 2024 – einen neuen, digitalen Eltern-Kind-Pass mit ausgeweiteten Leistungen angekündigt. Vieles bleibt im Unklaren – darunter die Anpassung der Honorare, die die zentrale Forderung der Ärztekammer darstellt. Die von der Regierung betriebene Ankündigungspolitik geht zu Lasten von vielen verunsicherten Eltern und Frauen. Es braucht daher mehr finanzielle Mittel und einen Personalausbau in der Beratung.
Kleiner Pass mit großer Wirkung Eingeführt wurde der Mutter-Kind-Pass (MKP) mit dem Ziel, die – verglichen mit anderen westeuropäischen Ländern – hohe Säuglingssterblichkeit in Österreich zu reduzieren. Und das gelang: Während vor Einführung des Passes 1973 noch 24,8 Säuglinge bei 1.000 Geburten vor oder innerhalb einer Woche nach der Geburt starben, waren es 1979 „nur“ mehr 14,2 – heute sind es „nur“ noch 5,4. Gleichzeitig reduzierte die Maßnahme auch die Sterblichkeit der Mütter massiv, sodass 2020 „nur“ mehr 2,4 Mütter pro 100.000 Lebendgeburten während der Schwangerschaft oder binnen 42 Tagen nach Beendigung der Schwangerschaft starben – 1946 waren es noch 328 Mütter. Nun steht sein Ende fest: Aus dem „Mutter-Kind-Pass“ wird der „Eltern-Kind-Pass“ (EKP).
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Der Eltern-Kind-Pass. Ein Etiketten-Schwindel? Der für 2024 angekündigte „Eltern-Kind-Pass“ soll neben Ausweitungen medizinischer Leistungen und der Digitalisierung des Passes auch Beratungsgespräche mit beiden Elternteilen beinhalten. In der Beratung sollen Themen wie Karenzmodelle, der Papamonat oder Pensionssplittung besprochen werden. Die Intention, Väter stärker miteinzubinden, ist zu begrüßen. Jedoch lösen diese Beratungsgespräche die grundlegenden Probleme nicht: Die Karenzmodelle bieten nach wie vor zu wenig Anreiz für eine partnerschaftliche Aufteilung und überfordern aufgrund der unzähligen Varianten. Das AK-Wiedereinstiegsmonitoring zeigt, dass Väter weitaus seltener in Kinderauszeit gehen und wenn, dann nur sehr kurz. Hier müsste reformiert werden in Richtung des nordischen Modells , um auch echte Anreize für eine Aufteilung auf Augenhöhe zu schaffen. Beratungen zum Pensionssplitting , das ohnehin verpflichtend werden soll, sind schön und gut, lösen aber die Altersarmut von Frauen nicht – da es sich nur um innerfamiliäre Umverteilung handelt und die strukturellen Ursachen des hohen Altersarmutsrisiko von Frauen ignoriert. Zu bedenken ist außerdem, dass bei den im EKP angekündigten Elterngesprächen auf die bereits 400 bestehenden Beratungsstellen zurückgegriffen werden soll: Es besteht also eine doppelte Gefahr. Einerseits, dass es ohne ordentliche personelle und finanzielle Aufstockung zur Überforderung der Stellen kommt. Andererseits besteht das Risiko, dass es sich beim EKP um einen Etikettenschwindel handelt, auf dem zwar Gleichstellung oben steht, aber nicht drinnen ist!
Finanzierung völlig unklar Bisher wurden die Leistungen des MKPs zu zwei Drittel aus dem Familienlastenausgleichsfonds (FLAF ) finanziert und zu einem Drittel durch die Sozialversicherung. Zu erwähnen ist, dass die MKP-Untersuchungen nur einen geringen Anteil im FLAF ausmachen. Eine Untersuchung des IHS zeigt, dass im Zeitraum von 1974 bis 2010 der Anteil der MKP-Untersuchungen jährlich im Schnitt nur 0,76 Prozent der FLAF-Gesamtauszahlungen betrug. Problematisch ist allerdings, dass in den vergangenen Jahren mit den Dienstgeber-Beiträgen – also wichtigen Sozialstaatsbeiträgen – die wesentlichen Einnahmen des FLAFs reduziert wurden. Unter dem Deckmantel der „Anti-Teuerungspakete“ wird der Dienstgeber-Beitrag bereits 2023 weiter gesenkt : Diese Maßnahme schenkt den Unternehmern/-innen im Zeitraum 2023 bis 2026 bis zu 1,5 Mrd. Euro – wichtige Einnahmen, die folglich bei der Finanzierung wichtiger Leistungen für Familien fehlen. Um die nun angekündigten Leistungen im Eltern-Kind-Pass und die regulären FLAF-Ausgaben – aber auch die kürzlich beschlossene Valorisierung von Familienleistungen ab 2023 – aus dem FLAF stemmen zu können, ist ein fairer Beitrag der Dienstgeber/-innen zwingend notwendig. Denn angekündigt wurde, dass an der bisherigen Aufteilung der Finanzierung beim EKP festgehalten wird. Die Ausweitung der Leistungen und Honoraranpassungen der Ärzte/-innen finden sich allerdings nicht im von der Regierung vorgelegten Voranschlag!
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Honorarfrage ist nicht gelöst – kostenpflichtige Untersuchungen nach wie vor im Raum Nach wie vor ist die Kernforderung der Ärztekammer, nämlich die Honoraranpassung, unbeantwortet. Und das führt zu Verunsicherungen, etwa hinsichtlich des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld, das an verpflichtende Untersuchungen geknüpft ist. Wenn diese Untersuchungsnachweise nicht rechtzeitig vorgewiesen werden, wird das Kinderbetreuungsgeld um 1.300 Euro pro Elternteil reduziert. Insbesondere träfe es Familien mit niedrigen Einkommen und Alleinerziehende, wenn die MKP-Untersuchungen im kommenden Jahr 2023, vor Umsetzung des EKP, keine Kassenleistung mehr wären und diese aus eigener Tasche beglichen werden müssten – das ist ein weiterer Schritt in Richtung der Verfestigung der zwei Klassen-Medizin auf Kosten der Schwächsten. Die Ärztekammer hat, auch nachdem die Regierung den EKP vorgestellt hat, nochmal die Aufkündigung der Verträge bekräftigt: „Wenn die Tariffrage nicht fair und leistungsgerecht gelöst wird, dann werden die beschlossenen Kündigungen schlagend werden“.
Ankündigungspolitik gibt keine Sicherheit! Die MKP-Untersuchungen sind wichtige medizinische Leistungen. Eine Modernisierung hin zum digitalen EKP ist zu begrüßen und längst fällig. Zu beachten ist allerdings, dass es zusätzliche gleichstellungsfördernde Maßnahmen braucht, damit die angekündigten Maßnahmen nicht ein reiner Etikettenschwindel werden. Neben einem Leistungsausbau müssen auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und neben finanziellen auch mehr personelle in den Beratungszentren. Die Ausweitung der Leistung schreit also nach der dringenden Rücknahme der Senkung der Dienstgeber-Beiträge. Letztlich muss verhindert werden, dass Eltern, und vor allem Frauen, die verspätete Ankündigungspolitik ausbaden müssen – etwa, wenn keine rechtzeitige Einigung mit der Ärztekammer erzielt wird und Eltern somit 2023 die Kosten selber tragen müssten!
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