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Deutschland – Klima-Katastrophe führt zum Stimmungswechsel
Begonnen hat der Wahlreigen jedoch bereits im Herbst 2021 mit den Bundestagswahlen in Deutschland. Wahlkampfthemen waren wenig überraschend die Covid-19-Pandemie, Wirtschaftsfragen, soziale und arbeitsrechtliche Aspekte und der Umweltbereich. Lange Zeit sah die CDU/CSU mit Spitzenkandidat Armin Laschet als der sichere Sieger aus, während die SPD mit Olaf Scholz dahinterlag. Dann änderte eine Katastrophe alles: Im Ahrtal in Rheinland-Pfalz kam es binnen kürzester Zeit durch Starkregen zu schweren Überflutungen, die in Rheinland-Pfalz sowie im benachbarten Nordrhein-Westfalen zum Tod von fast 200 Menschen und gewaltigen Schäden führten. Eine Folge der zunehmenden Wetterextreme im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe.
Ein völlig misslungener Fernsehauftritt von Armin Laschet, bei dem der CDU-Kandidat lachend und albernd im Hintergrund agierte, während der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Traueransprache an einem der zerstörten Orte hielt, bekam geballte Aufmerksamkeit. Ein absolutes No-Go, das keinem anderen Mitbewerber passierte.
Von den immer sichtbarer werdenden Folgen der Klimakatastrophe profitierten bei den Bundestagswahlen schließlich vor allem die Grünen. Sie erreichten 14,8 Prozent, damit 5,9 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Der Zuwachs von 5,2 Prozentpunkten auf 25,7 Prozent für die SPD und die 11,5 Prozent für die FDP reichten, um eine Regenbogenkoalition zu bilden. CDU/CSU hingegen stürzten um 8,8 Prozentpunkte auf 24,1 Prozent ab und gingen damit in Opposition.
Die eigentlich im Wahlprogramm verankerten Themen im Wirtschafts- und Sozialbereich sowie die Diskussion über die Covid-Pandemie traten durch die Klimafragen ein deutliches Stück in den Hintergrund.
Frankreich: Macron büßt Unterstützung ein
Am 24. April 2022 waren alle Augen auf Frankreich gerichtet: An diesem Tag fand die Stichwahl um das Präsident:innenamt zwischen dem liberalen Emmanuel Macron und der rechten Marine Le Pen statt. Der Gewinner war schließlich Macron mit einem Stimmenanteil von 58,5 Prozent. Das klingt zwar nach einem deutlichen Sieg, richtige Begeisterung bei den Wähler:innen sieht aber anders aus. Viele gaben ihre Stimme nur deswegen für Macron ab, um die rechte Kandidatin Le Pen zu verhindern.
Bei den Parlamentswahlen, die im Juni 2022 folgten, wurde deutlich: Die Franzosen und Französinnen wünschen sich eine andere Politik. Macron erhielt mit seiner Partei „En Marche!“ 245 Sitze und verfehlte damit die absolute Mehrheit (289 Sitze) deutlich. Das linke Wahlbündnis NUPES, angeführt von Jean-Luc Mélenchons Liste „La France insoumise“, lieferte ein außerordentlich starkes Ergebnis ab und erreichte 131 von 577 Sitzen. Stark schnitt jedoch auch die Rechtsaußen-Fraktion Rassemblement National unter Marine Le Pen ab. Im französischen Parlament haben sie die Anzahl ihrer Sitze verzehnfacht – auf 88 Mandate.
Macron: verfehlte Sozialpolitik, Klimakrise, Inflation
Wie kam es zu dem Stimmungswechsel gegenüber den letzten Wahlen? Emmanuel Macron weckte bei den Wähler:innen 2017 noch große Hoffnungen: Macron stellte sich als glühender Europäer vor, der dafür eintritt, dass die Starken den Schwachen helfen und Flüchtlinge aufgenommen werden.
Tatsächlich agierte Macron in den letzten Jahren jedoch vor allem wirtschaftsliberal: Die Kosten für Unternehmen wurden gesenkt, die Vermögenssteuer gestrichen und öffentliche Unternehmen wie der Energiekonzern EDF privatisiert. Einen Kahlschlag gab es in der Sozialpolitik: Der Kündigungsschutz wurde massiv aufgeweicht, das Wohngeld für Geringverdiener:innen gekürzt und eine umstrittene Rentenreform umgesetzt. Die Bedingungen, unter denen Arbeitslosengeld bezogen werden kann, wurden zudem verschärft.
Als Macron 2018 ankündigte, der Klimakrise über eine höhere Besteuerung fossiler Kraftstoffe entgegenzusteuern, die erneut vor allem die ärmeren Haushalte trifft, hatten viele Französ:innen genug. Über die sozialen Medien organisiert, fanden sich ab Ende 2018 immer mehr Leute bei den Gelbwesten-Protesten ein. Die Demos fokussierten sich jedoch schon bald auf soziale Aspekte wie die Anhebung von Mindestlöhnen und Pensionen.
