COVID-19 hinterlässt tiefe Spuren in der Realwirtschaft und gefährdet eine nicht abzuschätzende Zahl von Arbeitsplätzen. Die Mitgliedstaaten greifen tief in die nationalen Fördertaschen, allen voran Deutschland: 3 Milliarden Euro staatsgarantiertes Darlehen für Adidas, 1,8 Milliarden für TUI sowie ein Rettungspaket für Lufthansa über 9 Milliarden Euro. Diese Beihilfenkaskade wurde möglich, weil die EU-Kommission als Antwort auf die Krise vorübergehend die Beihilfenregelungen lockerte. Ein Aussetzen der Beihilfenkontrolle auf Dauer bedroht jedoch den europäischen Zusammenhalt.
Großzügige Subventionen in EU-Staaten
Auch in anderen Mitgliedstaaten werden Großunternehmen staatlich gestützt: Bei den Fluglinien zum Beispiel erhielt KLM von der niederländischen Regierung eine Subventionszusage von € 2 bis 4 Milliarden, Air France von der französischen Regierung eine in Höhe von € 7 Milliarden. Spanien schnürte ein Rettungspaket im Umfang von € 1 Milliarde für Vueling und IAG, für Alitalia steht im Rahmen der geplanten Wiederverstaatlichung ein € 3 Milliarden-schweres Subventionspaket zur Diskussion. Aber auch Unternehmen im Industriesektor wanken: Der französische Finanzminister ließ durchblicken, dass Renault die Krise ohne staatliche Beihilfen nicht überleben könne. Eine staatliche Unterstützung in Höhe von € 5 Milliarden ist im Gespräch.
In der Krise wird der Ruf nach staatlicher Unterstützung wieder laut. Millionen Arbeitsplätze in allen Sektoren, von der produzierenden Industrie über Dienstleistungen, wie vor allem auch Tourismus und Kultur, sind gefährdet. Allein in Deutschland sind 7 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit.
Ein Déjà-vu: War vor und nach der Finanzkrise 2008 der Staat als Hemmschuh für unternehmerische Tätigkeiten definiert, soll er sich plötzlich zum Retter des Unternehmertums aufschwingen und die Verluste übernehmen.
Lockerung des EU-Beihilfenverbots
Mit Ausbruch der COVID-19 Krise setzte die EU-Kommission im März 2020 zur raschen Ermöglichung von Rettungsmaßnahmen zugunsten der Realwirtschaft das Beihilfenverbot des Art. 107 AEUV vorübergehend aus. In ihrer Mitteilung über einen befristeten Rahmen zur Stützung der Wirtschaft stellt sie für verschiedene Unterstützungsinstrumente ein beschleunigtes Verfahren zur Verfügung: Danach sind direkte Zuschüsse bis € 800.000, vergünstigte staatliche Garantien für Bankdarlehen, öffentliche und private Darlehen mit vergünstigten Zinssätzen, Maßnahmen zur Steuerstundung, Aussetzung der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnzuschüsse für ArbeitnehmerInnen sowie staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen für Unternehmen zulässig. Zwar sieht die Kommission unter dem Titel „Transparenz“ vor, dass die Mitgliedstaaten berichten, inwieweit die erhaltenen Beihilfen Tätigkeiten unterstützen, die im Einklang mit den EU-Zielen hinsichtlich des ökologischen und digitalen Wandels stehen. Das ist aber nicht mehr als eine freiwillige Selbstverpflichtung. Unter dem Titel „Governance“ wird klargestellt, dass AktionärInnen keine Dividenden erhalten dürfen, solange die staatliche Beteiligung besteht. Bonuszahlungen für das Management sind allerdings erst ab einer Beteiligung von mindestens 75% verboten.
Trotz dieser europäischen Milde forderte der österreichische Finanzminister ein vorübergehendes völliges Aussetzen des EU-Beihilfenregimes: „Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir mit österreichischem Steuergeld andere Länder unterstützen und dafür im Gegenzug ein Verbot bekommen, unsere eigenen Unternehmen mit unserem eigenen Steuergeld zu unterstützen.“
Inzwischen kommt immer klarer zutage, dass durch die Lockerung des Beihilfenregimes wirtschaftliche Ungleichheiten im Binnenmarkt auf die Dauer verstärkt werden: Mitgliedstaaten mit budgetärem Notstand können in einem solchen Beihilfenwettbewerb nicht mithalten. Sie werden aus der Krise noch geschwächter hervorgehen, ihre Unternehmen werden aus dem Markt gedrängt oder übernommen werden, während auf europäischer Ebene ein adäquater Ausgleichsmechanismus fehlt, der diese ökonomischen Ungleichheiten abfedern könnte.
Im Ergebnis verstärken die Beihilfenausnahmen wirtschaftliche Ungleichheiten, die das EU-Beihilfenverbot gerade vermeiden sollte. Selbst Präsident Macron gab zu, dass diese Art des Subventionswettbewerbs faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt unterminiert.
Statt Bruderkrieg der Mitgliedstaaten…
Inzwischen belaufen sich die mitgliedstaatlichen Beihilfen, die von der EU-Kommission genehmigt wurden, auf rund € 1,5 Billionen. Insgesamt hat die EU-Kommission seit Ausbruch der Krise über 200 Beihilfeentscheidungen zu nationalen Maßnahmen in allen EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich getroffen (Stand 9. Juli 2020).