Die EU-Politik zur „besseren Rechtsetzung“ priorisiert zunehmend Unternehmensinteressen und vernachlässigt soziale sowie ökologische Anliegen.
Seit den 1990er Jahren verfolgt die EU das Ziel, ihre Gesetzgebung effizienter und bürgernäher zu gestalten. Ergebnisse einer Studie, die ich im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und von AK Europa durchgeführt habe, zeigen, dass vor allem unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirtschaftliche Interessen Vorrang haben, während soziale und ökologische Standards zunehmend zurückgedrängt werden.
Hin zur Deregulierung
Die Agenda für „bessere Rechtsetzung“ entstand in den 1990er Jahren, als das EU-Recht als zu kompliziert galt. In den folgenden Jahren rückte jedoch zunehmend die Entlastung von Unternehmen in den Vordergrund, was zu einer Deregulierung führte, die häufig gesellschaftliche Standards schwächte.
Unter von der Leyen nahm diese Entwicklung deutlich zu. Ihre Politik zielt stark auf die Reduzierung von „administrativen Belastungen“ und Kosten für Unternehmen, besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), ab. Allerdings umfasst die KMU-Definition der Europäischen Kommission 99,8 Prozent der europäischen Unternehmen, was auch Firmen zugutekommt, die landläufig bereits längst als große Betriebe bezeichnet werden. Diese Deregulierungspolitik schuf günstige Bedingungen für große Firmen wie die österreichische Signa Holding, die als Kleinbetrieb eingestuft wurde und von geringerer Aufsicht profitierte. Als Signa 2023 Insolvenz anmeldete, war dies die größte Pleite im europäischen Immobiliensektor und verdeutlichte die Risiken solcher gelockerten Regulierung.
Auswirkungen des „One in, one out“-Prinzips
Ein zentrales Element des Ansatzes der Kommission ist das „One in, one out“-Prinzip (OIOO), bei dem neue Vorschriften durch den Abbau bestehender Regelungen ausgeglichen werden sollen. Dabei berücksichtigt die EU jedoch nur die Kosten neuer Vorschriften, ohne den gesellschaftlichen Nutzen zu beachten. So wurde im Jahresbericht über die Belastungen 2022 der Schutz von Arbeitnehmer:innen vor Asbest als „Belastung“ für Unternehmen klassifiziert, obwohl die Gesundheitsrisiken und langfristigen sozialen Kosten eindeutig sind. Zudem werden die potenziellen Kosten, die durch unzureichende Regulierung entstehen, nicht beachtet. Wie während der Wirtschaftskrise 2008 deutlich wurde, können die Folgen mangelnder Regulierung immens sein.
Eine derartige Politik gefährdet nicht nur soziale und ökologische Standards, sondern steht auch im Widerspruch zu den Zielen des europäischen Grünen Deals und der Europäischen Säule sozialer Rechte.
Kritik
Trotz Kritik vonseiten des Europäischen Parlaments und zivilgesellschaftlicher Organisationen verfolgt von der Leyen weiterhin eine Politik, die Deregulierung und Entlastungen für Unternehmen priorisiert. Diese sind zunehmend von Kontroll- und Berichtspflichten, besonders im Umweltbereich, ausgenommen. Diese Politik birgt langfristig das Risiko einer verstärkten Liberalisierung und Privatisierung in wichtigen Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder dem öffentlichen Verkehr. Diese Entwicklungen könnten die sozialen Sicherungssysteme schwächen und unsichere Arbeitsbedingungen in der gesamten EU fördern. Mit ihren Kommissionskandidat:innen, die politisch stark nach rechts tendieren, werden die sozial- und umweltpolitischen Aspekte weiter gefährdet.
Ausblick
Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass von der Leyen diese Politik fortsetzen wird. Sowohl der Letta-Bericht als auch der jüngste Draghi-Bericht sowie die EU-Strategische Agenda 2024–2029 setzen den gleichen Kurs fort, indem sie den Fokus auf Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, KMU und den Binnenmarkt als treibende Kräfte Europas richten. Gleichzeitig bleiben konkrete Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels und zur Sicherung des sozialen Schutzes vage. Die öffentliche Gesundheit, ein zentrales Thema während der COVID-19-Pandemie, wird in der neuen Agenda weitgehend marginalisiert.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Politik der besseren Rechtsetzung unter von der Leyen stark auf die Entlastung von Unternehmen ausgerichtet ist. Dies birgt die Gefahr, dass soziale und ökologische Politiken weiter in den Hintergrund gedrängt werden.
Eine etwas andere und längere Version zum selben Thema erschien kürzlich in „Social Europe“.