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ISDS gefährdet die Energiewende
Die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vor privaten Schiedsgerichten (investor-state-dispute settlement, kurz ISDS) steht zunehmend in der Kritik. Das System bringt weitreichende Privilegien für Konzerne, während öffentliche Interessen untergraben werden. Wenn Staaten im Kampf gegen die Klimakrise den Ausstieg aus fossilen Energieträgern forcieren, werden bereits getätigte Investitionen zu gestrandeten Vermögenswerten („stranded assets“). Energiekonzerne und andere Investoren wollen ihre Verluste mittels ISDS-Verfahren „zurückholen“. Dies bürdet der Allgemeinheit zusätzliche Kosten bei der Bewältigung der Klimakrise auf, während Gewinne jahrzehntelang an fossile Konzerne gingen – eine Schieflage, die nicht hinnehmbar ist. Einige Staaten steigen daher nun aus dem Energiecharta-Vertrag aus. Die EU-Kommission hält hingegen an dem unzeitgemäßen Vertrag fest.
Modernisierung vorerst gescheitert
Um auf die zunehmende Kritik zu reagieren, hat die Kommission eine Modernisierung des Vertrags angestoßen. Die Verhandlungen haben jedoch keine nennenswerten Verbesserungen im Hinblick auf das schädliche ISDS-System gebracht. Das Ergebnis des Modernisierungsprozesses wurde im Juni 2022 veröffentlicht und hätte im November 2022 von der Energiecharta-Konferenz beschlossen werden sollen. Dazu kam es jedoch nicht. Im Vorfeld der Konferenz haben immer mehr EU-Staaten den Ausstieg aus dem Vertrag bekannt gegeben. Die Begründung lautete in den meisten Fällen zu Recht, dass der Energiecharta-Vertrag auch in der modernisierten Fassung nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Pariser Klimaabkommen. Die für die Modernisierung erforderliche qualifizierte Mehrheit im EU-Ministerrat (55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, 65 Prozent der EU-Bevölkerung) kam – trotz Empfehlung der EU-Kommission – nicht zustande. In weiterer Folge behandelte die Energiecharta-Konferenz das Thema Modernisierung nicht, da es für die Annahme die Einstimmigkeit aller 53 Vertragsparteien braucht.
Die Kommission sollte das Scheitern der Modernisierung als Signal zum Umdenken begreifen! Da viele EU-Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen, sollte die EU auch als Ganzes aussteigen. Die Kommission sollte einen gemeinsamen, koordinierten Ausstieg aller EU-Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag forcieren, anstatt weiter auf die Modernisierung zu drängen. In rechtlicher Hinsicht kann jeder EU-Staat für sich über den Ausstieg entscheiden, die Kommission könnte aber – und sollte – eine Dynamik in Gang setzen. Das Europäische Parlament forderte im November 2022 den gemeinsamen und koordinierten Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. NGOs fordern angesichts der Klimakrise eine generelle Abschaffung des ISDS-Systems. Bedauerlicherweise scheint die Kommission darauf nicht einzugehen. Sie plant einen neuen Anlauf zur Modernisierung: Im April 2023 findet eine Ad-hoc-Energiecharta-Konferenz statt, um die Debatte zu finalisieren.
Wie werden wir den Energiecharta-Vertrag los?
Viele EU-Staaten haben es verstanden: Der Energiecharta-Vertrag ist eine Gefahr für die Energiewende und muss beendet werden. Ein großes Problem dabei ist die im Vertrag enthaltene Fortbestandsklausel (sunset clause), die bereits getätigte Investitionen nach dem Ausstieg für 20 weitere Jahre schützt. Die Modernisierung enthält eine Regelung, die den Schutz für bereits getätigte fossile Investitionen innerhalb der EU bereits nach 10 Jahren auslaufen lässt, und zwar ab der vorläufigen Anwendung des modernisierten Vertrages. EU-Staaten, die den Klimaschutz vorantreiben wollen, könnten daher zur Annahme verleitet werden, die Modernisierung sei im Vergleich zum Ausstieg die bessere Option. Das ist jedoch nicht der Fall, denn ein weiteres Festhalten an dem Vertrag ist schädlich und dient ausschließlich den Interessen der Investoren. Die Modernisierung würde den Energiecharta-Vertrag außerdem noch weiter ausdehnen auf bestimmte erneuerbare Energieträger. Was fortschrittlich klingt, würde in Wirklichkeit das Problem noch zusätzlich verschärfen, da dies eine weitere Ausdehnung der ISDS-Verfahren bedeutet. Es sollte daher darum gehen, den Vertrag loszuwerden. Am besten wäre ein gemeinsamer, koordinierter Ausstieg aller EU-Staaten.
