Die Zukunft der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung

21. Mai 2021

Am 21. April 2021 hat die EU-Kommission Vorschläge für neue Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung veröffentlicht: Mit den Bestimmungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) soll die bisher geltende nichtfinanzielle Berichtspflicht für europäische Unternehmen im Hinblick auf Anwendungsbereich, Umfang und Verankerung in der Corporate Governance deutlich erweitert werden. Das ist höchst an der Zeit, denn die Defizite in der gegenwärtigen Berichterstattungspraxis sind evident. In den nächsten Monaten werden die Weichen für die Zukunft der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung gestellt, deren Kern eine vollständige und geprüfte Umwelt- und Sozialbilanz sein muss – die zugleich näher an die Finanzberichterstattung rückt.

Die nichtfinanzielle Berichterstattung als erster Schritt …

Ein Blick zurück: Seit 2017 sind gemäß NFI-Richtlinie rund 8.000 bestimmte europäische Unternehmen in der Pflicht, eine nichtfinanzielle Berichterstattung zu den Belangen Umwelt, Soziales, ArbeitnehmerInnen, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption und Bestechung vorzulegen – mit dem Ziel, die Nachhaltigkeitsleistung der Unternehmen in ihrer Gesamtheit darzustellen. Die berichtsrelevanten Themen sind allerdings im Rahmen einer sogenannten „Wesentlichkeitsanalyse“ vom jeweiligen Unternehmen selbst zu identifizieren. Die Berichtslegung ist kaum standardisiert, vielmehr können eine Vielzahl an (internationalen) Rahmenwerken angewendet werden, wie die Berichtsstandards der Global Reporting Initiative (GRI). Für die Qualitätssicherung der eigenen Rechenschaftspflichten ist allerdings einzig das Unternehmen selbst – und dort primär der Aufsichtsrat – verantwortlich, da eine verpflichtende externe Prüfung z. B. durch die AbschlussprüferInnen nicht vorgesehen ist.

… der großen legistischen Aufholbedarf nach sich gezogen hat

Die Vorgaben der NFI-Richtlinie sind in Österreich mit dem Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) in Kraft getreten: Diese Umsetzung erfolgte jedoch wenig ambitioniert und mit vielen rechtlichen Unschärfen, wie u. a. eine AK-Erhebung aus 2019 zeigte. Vergleichbarkeit, Vollständigkeit und Verlässlichkeit der zur Verfügung gestellten Informationen werden bis heute – von vielen Stakeholdern – als unzureichend empfunden. Kritisiert wird neben der inhaltlichen Umsetzung vor allem der kleine Kreis der Anwender: Es dürften weniger als 90 Unternehmen unter die eng abgesteckte Berichtspflicht fallen. Ähnliche Befunde und Problemfelder wurden auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten ausgemacht: So zeigen EU-Konsultationen der letzten Jahre auf, dass der europäische Normenrahmen für die nichtfinanzielle Berichterstattung als jener Teil des Bilanzrechts erachtet wird, in dem der dringlichste Reformbedarf vorliegt.

Auf den Weg gebracht: neue „europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung“

Aus diesem Grund hat sich die EU-Kommission vorgenommen, zu einer Verbesserung beizutragen: Bereits der „Green New Deal“ enthielt 2019 die Zielsetzung, einen neuen EU-Richtlinienvorschlag für die nichtfinanzielle Berichterstattung zu erarbeiten. Und nach einer weiteren Konsultation stand die zweite Jahreshälfte 2020 ganz im Zeichen des mittlerweile vorliegenden Entwurfs: des – bis Anfang Juni zu konsultierenden – Vorschlags für eine neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Inhaltlich stellen die vorgeschlagenen neuen Vorgaben einen großen Schritt nach vorne dar. Sowohl die Zahl der Unternehmen und Konzerne, die zukünftig berichtspflichtig sein sollen, als auch die Berichtspflichten selbst werden maßgeblich erweitert. Dabei lässt sich als Hauptmotiv erkennen, dass die finanzielle und nichtfinanzielle Berichterstattung weitgehend auf Augenhöhe in puncto Anforderungen verankert werden sollen. Dass die EU-Kommission im Richtlinienentwurf eine Umbenennung von „nichtfinanzieller“ zu „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ vorsieht, ist nicht nur von hoher symbolischer Bedeutung: Einerseits soll durch den Entfall der Negation der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen betont werden, andererseits soll der erweiterte Umfang der Sachverhalte, über die zu berichten ist, zum Ausdruck gebracht werden. Die nachfolgende Grafik fasst die wichtigsten Änderungen des Kommissionsvorschlags zur CSRD zusammen:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Ambitionierte Ziele

