Für ein ökolo­gisches Akku­mu­la­tions­regime

29. Februar 2024

Auf europäischer Ebene werden Weichen für die grüne Trans­formation gestellt. Sowohl die Regulierung der Außenhandels­beziehungen als auch die zunehmende Industrie­politik deuten auf eine Rückkehr der Intervention in der Wirtschafts­politik hin. Österreich sollte den neuen Rahmen nützen, um ein „ökologisches Akkumulations­regime“ zu etablieren. Unter klar gesteckten Bedingungen sollten die Dekar­bonisierung der Industrie und die Etablierung der Kreislauf­wirtschaft staatlich unterstützt werden. Dies dürfte eine grüne Re-Industrialisierung zur Folge haben.

Seit  2019 verfolgt die EU-Kommission einen ziemlich konsistenten Plan zur ökologischen Trans­formation der europäischen Wirt­schaft. Die Idee besteht darin nach außen den Handel mit Dritt­staaten so zu regulieren, dass Dumping erschwert wird. Zu dieser ökosozialen Regulierung des Außen­handels gehören das EU-Reporting, der CO2-Zoll sowie das noch in Verhandlung befindliche Liefer­kettengesetz. Gleichzeitig verfolgt die Kommission nach innen die Strategie durch Industrie­politik die ökologische Trans­formation voranzutreiben. Dabei geht es um die Dekar­bonisierung der Wirtschaft, um das Vorantreiben von Kreislauf­wirtschaft und Recycling in der EU und um die ökologische Umrüstung der Industrie (Cleantech). Diese Kombination aus Regulierung nach außen und Industrie­politik nach innen deutet darauf hin, dass uns weniger eine Deindustriali­sierung, als vielmehr eine grüne Reindustriali­sierung ins Haus steht. Allein auf Grund der Regelungen, Ziel­setzungen und budgetären Schwerpunkt­setzungen der EU dürfen wir mutmaßen

  • …, dass alternative Energieträger erheblich an Bedeutung gewinnen werden. Das betrifft die Produktion von Windkraftanlagen oder Wärmepumpen (Maschinenbau) genauso wie ihre Installation (Anlagenbau & Handwerk) sowie ihren Betrieb (E-Wirtschaft). 

  • Wir dürfen mutmaßen, dass Recycling erheblich an Bedeutung gewinnen wird – von konventionellen Metallen über seltene Erden bis zu Batterien sowie Beton und Asphalt. 

  • Wir dürfen mutmaßen, dass der Bahnverkehr an Bedeutung gewinnen wird, was sich auf das Streckennetz (Stahlindustrie) und die Garnituren (Bahnindustrie) auswirken wird. 

Rück­kehr der Inter­vention

In Österreich lag der Anteil der Investitionen an der Wirtschafts­leistung (Brutto­anlage­investitionen ohne Wohn­bauten) Ende der 1970er-Jahre bei gut 21 Prozent. Während der 2010er-Jahre war dieser Anteil um drei Prozent­punkte geringer. Das hat erheblich mit der Entwicklung der öffentlichen Investitionen zu tun, die sich seit den 1970er-Jahren halbiert haben – ein typisches Merkmal der neoliberalen Epoche.

Die ökologische Umrüstung der bestehenden ökonomischen Kapazitäten erfordert nun innerhalb relativ kurzer Zeit die höchsten privaten und öffentlichen Investitionen seit den 1970er-Jahren.  Eine Schätzung des Umwelt­bundesamts geht für Österreich von einem zusätzlichen jährlichen Investitionsbedarf in der Höhe von mindestens drei Prozent der Wirtschafts­leistung aus. Das würde für die kommenden Jahrzehnte Investitions­quoten am BIP erfordern, die in der Höhe jener der 1970er-Jahre oder sogar darüber liegen.

Insofern ist es womöglich kein Zufall, dass die Staats­intervention in Zeiten wieder in Mode kommt, wo außergewöhnlich hoher Investitionsbedarf besteht. Ohne Staats­intervention lassen sich solche Investitions­volumen wohl gar nicht bewegen, während umkehrt, Staats­interventionen dann Akzeptanz finden, wenn die Gesellschaft vor entsprechend großen Aufgaben steht. 

Ökolo­gisches Akkumu­lations­regime 

Österreichs Wirtschafts­politik kann die gesell­schaftliche Aufgabe der nachhaltigen Trans­formation mit der Nützlichkeit einer zukunfts­tauglichen ökonomischen Lebens­ader verbinden. Dabei werden die Umrisse eines neuen Kraftfeldes ökonomischer Dynamik sichtbar. Dieses Kraftfeld können wir als ökologisches Akkumulations­regime bezeichnen. Zu Henry Fords Zeiten trieb die Koppelung aus industrieller Massen­produktion und Massen­konsum die Wirtschaft an. Ab den 1980er-Jahren waren der Finanzsektor und seine Share-holder-value-Logik für das Wirtschafts­geschehen maßgeblich.

