EU-Lateinamerika-Gipfel: Handel vs. Klima

17. Juli 2023

Beim heute beginnenden EU-Lateinamerika-Gipfel will die Europäische Kommission den baldigen Abschluss des Handelsabkommens mit dem südamerikanischen Zusammenschluss Mercosur sowie jene mit Chile und Mexiko verkünden. Die EU-Kommission ist voll des Lobes über die angeblichen Vorzüge verstärkten Handels, gleichzeitig ist andernorts in der europäischen Politik viel von Klimapolitik und Regionalisierung die Rede. Zur Frage, wie Handels- und Klimapolitik zusammenhängen, liefert die EU bisher nicht viel mehr als schöne Worte. Welche Rolle spielt der Welthandel also für das Klima? Und wie passen die Handelspolitik und der Diskurs über nachhaltigere EU-Politik zusammen?

Autos gegen Rindfleisch: Das ist die falsche Richtung

Am viel diskutierten EU-Mercosur-Handelsabkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay wird deutlich, dass vieles derzeit in die falsche Richtung steuern. Das Abkommen sieht niedrigere Zölle und höhere Einfuhrquoten für landwirtschaftliche Produkte aus dem Mercosur in die EU vor: Rindfleisch, Geflügel, Futtermittel-Soja, Milchprodukte, Ethanol und andere. Diese Ausweitung der Agrarexporte würde nicht nur Branchen mit sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen fördern, sondern auch die Klimakrise weiter anheizen. Nimmt der Export landwirtschaftlicher Produkte in die EU im Ausmaß der festgelegten Quoten zu, steigen seine Treibhausgas-Emissionen laut Berechnungen von GRAIN um 34 Prozent – und das noch ohne das besonders klimaschädliche Soja. Hinzu kommt, dass die Ausweitung von Produktionsflächen für den Export nicht nur immer größere Teile des Amazonas vernichtet, sondern auch andere essenzieller Ökosysteme wie die Trockenwälder des Gran Chaco und die Feuchtsavannen des Cerrado zerstört. Durch das Abkommen sollen außerdem Zölle auf die Einfuhr europäische Autos, Autoteile und Maschinen sinken oder wegfallen. Damit würde es europäischen Autokonzernen erleichtern, trotz des geplanten EU-Aus für Verbrenner diese bzw. ihre Bauteile zu exportieren und damit Profite zu machen. Das EU-Mercosur-Abkommen fördert also den Handel mit einigen der klimaschädlichsten Produkte überhaupt.

Welthandel und Klimakrise

Das Problem ist allerdings viel größer als nur dieses eine Abkommen. Die Produktion und der Transport von Gütern und Dienstleistungen für den Welthandel machen 20 bis 30 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen aus – Tendenz steigend. Das fällt auch auf Österreich zurück: Ein Drittel der österreichischen Emissionen wird importiert. Sie fallen bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen im Ausland an, die nach Österreich importiert und hier verbraucht werden. Eine echte europäische Klimapolitik muss den Welthandel als Treiber der Klimakrise ernst nehmen. Woher kommen also diese Emissionen und was kann dagegen getan werden?

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Emissionen aus Transport

Besonders direkt: Aus dem Transport. Der internationale Frachtverkehr ist allein für sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, mehr als die Hälfte davon kommt aus der Frachtschifffahrt. Da der globale Warenhandel ständig steigt, wird prognostiziert, dass auch der Frachtverkehr und seine Emissionen in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen. Komplexe Lieferketten sind stark ausdifferenziert und führen zu einem starken Anstieg bei Transport von Vorprodukten. Zwar verlangsamt sich der Welthandel derzeit krisenbedingt und seine Entwicklung ist mit Unsicherheiten behaftet – an den zugrunde liegenden Problemen ändert das jedoch nichts. Verglichen mit 2015 dürfte sich der internationale Frachtverkehr bis 2050 verdreifachen. Am stärksten wächst dabei die Luftfracht mit einem jährlichen Plus von bis zu 5,5 Prozent, angetrieben durch Onlinehandel und hochpreisige Güter wie Smartphones.