Vieles an den inhaltlichen Vorschlägen der geplanten neuen europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung ist zu begrüßen – nicht zuletzt der ambitionierte Zeitplan, den die EU-Kommission verfolgt: Bereits für Geschäftsjahre, die ab dem 1. Jänner 2023 beginnen, sollen die neuen Berichtspflichten beachtet werden. Sie bringen allen Seiten einen großen Nutzen: Der Kommissionsvorschlag stellt konkretere Berichtsvorgaben in Aussicht, die die Ansprüche der Stakeholder besser erfüllen können – und gleichzeitig den berichtspflichtigen Unternehmen selbst verbesserte Rechtssicherheit in der Anwendung geben. Zudem werden legistische Lücken geschlossen: durch den erweiterten Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen zum gestiegenen Informationsbedarf im Finanzsektor (als Folge der Offenlegungs-VO) sowie durch die neuen Angabepflichten zur Taxonomie-VO. Dass darüber hinaus Vorstand und Aufsichtsrat weiter in die Pflicht genommen werden, sich mit der Nachhaltigkeitsleistung ihrer Unternehmen zu befassen, erscheint ebenfalls von hoher Relevanz, um zahlreiche Probleme der bisherigen Praxis effektiv zu adressieren.

Raum für weitere Verbesserungen

Vage bleiben hingegen Vorgaben wie jene zur Berichterstattung über die bisher noch nicht bilanzierten „immateriellen Ressourcen“, z. B. in Form einer erweiterten – aber inhaltlich noch weitgehend unklaren – Berichterstattung über die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Unternehmen. Eine Bestimmung, die sehr weit interpretiert ist und damit Zündstoff enthalten könnte. Nicht alle Neuregelungen fügen sich darüber hinaus zu einem konsistenten Ganzen (z. B. „doppelter Wesentlichkeitsgrundsatz“ und das Ende des Wahlrechts zur Erstellung eines gesonderten Berichtes). Zu kurz greift außerdem, dass eine – von der AK geforderte – externe Prüfpflicht vorerst lediglich auf Basis einer „limited assurance“ vorgesehen ist, hier braucht es eine Prüfung auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung („reasonable assurance“). Immerhin wurde jedoch vonseiten der EU-Kommission aufgegriffen, dass eine (Weiter-)Qualifizierung der Prüfungsdienstleister unumgänglich ist. Zudem beinhaltet der Vorschlag, dass es eine Öffnung für andere Prüfstellen, die Nachhaltigkeitsexpertise aufweisen, braucht – sprich: zertifizierte ExpertInnen aus dem Nachhaltigkeitsbereich.

Europäischer Sonderweg

Besonderer Diskussionsbedarf besteht in puncto Entwicklung der geplanten „europäischen Standards“ für die neuen Nachhaltigkeitsberichte. Für die Konzeption hat die EU-Kommission schon im Sommer 2020 die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beauftragt. Diese EU-weit einheitliche Berichtsvorgaben sind in der Struktur stark an etablierte Rahmenwerke wie etwa jene der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) angelehnt. Dieser europäische Sonderweg in der Standardisierung, der mit dem Kommissionsvorschlag beschritten werden soll, ist ambivalent zu beurteilen: Einerseits wird so den Spezifika des europäischen Gesamtnormenrahmens Rechnung getragen und die vielfältigen (Berichts-)Pflichten können besser aufeinander abgestimmt werden. Andererseits wurde immer wieder vonseiten der Wirtschaft gefordert, eine Anbindung an internationale Rahmenwerke sicherzustellen, da sich Wirtschaftsaktivitäten auf globaler Ebene entfalten und damit auch internationale Stakeholder adressieren. Zudem ist auf die Zusammensetzung der Gremien zu achten, die für die Entwicklung dieser Standards verantwortlich zeichnen, gleich wie auf den laufenden Dialog mit den relevanten Stakeholdern. Zu beiden Gruppen zählen Beschäftigte und ArbeitnehmervertreterInnen.

Ausblick

Ab dem Herbst dürften die politischen Verhandlungen beginnen, an deren Ende bis zur Jahresmitte 2022 die endgültige Fassung der neuen Berichtsvorgaben stehen soll. Der vorliegende Kommissionsvorschlag ist zwar ambitioniert, doch das war gleichermaßen für die „ursprüngliche“ CSR-Richtlinie der Fall. Daher gilt jetzt: Dieser erste „gute Wurf“ darf nicht verwässert, sondern muss vielmehr präzisiert werden – ganz im Sinne der berichtenden Unternehmen, die mit großen Herausforderungen konfrontiert sind. Dabei sollten insbesondere wichtige Grundsatzfragen offen und transparent diskutiert werden (z. B. zum geplanten europäischen Sonderweg oder zu potenziell überschießenden Anwendungspflichten im Bereich der Genossenschaftsbanken bzw. Sparkassen). Jüngere Regulierungen wie etwa zur Taxonomie-VO haben gezeigt, dass die EU-Kommission mittlerweile beharrlich ihre hohen Ansprüche durchzusetzen weiß. Das gibt Grund zur Hoffnung – auch das politische Klima in früher traditionell eher „bremsenden“ Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Österreich hat sich etwas gewandelt. Zudem spricht dafür, dass vieles aus dem gegenwärtigen Kommissionsvorschlag Eingang ins zukünftige europäische Bilanzrecht finden wird, dass die Verabschiedung der endgültigen Fassung der Richtlinie in die EU-Ratspräsidentschaft von Frankreich fällt, das traditionell zu den Befürwortern einer strengen Regulierung von Unternehmen zählt.

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