Die problematische Fortbestandsklausel kann in Bezug auf EU-interne Investitionen eliminiert werden, indem die „willigen“ EU-Staaten eine entsprechende Vereinbarung treffen. Die Kommission hat mit den Vorbereitungsarbeiten bereits begonnen, was sehr zu begrüßen ist. Die Kommission hält zwar am Energiecharta-Vertrag fest, arbeitet erfreulicherweise aber zumindest daran, ISDS innerhalb des Binnenmarktes unwirksam zu machen, was auch der Rechtsansicht des EuGH entspricht. Der Großteil der aus dem Energiecharta-Vertrag resultierenden ISDS-Fälle betrifft Streitigkeiten zwischen einem EU-Investor und einem EU-Staat. Deren Beseitigung ist daher ein wichtiger Schritt. Ob das Vorhaben gelingen wird, ist allerdings fraglich, weil unklar ist, ob die Schiedsgerichte sich an die Vereinbarung gebunden sehen werden. Darüber hinaus sollten ISDS-Fälle auch mit Drittstaatenbezug endlich der Vergangenheit angehören, und dazu braucht es den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag.
Fazit: Österreich muss den Energiecharta-Vertrag verlassen!
Als im Herbst 2022 mehrere EU-Staaten den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag verkündeten, kam auch in Österreich Dynamik in die Debatte, auch die „Kronen Zeitung“ berichtete. NGOs, ÖGB und Arbeiterkammer fordern bereits seit Langem den Ausstieg. Österreich ist in den letzten Jahren auf EU-Ebene besonders ISDS-freundlich aufgetreten. Mittlerweile steht die österreichische Bundesregierung beim Energiecharta-Vertrag aber angesichts der Klimakrise unter Argumentationszwang. Nach der gescheiterten Modernisierung im November 2022 verkündete Klimaministerin Gewessler erstmals, dass nun über den Austritt Österreichs aus dem Energiecharta-Vertrag „ergebnisoffen“ diskutiert werde. Bislang ist die Debatte jedoch leider noch nicht in Gang gekommen. Der Energiecharta-Vertrag ist in der Öffentlichkeit nach wie vor weitgehend unbekannt. Das sollte sich schleunigst ändern! Angesichts des neuerlichen Anlaufs zur Modernisierung braucht es jetzt eine breite Debatte. Das Zaudern der österreichischen Bundesregierung ist nicht nachvollziehbar. Österreich sollte sich der Riege der EU-Staaten, die den Energiecharta-Vertrag verlassen, anschließen.
Fußnote zum Schluss: Austritt nach Modernisierung?
Die EU-Kommission empfiehlt die Zustimmung zur Modernisierung auch jenen EU-Staaten, die aus dem Energiecharta-Vertrag austreten. Rechtlich ist das möglich, es sprechen allerdings gewichtige Gründe dagegen: Die Modernisierung schafft einen Anreiz zum Festhalten an dem schädlichen Vertrag. Zudem wäre es für einen Staat nachteilig, zuerst der Modernisierung zuzustimmen und zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Vertrag auszutreten. Denn selbst wenn die Modernisierung von der Ad-hoc-Energiecharta-Konferenz im April 2023 beschlossen wird, heißt das noch nicht, dass sie auch in Kraft tritt. Vertragsparteien wie Japan und einige zentralasiatische Staaten haben kein Interesse an der Modernisierung. Diese Staaten würden vermutlich zustimmen, in weiterer Folge jedoch möglicherweise nicht oder nur sehr zögerlich ratifizieren. Auch einige EU-Staaten würden vermutlich zögern. Das Inkrafttreten der Modernisierung erfolgt aber erst, wenn mindestens drei Viertel der 53 Vertragsparteien ratifiziert haben. (Zum Vergleich: Das CETA-Abkommen wurde 2016 unterzeichnet und bis heute nicht vollständig ratifiziert.) Und genau hier wartet eine Falle: Denn es ist zwar möglich, den modernisierten Vertrag bereits vor Inkrafttreten vorläufig anzuwenden, die Vorteile – allen voran die Verkürzung des Schutzes für fossile Energieträger von 20 auf 10 Jahre – sind mit einem Schlag aber wieder weg, wenn ein Staat austritt. In diesem Fall endet nämlich wohl die vorläufige Anwendung und es gilt wieder die „alte“ Version des Vertrags. Erst wenn der modernisierte Vertrag vollständig in Kraft getreten ist, wäre die Situation eine andere. Wie lange es bis dahin dauern wird, ist seriöserweise aber nicht abschätzbar. Vor dem Hintergrund der drängenden Herausforderungen angesichts der Klimakrise ist ein Zuwarten mit dem Austritt daher nicht empfehlenswert.
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