Den größten Anteil und damit zentralen Treiber der globalen Frachtemissionen macht jedoch der Schiffverkehr aus. In der Schifffahrt steht es nicht nur schlecht um Arbeitsrechte, sie ist auch eine schwer zu dekarbonisierende Branche. Große Schiffe verbrauchen sehr viel Schweröl und emittieren daraus CO2, Stickoxide sowie Ruß, die das Klima anheizen. Alternativen zu Schweröl für Containerschiffe sind kaum verfügbar und wenn, dann sind sie mit zahlreichen eigenen Problemen behaftet. Da die Elektrifizierung der Containerschifffahrt auf Grund der riesigen Energiemengen nicht möglich ist, liegt der Fokus der Industrie auf der Suche nach synthetischen Treibstoffen. Dabei ist nicht einmal klar ist, ob sich Wasserstoff, Ammoniak oder Methanol durchsetzen wird, wobei alle drei bisher hauptsächlich aus Erdgas hergestellt werden. Zentrale Fragen der Produktion, der Energiequellen und Energiedichte sowie der Infrastruktur sind völlig offen. Agrartreibstoffe wiederum werden aus Getreide, Soja oder Palmöl hergestellt und konkurrieren daher mit dem Nahrungsmittelanbau. Riesensegel klingen zwar vielversprechend, dürften aber die auf Grund der gigantischen nötigen Größe und unberechenbaren Winde eher eine unterstützende Rolle spielen.

Solange der globale Warenverkehr hoch bleibt oder sogar weiter steigt, gibt wenig Hinweise darauf, dass der Frachtverkehr rasch klimaverträglich gemacht werden kann.

Emissionen aus Verlagerungen von Produktion

Doch der Transport ist nicht das einzige Problem des Welthandels für das Klima, eine zentrale Rolle spielt auch die Verlagerung von Produktion. Mit der Liberalisierung und Deregulierung von Welthandel und Kapitalflüssen wurde es für Unternehmen günstiger, Produktionsstellen oder Zulieferer in Europa durch solche im globalen Süden zu ersetzen. Durch diese Verlagerungen steigen die Emissionen, selbst wenn die Menge der produzierten Güter insgesamt gleichbleibt. Denn Länder im globalen Süden haben eine höhere Emissionsintensität als jene im Norden, die meist sauberere Energiequellen einsetzen und technologisch besser ausgestattet sind. Ein in Bangladesch hergestelltes T-Shirt verursacht mehr Emissionen, als wenn das gleiche T-Shirt in Österreich produziert wird. Eines der vielen Beispiele, wie im Rahmen der Globalisierung die Ausbeutung von Arbeiter:innen und Umwelt Hand in Hand geht. Mit jedem Handelsabkommen, das den Außenhandel der EU ausweitet, nimmt auch dieser Effekt zu. Die Ausweitung der Produktion für den Export im globalen Süden führt auch zu einer Ausweitung der fossilen Ökonomie vor Ort: Für neue Fabriken werden Wälder abgeholzt und Böden versiegelt, als Zubringer werden Straßen errichtet. Neue Produktionsstätten erfordern außerdem große Mengen Energie und damit neue Kraftwerke – oft Kohle – und Energieinfrastruktur wie Lagerstätten, Häfen oder Pipelines.

Auch bei landwirtschaftlichen Produkten ist die Emissionsintensität sehr stark vom Ort und vor allem den Produktionsmethoden abhängig. Das EU-Mercosur-Abkommen verdeutlicht das Problem: Ein Kilogramm Rindfleisch aus Brasilien verursacht, unter Berücksichtigung von Landnutzung, je nach Studie sechs bis fünfzehn Mal mehr Emissionen als ein Kilogramm Rindfleisch aus Österreich. Wird in Folge des Abkommens brasilianisches statt österreichischen Fleischs gekauft, so ist das bei konstantem Fleischkonsum dennoch deutlich klimaschädlicher.

Emissionen aus der Ausweitung der ökonomischen Aktivität

Einen weiteren Faktor stellt die Ausweitung von Produktion und Konsum durch Handel bzw. Handelsabkommen dar. Mehr Handel bringt Unternehmen Größenvorteile in Produktion und Absatz. Werden Waren neu oder günstiger verfügbar, so bleibt der Gesamtabsatz meist nicht konstant, sondern steigt – und mit ihm die Emissionen. Das kann gewünscht oder notwendig sein, etwa wenn essenzielle Güter wie Medikamente für mehr Menschen zugänglich und leistbar werden. Es kann aber auch deutlich negativ sein, wie der Fall von Fast Fashion deutlich zeigt. Das Geschäftsmodell vieler Modeketten mit dutzenden Kollektionen im Jahr und einer Produktlebensdauer von wenigen Monaten wäre ohne die Ausbeutung von Arbeiter:innen und Umwelt in den Produktionsländern nicht möglich. Im Fall des EU-Mercosur-Handelsabkommens droht diese schädliche Ausweitung beim Fleischkonsum: Durch niedrigere Zölle und höhere Importquoten könnte lateinamerikanisches Rindfleisch nicht nur österreichisches ersetzen. Es könnte durch die Verbilligung zusätzlich konsumiert werden und so die Emissionen noch mehr in die Höhe treiben.

