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Berufstätige Studierende – bitte draußen bleiben?
Faktum ist: Für berufstätige Studierende ist der Abschluss eines Universitätsstudiums in der Regelstudienzeit kaum machbar. Laut Studierenden-Sozialerhebung liegt die Erwerbsquote im ersten Studienjahr bereits bei 44 Prozent. Berufstätige Studierende haben zwar in der Regel durchaus die Intention, zügig zu studieren, allerdings bringt die Vereinbarkeit von Studium und Beruf vielfältige, oft nicht planbare Herausforderungen mit sich. Plötzlich auftretende berufliche Verpflichtungen oder auch Betreuungsaufgaben in Kombination mit vielen kleinen Lehrveranstaltungen mit häufiger Anwesenheitspflicht führen dazu, dass der Studienfortschritt in der Praxis nicht wie ursprünglich geplant verläuft.
In vielen Studienrichtungen dominiert bereits in der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) derzeit meist nicht der Orientierungs-, sondern der Auslesecharakter. Speziell für Personen, denen der Einstieg ins Studium aus verschiedenen Gründen schwerer fällt (z. B. nichttraditionelle Studierende) und die mangels ausreichender Informationen und Unterstützung in der Studienwahl unsicher sind, ist die Bewältigung dieser ersten großen Hürde oft nicht leicht. Abgesehen von der fehlenden „ECTS-Gerechtigkeit“ (der Arbeitsaufwand für eine Lehrveranstaltung stimmt derzeit oft nicht mit der Punkteanzahl überein) mangelt es vielfach an Studieninformation und Beratung im Vorfeld und guten Betreuungsrelationen. Darüber hinaus gibt es häufig zu wenige Laborplätze, Plätze in Übungen und anderen Lehrveranstaltungen (bei der elektronischen Anmeldung sind die Plätze oft innerhalb weniger Sekunden ausgebucht!). Bereits geltende Bestimmungen im Universitätsgesetz, wie die in § 59 geschaffene Möglichkeit einer „Bedarfsmeldung“ für berufstätige Studierende“, werden in der universitären Praxis kaum umgesetzt. Nur wenige Studierende können die STEOP in der vorgegebenen Zeit abschließen.
Besonders vor diesem Hintergrund erscheint die anstehende Reform des Studienrechts im Universitätsgesetz wegweisend – allerdings leider in die falsche Richtung. Der Entwurf folgt primär der Logik der Studienplatzfinanzierung, deren Indikatoren im Bereich Lehre auf schnelles und intensives Studieren abzielen.
Geplant sind u. a.:
- eine Mindeststudienleistung von 24 ECTS-Punkten innerhalb von zwei Jahren in Kombination mit einer 10-Jahre-Sperre bei Nichterfüllung,
- keine Berücksichtigung des Beurlaubungsgrundes „Berufstätigkeit“ sowie Wegfall der Möglichkeit, diesen oder weitere Gründe in den Satzungen der jeweiligen Unis festlegen zu können,
- Reduktion der Mindestanzahl an Prüfungsterminen im Semester und verkürzte Fristen durch Streichung der Nachfrist.
Alles spürbare Belastungen vor allem für jene, die sich ein Studium ohne Job nicht leisten können und/oder denen ein Einstieg ins Studium aus verschiedenen Gründen (z. B. nichttraditionelle Studierende mit Berufsreifeprüfung) schwerer fällt. Zu befürchten ist, dass insbesondere ältere, berufstätige Studierwillige sowie jene, die als Erste in der Familie ein Studium beginnen möchten, tendenziell abgeschreckt werden. Kleine Verbesserungen, wie Anrechnungsmöglichkeiten auch von Berufstätigkeit, wiegen die Verschärfungen nicht auf.
