Auf europäischer Ebene werden Weichen für die grüne Transformation gestellt. Sowohl die Regulierung der Außenhandelsbeziehungen als auch die zunehmende Industriepolitik deuten auf eine Rückkehr der Intervention in der Wirtschaftspolitik hin. Österreich sollte den neuen Rahmen nützen, um ein „ökologisches Akkumulationsregime“ zu etablieren. Unter klar gesteckten Bedingungen sollten die Dekarbonisierung der Industrie und die Etablierung der Kreislaufwirtschaft staatlich unterstützt werden. Dies dürfte eine grüne Re-Industrialisierung zur Folge haben.
Seit 2019 verfolgt die EU-Kommission einen ziemlich konsistenten Plan zur ökologischen Transformation der europäischen Wirtschaft. Die Idee besteht darin nach außen den Handel mit Drittstaaten so zu regulieren, dass Dumping erschwert wird. Zu dieser ökosozialen Regulierung des Außenhandels gehören das EU-Reporting, der CO2-Zoll sowie das noch in Verhandlung befindliche Lieferkettengesetz. Gleichzeitig verfolgt die Kommission nach innen die Strategie durch Industriepolitik die ökologische Transformation voranzutreiben. Dabei geht es um die Dekarbonisierung der Wirtschaft, um das Vorantreiben von Kreislaufwirtschaft und Recycling in der EU und um die ökologische Umrüstung der Industrie (Cleantech). Diese Kombination aus Regulierung nach außen und Industriepolitik nach innen deutet darauf hin, dass uns weniger eine Deindustrialisierung, als vielmehr eine grüne Reindustrialisierung ins Haus steht. Allein auf Grund der Regelungen, Zielsetzungen und budgetären Schwerpunktsetzungen der EU dürfen wir mutmaßen
- …, dass alternative Energieträger erheblich an Bedeutung gewinnen werden. Das betrifft die Produktion von Windkraftanlagen oder Wärmepumpen (Maschinenbau) genauso wie ihre Installation (Anlagenbau & Handwerk) sowie ihren Betrieb (E-Wirtschaft).
- Wir dürfen mutmaßen, dass Recycling erheblich an Bedeutung gewinnen wird – von konventionellen Metallen über seltene Erden bis zu Batterien sowie Beton und Asphalt.
- Wir dürfen mutmaßen, dass der Bahnverkehr an Bedeutung gewinnen wird, was sich auf das Streckennetz (Stahlindustrie) und die Garnituren (Bahnindustrie) auswirken wird.
Rückkehr der Intervention
In Österreich lag der Anteil der Investitionen an der Wirtschaftsleistung (Bruttoanlageinvestitionen ohne Wohnbauten) Ende der 1970er-Jahre bei gut 21 Prozent. Während der 2010er-Jahre war dieser Anteil um drei Prozentpunkte geringer. Das hat erheblich mit der Entwicklung der öffentlichen Investitionen zu tun, die sich seit den 1970er-Jahren halbiert haben – ein typisches Merkmal der neoliberalen Epoche.
Die ökologische Umrüstung der bestehenden ökonomischen Kapazitäten erfordert nun innerhalb relativ kurzer Zeit die höchsten privaten und öffentlichen Investitionen seit den 1970er-Jahren. Eine Schätzung des Umweltbundesamts geht für Österreich von einem zusätzlichen jährlichen Investitionsbedarf in der Höhe von mindestens drei Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Das würde für die kommenden Jahrzehnte Investitionsquoten am BIP erfordern, die in der Höhe jener der 1970er-Jahre oder sogar darüber liegen.
Insofern ist es womöglich kein Zufall, dass die Staatsintervention in Zeiten wieder in Mode kommt, wo außergewöhnlich hoher Investitionsbedarf besteht. Ohne Staatsintervention lassen sich solche Investitionsvolumen wohl gar nicht bewegen, während umkehrt, Staatsinterventionen dann Akzeptanz finden, wenn die Gesellschaft vor entsprechend großen Aufgaben steht.
Ökologisches Akkumulationsregime
Österreichs Wirtschaftspolitik kann die gesellschaftliche Aufgabe der nachhaltigen Transformation mit der Nützlichkeit einer zukunftstauglichen ökonomischen Lebensader verbinden. Dabei werden die Umrisse eines neuen Kraftfeldes ökonomischer Dynamik sichtbar. Dieses Kraftfeld können wir als ökologisches Akkumulationsregime bezeichnen. Zu Henry Fords Zeiten trieb die Koppelung aus industrieller Massenproduktion und Massenkonsum die Wirtschaft an. Ab den 1980er-Jahren waren der Finanzsektor und seine Share-holder-value-Logik für das Wirtschaftsgeschehen maßgeblich.
