Den Titel „keltischer Tiger“ erwarb sich Irland in den neunziger Jahren, als die Wirtschaft des einstigen Armenhauses Europas im Rekordtempo wuchs: befeuert von Auslandsinvestitionen, angelockt von den niedrigen Steuern auf Gewinne. Die Finanzkrise traf das Land und seine Beschäftigten unvorbereitet und schwer. Die Verstaatlichung des drittgrößten Kreditinstituts Anglo Irish Bank sowie Staatsgarantien für die irischen Finanzinstitute rissen ein tiefes Loch in den Staatshaushalt. Die Rolle der ArbeitnehmerInnen im Rahmen der harten Strukturreformen war es, ihren Gürtel enger zu schnallen und sich mit Arbeit auf Abruf abzufinden. Prekariat ist Lebensalltag, auch noch zehn Jahre nach der Krise.
In der Zeit dieses großen Booms gab es jedoch erste Anzeichen für die folgenden Krisenjahre, die Irlands Wirtschaft stark erschütterten.
Vom Vorzeigemodell zum Rettungsfall
Die Legende vom „keltischen Tiger“ trug bereits den Keim ihrer Selbstzerstörung in sich. Entgegen der mythologischen Sichtweise einiger ÖkonomInnen und AnhängerInnen der Chicagoer Schule war das schwindelerregende Wachstum der irischen Wirtschaft nicht das Ergebnis einer Deregulierungs- und Privatisierungspolitik oder der Einkommensteuersenkungen für Privatpersonen. Ursache für die Prosperität war vielmehr die Politik der steuerlichen Entlastung der Unternehmen.
Die Kombination aus anhaltend niedrigen Zinsen und großzügiger Kreditvergabe der Banken machte es außerdem für die IrInnen attraktiv, sich ein Eigenheim auf Pump zu kaufen. Als die Immobilienblase 2008 platzte, führte das zur Überschuldung der Haushalte. Der Wert ihrer Häuser halbierte sich von einem Tag auf den anderen.
Plötzlich hatte der irische Tiger seine Zähne verloren: Verbindlichkeiten und Außenstände irischer Kreditinstitute beliefen sich auf 533 Milliarden Euro. Das kleine Land stützte seine unverhältnismäßig großen Banken mit 50 Milliarden Euro und bürgte für sie mit 350 Milliarden Euro, das entsprach der Wirtschaftsleistung von zwei Jahren. Das Haushaltsdefizit stieg auf elf Prozent, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte. Folge war ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mehr als 15 Prozent.
Irland kam für zwei Jahre unter den „EU-Rettungsschirm“ und wurde mit insgesamt 750 Milliarden Euro unterstützt. 440 Milliarden Euro trugen die Euro-Länder bei, die EU-Kommission 60 Milliarden und der Internationale Währungsfonds 250 Milliarden Euro. Als Gegenleistung musste Irland ein Sparpaket umsetzen, das vor allem Kürzungen der Sozialleistungen und im öffentlichen Dienst vorsah.
Paradies des Kapitals – der Tiger ist wieder da …
Und tatsächlich: Das Bruttoinlandsprodukt wächst wieder überproportional. Zu berücksichtigen ist, dass das BIP Irlands aufgrund einer neuen Berechnungsmethode in den letzten Jahren Verzerrungen aufweist. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Produktion von Gütern im Ausland ins irische BIP einfließt, wenn diese im Auftrag von in Irland ansässigen Unternehmen erfolgt, die die entsprechenden Lizenzen und Patente halten.