Es fehlt …
Ein zusätzlicher Kritikpunkt ist, dass in den Erläuterungen zu den geplanten Maßnahmen keine Daten zur (potenziellen) Zahl der Betroffenen angeführt werden. Es fehlen beispielsweise Angaben zur Zahl jener, die aktuell keine Mindeststudienleistung von 24 ECTS-Punkten nach zwei Jahren nachweisen können. Auch über die Anzahl der derzeitigen Beurlaubungsfälle und -gründe, der Zulassungen innerhalb der Nachfrist, die Anrechnungen oder die Teilnahmefrequenz bei Prüfungsterminen gibt es keine Informationen.
Es fehlt zudem eine Abschätzung, welche Auswirkungen diese Novelle auf die soziale Zusammensetzung der Studierenden hat und welche Mechanismen der Selbstselektivität zu erwarten sind – allesamt Entwicklungen, die der 2017 beschlossenen „Strategie zur sozialen Dimension in der Hochschulbildung“ entgegenlaufen. Und das, obwohl die Strategie bislang leider noch wenig Wirkung gezeigt hat: Der Wahrscheinlichkeitsfaktor zur Studienaufnahme von inländischen AnfängerInnen, deren Vater über keine Matura verfügt, hat sich laut Studierenden-Sozialerhebung 2019 an öffentlichen Universitäten mit einem Wert von 2,98 (2013/14: 2,80) sogar verschlechtert.
Weiters fehlt der Bezug zur Studienförderung. Viele, die sich kein Vollzeitstudium leisten können und gar kein oder ein zu geringes Stipendium erhalten, sind auf Erwerbstätigkeit angewiesen. Trotz der Stipendienreform 2017 stagniert der Anteil der StipendienbezieherInnen. Nur etwa 43.000 der über 300.000 Studierenden bekommen überhaupt eine Beihilfe. Vor allem die Quote bei der „normalen“ elternabhängigen Studienbeihilfe ist seit 2009 von 18 Prozent auf 12,4 Prozent zurückgegangen. Nach wie vor bekommen nur etwa 7 Prozent ein vom Elterneinkommen unabhängiges „SelbsterhalterInnen-Stipendium“ und 0,2 Prozent ein Studienabschluss-Stipendium. Die Zuverdienstgrenze wurde zwar vor Kurzem erhöht, dies löst aber die strukturellen Probleme nicht, zumal in der Corona-Krise auch viele Studierende ihre Jobs verloren haben.
Keine Zeit für neue Hürden!
Neben dem Studienrecht gibt es zudem noch andere zentrale Kritikpunkte: Die geplante Schwächung der Kompetenzen der Senate sowie die möglichen Auflagen bei der Entsendung von Studierenden in die Kollegialorgane der Senate sind aus demokratiepolitischen Erwägungen problematisch. Auch in Hinblick auf die Situation der Universitätsbeschäftigten wird das Problem der Kettenverträge neuerlich nicht gelöst, was aus arbeitsrechtlicher Sicht äußerst bedenklich erscheint.
Angesichts all dieser Baustellen ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb die Novelle des Universitätsgesetzes unter den Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie im Eiltempo umgesetzt werden muss.
In den genannten zentralen Punkten sind weitere Gespräche, insbesondere mit Vertretungen der Studierenden und ArbeitnehmerInnen, sowie die Vorlage von Daten zu den Betroffenen, Kostenabschätzungen etc. nötig. Das Wissenschaftsministerium ist gefordert, die Novelle des Universitätsgesetzes noch einmal grundlegend vor allem im Hinblick auf die soziale Dimension im Hochschulbereich sowie die Bedürfnisse berufstätiger Studierender zu überarbeiten, denn Universitäten brauchen mehr soziale Vielfalt und nicht noch weniger. Statt Studierende in einer ohnehin bestehenden Ausnahmesituation zusätzlich unter Druck zu setzen, müssen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Beruf umgesetzt werden, wie etwa die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums, ein gesetzlicher Beurlaubungsgrund „Berufstätigkeit“, verbesserte Information und Beratung über berufsbegleitende Studienvarianten, Wiedereinführung des Erlassgrundes „Berufstätigkeit“ bei den Studienbeiträgen sowie eine umfassende Reform des Stipendienwesens.
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