Für die Gegenwart zeichnet sich ab, dass die Wende zur Nachhaltigkeit die wirtschaftlichen Prozesse der nächsten Jahrzehnte vorantreiben wird. Wir brauchen vor allem im Sinne der ökologischen Transformation industriepolitisches Engagement, der Markt kann die ökologische Frage im 21. Jahrhundert genauso wenig lösen, wie er die soziale Frage im 19. Jahrhundert lösen konnte. Harvard-Ökonom Dani Rodrik und die Koryphäe der industriepolitischen Forschung, Mariana Mazzucato, haben Konditionalitäten – also Bedingungen – als zentrales Element der Industriepolitik identifiziert. So sollten staatliche Zuschüsse oder Darlehen an gesellschaftspolitisch wünschenswerte Auflagen wie Emissionsreduktion geknüpft sein, um die Transformation nicht nur innovativ und nachhaltig, sondern auch inklusiv zu gestalten.
Dekarbonisierung & Kreislaufwirtschaft
In einer umfassenden Studie haben renommierte österreichische Forschungseinrichtungen die Herausforderungen zur Dekarbonisierung der Industrie konkretisiert. Der energie- und emissionsintensivste Industrie-Sektor ist die Eisen- und Stahlerzeugung. Tatsächlich plant die voestalpine ein Investitionsvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro, um je einen Elektrolichtbogenofen in Linz und einen in Leoben-Donawitz zu errichten, die beide 2027 in Betrieb gehen sollen. Erste Fördergelder aus dem Topf für die Transformationsoffensive sind dafür bereits geflossen und wurden auch an Konditionen gebunden. Etwa die Quantifizierung gesicherter Arbeitsplätze und die Ausarbeitung von Qualifizierungsmaßnahmen. Gleichzeitig sollte die öffentliche Hand Schritte setzen, um das saubere, aber energieintensive Verfahren durch Netzinfrastruktur zu unterstützen und die Bereitstellung grünen Stroms zu forcieren. Genehmigungsverfahren für Leitungen oder Windparks sollten beschleunigt werden. Die spezifischen Kosten der Umrüstung der gesamten Industrie in Richtung Cleantech lassen sich auf Grund zahlreicher unklarer Parameter nur schwer abschätzen, aber ein zweistelliger Milliardenbetrag gilt in der Studie als plausibel, was eine erhebliche Aufstockung der aktuell vorgesehen Mittel erfordert.
Nicht wenige österreichische Unternehmen basteln intensiv an Prozessen zur Wiederverwendung und Abfallnutzung. Die AustroCel in Hallein (SBG) ist ein Hersteller von Zellstoff und Bioenergie und sieht sich selbst als Vorreiter der Kreislaufwirtschaft. Der Rohstoff ihrer Produktion ist schon ein Abfallprodukt, nämlich Sägespäne, die bei der holzverarbeitenden Industrie entstehen. Laut eigenen Angaben verfügt das Unternehmen über die weltweit größte Anlage zur Erzeugung von Bioethanol, der Energieverbrauch ist zu 99 Prozent dekarbonisiert, obendrein kommt AustroCel dem Zero-Waste-Ziel immer näher. Ein anderes Unternehmen, das sich intensiv mit Recycling beschäftigt, ist der Aluminiumhersteller AMAG in Ranshofen (OÖ). Aluminium benötigt beim Recycling nur 5 bis 10 Prozent der Energie im Vergleich zur ersten Primärherstellung. Mit einem Schrotteinsatz (also Recycling) von bis zu 80 Prozent, liegt das Unternehmen weltweit im Spitzenfeld. Das Werk Ranshofen ist nach AMAG-Angaben der größte Aluminiumrecycler in Europa.
Kreislaufwirtschaft und Recycling sind neben der Dekarbonisierung zentrale Bestandteile einer grünen Industrie. Es gibt von Seiten des Klimaministeriums seit 2022 eine entsprechende Strategie. Die Prozesse können von der österreichischen Politik in vielfältiger Weise beeinflusst werden. Bei der politischen Operationalisierung der Kreislaufwirtschaft geht es um Regulierungen, Förderungen, Verfahrensvereinfachungen oder Kriterien der öffentlichen Beschaffung. Die Kreislaufwirtschaft ist von der Thematik her weder plastisch noch sexy. Die Thematik ist so „nerdig“, dass sie parteipolitisch nur bedingt verwertbar ist. Das ist umgekehrt auch eine Chance, weil was sich zur Polarisierung nicht eignet, wird von populistischer Seite womöglich nicht unnötig torpediert.