Die österreichische Budgetpolitik sollte perspektivisch nicht auf einen Budgetkonsolidierungskurs durch staatliche Ausgabenkürzungen gezwungen werden. Das würde die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise gefährden, Unternehmen wie ArbeitnehmerInnen negativ treffen und die staatliche Handlungsfähigkeit einschränken. Um eine gesamtwirtschaftlich ausgewogene Ausrichtung der Budgetpolitik auch in Zukunft zu gewährleisten, braucht es jetzt eine Reform der europäischen Budgetregeln sowie der nationalen „Schuldenbremse“.
Wie weiter mit der Budgetpolitik?
Die erste Reaktion der österreichischen Regierung auf die Corona-Krise war ein großvolumiges Maßnahmenpaket zur Überbrückung der Krise und zur Stützung der Konjunktur. Die bisher zur Bekämpfung der Corona-Krise getroffenen Maßnahmen werden in diesem Jahr zu einem Rekord-Budgetdefizit von wohl mehr als zehn Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung beitragen. Auch wenn sich im Detail wichtige Kritikpunkte für mehrere Bestandteile der Corona-Maßnahmenpakete vorbringen lassen, so ist doch klar: Die negativen Folgewirkungen der Krise für Unternehmen und private Haushalte wären noch viel verheerender ausgefallen, wenn die Regierung dem Mantra der staatlichen Sparsamkeit gefolgt wäre.
Wie soll es jetzt mit der Budgetpolitik weitergehen? Der österreichische Staat sollte auch perspektivisch nicht zu einem Budgetkonsolidierungskurs durch Ausgabenkürzungen gezwungen werden. Denn dadurch geriete die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise in Gefahr.
Leider droht ein solcher budgetpolitischer Schwenk aufgrund einer scheinbar rein technischen Festlegung des verwendeten Konjunkturbereinigungsverfahrens in den bestehenden Budgetregeln. Die Vermeidung einer die Erholung blockierenden Budgetpolitik hat daher zur Voraussetzung, dass der Politik nicht durch den „Output-Lücken-Nonsens“ im Rahmen der Konjunkturbereinigung der Budgetzahlen die Hände gebunden werden. Das erfordert eine Reformierung der EU-Fiskalregeln und der nationalen „Schuldenbremse“. Darüber sollte jetzt eine öffentliche Debatte geführt werden.
Output-Lücke und strukturelles Defizit
Die Output-Lücke ist ein Konzept, das – theoretisch – Auskunft darüber gibt, wo sich eine Volkswirtschaft im Konjunkturzyklus befindet. Sie misst, wie weit das reale Bruttoinlandsprodukt über oder unter dem Produktionspotenzial liegt, das bei „Normalauslastung“ der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital erreichbar wäre. Die Output-Lücke ist der technische Kern der europäischen Budgetregeln; ihre Schätzung hat Einfluss auf den budgetpolitischen Spielraum des jeweiligen EU-Mitgliedstaates: Die mittelfristigen Budgetziele in den europäischen Budgetregeln beziehen sich auf das „strukturelle Defizit“, dessen Höhe direkt von der Output-Lücke abhängt.
Das „strukturelle Defizit“ wiederum ist – theoretisch – jener Teil des tatsächlichen Budgetdefizits, der die langfristige Schuldentragfähigkeit belastet, da es nicht auf konjunkturelle Schwankungen zurückzuführen ist. Im Kern sehen die EU-Budgetregeln ein maximales jährliches „strukturelles“ Budgetdefizit von 0,5 Prozent des BIP vor (bei einigen Ausnahmen und Zusatzbestimmungen).
Probleme mit den bestehenden Fiskalregeln
Das „strukturelle“ Defizitziel ist aufgrund des EU-Fiskalpakts von 2012 im Rahmen sogenannter „Schuldenbremsen“ auch in der nationalen Gesetzgebung zahlreicher EU-Mitgliedstaaten verankert. In Österreich ist dies seit 2012 durch die Einführung der kontrovers diskutierten und einfachgesetzlich verankerten Schuldenbremse der Fall. Seitdem begrenzt die österreichische Schuldenbremse die Kreditaufnahme des Bundes im Kern auf ein strukturelles Defizit von jährlich maximal 0,35 Prozent des BIP. Für die Bundesländer gilt sogar eine noch schärfere Regelung der strukturellen Neuverschuldung (Defizit von maximal 0,1 Prozent).
Bei einer Verletzung von Budgetzielen, die auf dem „strukturellen“ Defizit beruhen, muss die betroffene Regierung Sparmaßnahmen (das heißt Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen) ergreifen, um das überschüssige Defizit abzubauen.
Die Berechnung des „strukturellen“ Defizits wird dabei mit dem gängigen Modell der Europäischen Kommission vorgenommen, das auch für die anderen EU-Mitgliedstaaten zur Einschätzung bezüglich der Einhaltung der relevanten EU-Budgetregeln herangezogen wird. Dieses Modell ist damit ein essenzieller Bestandteil des politischen Prozesses, da es herangezogen wird, um die zentrale Frage zu beantworten: Wo liegt der „strukturelle“ Budgetsaldo tatsächlich?
„Output-Lücken-Nonsens“ in Zeiten der Corona-Krise
Das Problem mit dem Berechnungsmodell der Europäischen Kommission zeigt sich nun insbesondere darin, dass selbst in Zeiten eines ausgeprägten wirtschaftlichen Abschwungs nur relativ kleine negative Output-Lücken geschätzt werden – und damit ein geringes Maß an wirtschaftlicher Unterauslastung angezeigt wird. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „Output-Lücken-Nonsens“.
Waren in den vergangenen zehn Jahren vor allem die stärker krisengeplagten EU-Länder negativ von den Auswirkungen des „Output-Lücken-Nonsens“ betroffen,
so ist mit dem Wirtschaftseinbruch im Kontext der Corona-Krise nun auch Österreich damit konfrontiert. Im Folgenden wird eine erste Analyse der Auswirkungen des konjunkturellen Einbruchs auf die Schätzungen des Produktionspotenzials im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise vorgenommen. Dazu werden Schätzungen der Herbstprognose 2019 der Europäischen Kommission, die vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie veröffentlicht wurde, mit der Frühjahrsprognose 2020, die erste Schätzungen nach dem Ausbruch der Pandemie liefert, verglichen. Das Berechnungsmodell hat sich nicht geändert, die makroökonomischen Daten hingegen schon.
Für Österreich kommt es zu einer substanziellen Abwärtsrevision: Für das Jahr 2021 wird das Produktionspotenzial um 8,2 Milliarden Euro nach unten revidiert. Dies führt dazu, dass für das Jahr 2021 trotz der konjunkturellen Eintrübung nur eine Output-Lücke von -1,3 Prozent des BIP prognostiziert wird. Ohne die Abwärtsrevision hätte die EU-Kommission die Output-Lücke auf -3,6 Prozent geschätzt, was einer deutlich höheren Unterauslastung der österreichischen Wirtschaft entspräche.