Für die Gegenwart zeichnet sich ab, dass die Wende zur Nachhaltigkeit die wirtschaft­lichen Prozesse der nächsten Jahrzehnte vorantreiben wird. Wir brauchen vor allem im Sinne der ökologischen Transformation industrie­politisches Engagement, der Markt kann die ökologische Frage im 21. Jahrhundert genauso wenig lösen, wie er die soziale Frage im 19. Jahrhundert lösen konnte. Harvard-Ökonom Dani Rodrik und die Koryphäe der industrie­politischen Forschung, Mariana Mazzucato, haben Konditionalitäten – also Bedingungen – als zentrales Element der Industrie­politik identifiziert. So sollten staatliche Zuschüsse oder Darlehen an gesellschafts­politisch wünschens­werte Auflagen wie Emissions­reduktion geknüpft sein, um die Transformation nicht nur innovativ und nachhaltig, sondern auch inklusiv zu gestalten. ­

Dekarboni­sierung & Kreislauf­wirtschaft

In einer umfassenden Studie  haben renommierte österreichische Forschungs­einrichtungen die Heraus­forderungen zur Dekarbonisierung der Industrie konkretisiert. Der energie- und emissions­intensivste Industrie-Sektor ist die Eisen- und Stahlerzeugung. Tatsächlich plant die voestalpine ein Investitionsvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro, um je einen Elektrolichtbogenofen in Linz und einen in Leoben-Donawitz zu errichten, die beide 2027 in Betrieb gehen sollen. Erste Fördergelder aus dem Topf für die Trans­formations­offensive sind dafür bereits geflossen und wurden auch an Konditionen gebunden. Etwa die Quantifizierung gesicherter Arbeitsplätze und die Ausarbeitung von Qualifizierungsmaßnahmen. Gleichzeitig sollte die öffentliche Hand Schritte setzen, um das saubere, aber energieintensive Verfahren durch Netz­infrastruktur zu unterstützen und die Bereit­stellung grünen Stroms zu forcieren. Genehmigungsverfahren für Leitungen oder Wind­parks sollten beschleunigt werden. Die spezifischen Kosten der Umrüstung der gesamten Industrie in Richtung Cleantech lassen sich auf Grund zahlreicher unklarer Parameter nur schwer abschätzen, aber ein zweistelliger Milliarden­betrag gilt in der Studie als plausibel, was eine erhebliche Aufstockung der aktuell vorgesehen Mittel erfordert.

 
Nicht wenige österreichische Unter­nehmen basteln intensiv an Prozessen zur Wieder­verwendung und Abfallnutzung. Die AustroCel in Hallein (SBG) ist ein Hersteller von Zellstoff und Bioenergie und sieht sich selbst als Vorreiter der Kreisl­aufwirtschaft. Der Rohstoff ihrer Produktion ist schon ein Abfallprodukt, nämlich Sägespäne, die bei der holz­verarbeitenden Industrie entstehen. Laut eigenen Angaben verfügt das Unter­nehmen über die weltweit größte Anlage zur Erzeugung von Bioethanol, der Energieverbrauch ist zu 99 Prozent dekarbonisiert, obendrein kommt AustroCel dem Zero-Waste-Ziel immer näher. Ein anderes Unternehmen, das sich intensiv mit Recycling beschäftigt, ist der Aluminium­hersteller AMAG in Ranshofen (OÖ). Aluminium benötigt beim Recycling nur 5 bis 10 Prozent der Energie im Vergleich zur ersten Primär­herstellung. Mit einem Schrott­einsatz (also Recycling) von bis zu 80 Prozent, liegt das Unter­nehmen weltweit im Spitzenfeld. Das Werk Ranshofen ist nach AMAG-Angaben der größte Aluminiumrecycler in Europa. 


Kreislauf­wirtschaft und Recycling sind neben der Dekar­bonisierung zentrale Bestandteile einer grünen Industrie. Es gibt von Seiten des Klima­ministeriums seit 2022 eine ent­sprechende Strategie. Die Prozesse können von der österreichischen Politik in vielfältiger Weise beeinflusst werden. Bei der politischen Operationali­sierung der Kreislauf­wirtschaft geht es um Regulierungen, Förderungen, Verfahrens­vereinfachungen oder Kriterien der öffentlichen Beschaffung. Die Kreislaufwirtschaft ist von der Thematik her weder plastisch noch sexy. Die Thematik ist so „nerdig“, dass sie partei­politisch nur bedingt verwertbar ist. Das ist umgekehrt auch eine Chance, weil was sich zur Polarisierung nicht eignet, wird von populistischer Seite womöglich nicht unnötig torpediert.

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