Der Zusammenhang ist aber nicht nur quantitativ: Welche Güter gehandelt werden hat auch Folgen für die Klimapolitik. Keine Ware repräsentiert den Welthandel so sehr wie das Auto: Es ist die global am meisten gehandelte Ware, dicht gefolgt von Erdöl – oft ebenfalls für Autos. Das allein sagt viel über das Verhältnis von Welthandel und Klima aus. Wenn Handelsabkommen nun den Handel mit Autos weiter fördern, so nehmen nicht nur die Emissionen daraus zu, sondern es konterkariert auch die Bemühungen für eine echte Mobilitätswende. Auch hier ist EU-Mercosur ein Negativbeispiel: Das Abkommen soll Exporte von Autos und Autoteilen von Europa nach Südamerika verbilligen.

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Europäische Handelspolitik im Widerspruch zu Klimazielen

Handelsabkommen spielen eine zentrale Rolle darin, wie sich der Welthandel und seine Klimaauswirkungen zukünftig entwickelt – das muss die europäische Politik anerkennen. Bisher verbleibt die europäische politische Debatte dazu leider an der Oberfläche. Die Europäischen Kommission reagierte zwar auf die langjährige Kritik von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft an den sozialen und ökologischen Folgen von Handelsabkommen mit der verstärkten Verankerung von Nachhaltigkeitszielen. Zukünftige Abkommen sollen erstmals Sanktionen für schwere Verstöße gegen grundlegende Sozial-, Arbeits- und Umweltnormen beinhalten – ein wichtiger Fortschritt. Doch selbst wenn zukünftige Abkommen sanktionierbare arbeits-, umwelt- und klimarelevante Verpflichtungen beinhalten, würde damit die Klimaschädlichkeit des Handels an sich nicht bekämpft. Solange Handelsabkommen darauf abzielen, Handel generell und insbesondere jenen mit klimaschädlichen Gütern auszuweiten, sind sie Treiber der Klimakrise und stehen im Widerspruch zu den europäischen Klimazielen.

Diese Diskrepanz ist gleichzeitig erstaunlich und vollkommen erwartbar. Denn, wie Naomi Klein anmerkt, fanden in den letzten vierzig Jahren zwei völlig parallele Prozesse internationaler Verhandlungen statt. Auf der einen Seite die schleppenden und unverbindlichen Klimaverhandlungen, die weit hinter den notwendigen Maßnahmen zurückbleiben. Auf der anderen Seite die durchsetzungsstarken Abkommen und Institutionen, die die konzerngetriebene Globalisierung von der Idee zur Wirklichkeit machten. Diese Zweiteilung der Politikfelder – und ihre Hierarchie – dauern bis heute an. Solange sie besteht, wird die Politik der Klimakrise nicht gewappnet sein, und zwar nicht nur weil die Liberalisierung der Weltmärkte die Klimakrise befeuert. Der ihr zugrunde liegende Neoliberalismus mit seinen Deregulierungen, Privatisierungen und technokratischen Politikverständnissen hat uns auch viele jener politischen Gestaltungsmöglichkeiten genommen, die wir heute für eine wirksame Klimapolitik dringend brauchen.

Die Handelspolitik muss völlig neu ausgerichtet werden

Will die Europäische Union glaubhafte Klimapolitik machen, so muss sie die Rolle des schrankenlosen Handels im Anheizen der Klimakrise sowie seine hohen sozialen und ökologischen Kosten ernst nehmen. Es sind die arbeitenden Menschen, die den Preis für die konzerngetriebene Handelspolitik zahlen und von der Klimakrise am meisten bedroht sind. Die EU-Handelspolitik muss gänzlich neuausgerichtet werden, so dass die Reduktion der Treibhausgase, der sozial-ökologischen Umbau und Wohlstandsüberlegungen für alle in den Mittelpunkt rücken.

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