Jean-Luc Mélenchon, Spitzenkandidat der Partei La France insoumise, hat sich hingegen schon beim letzten Wahlkampf zum Staatspräsidentenamt 2017 für eine starke Sozialpolitik eingesetzt. Seine Forderungen umfassen unter anderem die Einführung der 32-Stunden-Woche, eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Beschäftigungsgarantie für Langzeitarbeitslose, die Begrenzung von Energie- und Lebensmittelpreisen und die Rente ab 60. Mélenchons Programm umfasst auch aktiven Umwelt- und Klimaschutz: Seine Partei fordert u. a. eine Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent und eine Umstellung auf ökologische Landwirtschaft.
Die klare Positionierung Mélenchons brachte ihm bei den Wahlen zum Staatspräsidenten 22 Prozent, womit er nur knapp hinter der Zweitplatzierten Marine Le Pen lag. Noch besser ging es für Mélenchon bei den Parlamentswahlen im Juni diesen Jahres: Hier errang er mit dem Bündnis NUPES (eine Koalition aus Linksparteien) den zweiten Platz.
Mit einem gemäßigten Wahlkampf war auch die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) unter Führung von Marine Le Pen erfolgreich. Sie forderte im Wahlkampf vor allem Maßnahmen gegen die Inflation. Bereits im April gaben 83 Prozent der Französ:innen an, dass Maßnahmen gegen die Teuerung für sie wahlentscheidend sind. Le Pen kam in die Stichwahl um das Staatspräsidentenamt, die sie jedoch klar verlor. Bei der Parlamentswahl erreichten die Rechtsextremen jedoch 89 Sitze, was einer Verzehnfachung der Mandate gegenüber der letzten Legislaturperiode entspricht.
Der Wahlkampf in Frankreich war damit von drei Krisen gekennzeichnet, die einen starken Einfluss auf das Ergebnis der Wahlen hatten. Macron hat in seiner ersten Amtszeit die soziale Krise durch Reformen in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik befeuert und gleichzeitig eine gründlich missglückte Klimapolitik betrieben, die für einkommensschwächere Haushalte besonders negative Auswirkungen hatte. Die Inflation tat ein Übriges, um die Stimmung der Bevölkerung zu einem Tiefpunkt zu bringen.
Slowenien: Ende des Rechtspopulismus, neue Regierung mit sozial-ökologischen Zielen
Mit Hochspannung erwartet wurden auch die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Slowenien und Ungarn im April dieses Jahres. Beide Länder waren bislang von rechtspopulistischen Premierministern geführt worden.
An der Spitze in Slowenien stand Janez Janša, der immer wieder durch Attacken gegen die Behörden der Europäischen Union auffiel. Im Vorfeld hatte die Europäische Kommission große Sorgen unter anderem zur Medienfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz geäußert. Deswegen drohte Slowenien auch ein EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren, welches in letzter Konsequenz zur Blockade von Mitteln aus dem EU-Wiederaufbaufonds führen könnte.
Bei den Wahlen wurde Janša jedoch klar abgewählt. Als Sieger ging Robert Golob hervor, der aus dem grün-liberalen Spektrum kommt. Zusammen mit Sozialdemokrat:innen und Linken bildet er nun eine Regierung. Die Koalition orientiert sich u. a. am Europäischen Grünen Deal, der Gesundheitsversorgung sowie der Generationengerechtigkeit.
Einzementierte Macht Orbáns in Ungarn
Bereits seit 2010 ist Viktor Orbán durchgehend Ungarns Premier. Zu Beginn seiner Amtszeit hat er mit Koalitionspartnern wie der rechtsextremen Jobbik mit zahlreichen „Reformen“ dafür gesorgt, dass seine Macht einzementiert wurde. Bei der Wahl zur Nationalversammlung 2022 haben sich nun die Parteien fast aller anderen Gruppierungen zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen Fidesz zu kandidieren und damit eine Ablöse von Orbán zu erreichen.
Allein: Dieser Plan war nicht von Erfolg gekrönt. Die ungarischen Medien stehen zu einem Großteil unter der direkten oder indirekten Kontrolle von Orbán-nahen Freund:innen: Während es über Orbán permanent positive Berichte gab, wurde die Parteienkoalition gegen Fidesz als Kriegstreiber dargestellt, Orbán hingegen als friedfertig. Den Widerspruch, dass Orbán ausgerechnet zu Wladimir Putin enge Beziehungen unterhält, also jenem Autokraten, der verantwortlich für den Angriffskrieg in der Ukraine ist, fiel in der ungarischen Berichterstattung großteils unter den Tisch. Unabhängige Medien informierten außerdem darüber, dass die Fidesz ein acht- bis zehnmal so hohes Wahlkampfbudget hatte wie die Koalition gegen Orbán.
Die Fidesz konnte ihr Wahlergebnis unter den oben genannten Voraussetzungen im Vergleich zur letzten Wahl noch einmal um fast 5 Prozentpunkte auf rund 54 Prozent steigern, während das Oppositionsbündnis um fast 13 Prozentpunkte auf etwa 34 Prozent abstürzte. Das bedeutet eine erneute Zweidrittelmehrheit für die Fidesz.
Nach der Wahl: Orbán verhängt Ausnahmezustand in Ungarn
Gleich bei seiner Rede zum Wahlsieg in Ungarn provozierte Premier Victor Orbán die Europäische Wertegemeinschaft erneut – so wie er es mit zahlreichen ungarischen Gesetzesinitiativen, die gegen die EU-Rechtsstaatlichkeit verstoßen, wiederholt gemacht hat. Denn Orbàn hob bei seiner Ansprache hervor, dass sein Wahlsieg auch ein Sieg über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei. Ein unfassbarer Affront. Wie sehr Orbán die Demokratie schätzt, hat er gleich mit einer seiner ersten Maßnahmen gezeigt: Noch im Mai 2022 verkündete er den Ausnahmezustand in Ungarn. Das ermöglicht ihm, mittels Dekreten zu regieren – ohne Einbindung des Parlaments.
Spätestens mit dem Beginn des Kriegs von Russland gegen die Ukraine hat sich Orbán mit seiner Politik in der EU weitgehend selbst isoliert. Der frühere Mitstreiter Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident Polens, hat sich aufgrund der fehlenden Distanzierung Ungarns gegenüber Russland von Orbán abgewandt. Durch den neuen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus (der dafür sorgen soll, dass EU-Staaten nur dann Mittel aus dem EU-Budget bekommen, wenn sie die Grundwerte der EU einhalten) fließt nun wesentlich weniger EU-Geld nach Ungarn. Aus dem EU-Konjunkturpaket hat Ungarn bislang noch keinen Cent erhalten. In den kommenden Monaten könnte es für Orbán auf der EU-politischen Bühne damit zusehends eng werden.
Krisen bestimmend für die nächsten Wahlen
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren eine Reihe schwerer Krisen durchgemacht, wie beispielsweise die Eurokrise, die Finanzkrise, die Staatsschuldenkrise, die großen Herausforderungen in der Asyl- und Migrationspolitik oder den Brexit. Viele der Krisen, mit denen die Union aber jetzt zu tun hat, werden zu dauerhaften Begleitern werden.
Im Fall der Klimakrise gehen Wissenschafter:innen mittlerweile von einem Temperaturanstieg von bis zu 3,9 Grad im Jahr 2100 aus – im Schnitt. Das heißt: In bestimmten Regionen wird die Hitze noch wesentlich stärker zunehmen. Für viele Expert:innen steht fest, dass Landesteile, sogar ganze Länder nicht mehr bewohnbar sein werden. Bisher schon bestehende soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten könnten sich, ebenfalls durch die Veränderung des Klimas, zu sozialen Unruhen ausweiten. Eng verbunden mit der drastischen Klimakrise ist auch die Gefahr von weiteren Pandemien, wie Studien zeigen.
Hinzu kommen geopolitische Krisen, die nun immer offener zutage treten. Die Folge davon können Rohstoffmangel, steigende Teuerung bis hin zu verstärkten Migrationsbewegungen sein. Geopolitische Krisen, ausgelöst insbesondere auch durch die Klimakrise, werden zum Alltag gehören.
Verstärkt zu beobachten ist weltweit eine immer größer werdende Demokratiekrise, wie eine Untersuchung zeigt. Demnach sind unter den Ländern, die eine Tendenz zu einem autoritär geführten Staat haben, auch sechs EU-Staaten.
Zwischen Klimakrise und Teuerung: Stimmenzulauf offen
Wie die Reaktionen der Entscheidungsträger:innen auf EU- und Mitgliedstaatenebene ausfallen, hängt freilich von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Bei den ersten Wahlen 2022 sind bei den Parlamentsmehrheiten bzw. bei den Staatschefs mit Ausnahme von Slowenien auf den ersten Blick kaum Änderungen im Vergleich zu 2021 zu bemerken. Ein Blick auf Frankreich und Ungarn zeigt, dass populistische Parteien die Krisen für ihre Zwecke nutzen und bei den Wahlen durchaus starke Gewinne einfahren. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass auch die Klimakrise zu einem geänderten Stimmungsbild führt, wie beispielsweise in Deutschland oder Slowenien. Massive Teuerungen bei der Energie und in der Folge bei anderen Alltagsgütern könnten einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Wähler:innen haben. In welche Richtung das Wahlpendel in nächster Zeit letztlich schwingt, lässt sich bislang noch nicht klar beantworten. Die für Herbst geplanten Wahlen in Italien könnten aber einen weiteren Fingerzeig geben, in welche Richtung Europa in der nächsten Zukunft geht.
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