Seit dem Wintersemester 2018/19 müssen berufstätige Studierende, die länger als die Mindeststudiendauer plus zwei Toleranzsemester für ihr Studium brauchen, wieder Studiengebühren bezahlen. Das hat zu knapp 6.000 Studienabbrüchen geführt. Mehr als 16.000 erwerbstätige Studierende müssen jetzt trotz Mehrfachbelastung Gebühren zahlen, eine spürbare Verbesserung der Studienbedingungen für Berufstätige an Universitäten ist bislang allerdings nicht in Sicht.
Studierende an Universitäten, die länger als die vorgesehene Mindeststudiendauer plus zwei Toleranzsemester studieren, müssen grundsätzlich Studiengebühren zahlen, wobei es verschiedene Erlassgründe gibt. Bis vor Kurzem zählte auch „Berufstätigkeit“ dazu. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Bestimmung aufgehoben und dem Wissenschaftsministerium eine „Reparaturfrist“ für eine Novelle des Universitätsgesetzes eingeräumt. Diese Frist wurde allerdings trotz eines entsprechenden Antrags im Parlament nicht genutzt.
Knapp 6.000 Drop-outs, etwa 1.300 in Technikstudien
Eine aktuelle Anfragebeantwortung des Wissenschaftsministeriums macht deutlich, dass diese Änderung weitreichende Folgen hat: Von den 25.000 betroffenen berufstätigen Studierenden hat ein Viertel nach Wiedereinführung der Studiengebühren das Studium abgebrochen. Über die Gründe dieser Drop-outs oder die Gruppe der Betroffenen kann man nur Vermutungen anstellen, denn auch das zuständige Wissenschaftsministerium macht dazu keine Angaben – weder über die soziale Herkunft, den Studienfortschritt noch die jeweiligen Motive des Studienabbruchs.
Es ist allerdings davon auszugehen, dass es sich bei den Drop-outs zum Teil um Studierende aus Familien mit einem geringeren Haushaltseinkommen handelt, denn Studierende aus finanziell bessergestellten Elternhäusern haben häufig die Möglichkeit zu studieren, ohne nebenbei einer Berufstätigkeit nachgehen zu müssen. Studierende, die diesen Startvorteil nicht haben, können sich hingegen ihr Studium ohne Job vielfach nicht leisten. Das führt wiederum häufig dazu, dass sie aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit länger bis zum Studienabschluss brauchen. Zusätzliche Gebühren führen eher dazu, die Motivation fürs Studium zu drücken bzw. sich angesichts der Doppelbelastung von Studium und Beruf aus finanziellen Gründen für Letzteren zu entscheiden. Zudem ist ein Stipendienbezug aufgrund von strengen Bezugskriterien (z. B. Altersgrenzen) meist nicht möglich.
Eine weitere Gruppe der StudienabbrecherInnen sind vermutlich jene, die sich neben dem Beruf höherqualifizieren. Aus der AK-Beratungstätigkeit ist bekannt, dass sich Berufstätige mehrfach überlegen, ob sie über einen längeren Zeitraum eine Pauschalgebühr von 363 Euro aufwenden können und wollen, wenn sie nur wenige Prüfungen im Semester machen. Es handelt sich dabei auch um kein reines „Doktoratsproblem“, denn laut Anfragebeantwortung betreffen fast 70 Prozent der Studienabbrüche Bachelor- und Diplomstudien. Im Sinne des „lebensbegleitenden Lernens“ ist diese Entwicklung selbstverständlich nicht wünschenswert.
Besonders unerfreulich ist darüber hinaus die Tatsache, dass Technikstudierende in besonders hohem Ausmaß ihr Studium abgebrochen haben (siehe untenstehende Tabelle). Vor dem Hintergrund zahlreicher Initiativen zur Attraktivierung von Technikstudien sollte das Anlass zur Reflexion bieten.
Personen mit dem Studienbeitragsstatus „Erwerbstätigkeit“ im Wintersemester 2017, die ihr Studium im Wintersemester 2018 nicht fortsetzten | ||
Anteil | Personen | |
Geistes- und kulturwissenschaftliche Studien | 24% | 1.385 |
Ingenieurwissenschaftliche Studien | 22% | 1.289 |
Interdisziplinäre Studien | 0% | 3 |
Künstlerische Studien | 1% | 43 |
Lehramtsstudien | 5% | 281 |
Medizinische Studien | 1% | 44 |
Naturwissenschaftliche Studien | 8% | 466 |
Rechtswissenschaftliche Studien | 20% | 1.172 |
Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studien | 17% | 989 |
Theologische Studien | 1% | 44 |
Veterinärmedizinische Studien | 0% | 6 |
Individuelle Studien | 0% | 14 |
Sonstige Studienaktivitäten | 0% | 0 |
Insgesamt | 100% | 5.736 |
Quelle: Anfragebeantwortung des Ministeriums: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_02930/imfname_749824.pdf
Über 16.000 erwerbstätige Studierende zahlen
Die verbleibenden betroffenen Studierenden, das sind mehr als 16.000, müssen seither, auf den Monat umgelegt, 60 Euro mehr aufbringen. Berufstätige Studierende werden damit doppelt zur Kasse gebeten: Denn neben den Studiengebühren finanzieren sie in der Regel schon über ihre Steuern – aus ihrer Berufstätigkeit – bereits die Universitäten mit. Im Unterschied zu Vollzeitstudierenden, die die Regelstudienzeit viel leichter einhalten können, stehen berufstätige Studierende zudem vor zahlreichen Herausforderungen, um die schwierige Balance zwischen Studium, Beruf, Familie, Haushalt und Freizeit zu meistern.
Wie die Hochschulstatistik jedoch zeigt: Das Uni-Studium tatsächlich in der „Toleranzzeit“ abzuschließen, ist generell eher die Ausnahme. An der Uni Wien beispielsweise beendet nicht einmal ein Viertel der Studierenden das Studium in der Toleranzzeit, an der WU Wien ist es etwas mehr als ein Drittel. Die meisten Abschlüsse innerhalb der Toleranzzeit gibt es an den medizinischen Universitäten – ihre Studien gelten allerdings als sozial hoch selektiv und berufsbegleitend kaum studierbar. Dies ist an den Fachhochschulen anders: FH-Studien sind – nicht zuletzt aufgrund ihres Aufbaus – üblicherweise in der Regelstudienzeit absolvierbar, und es gibt spezielle berufsbegleitende Studienangebote.
Durch die zusätzlichen Studiengebühren von 16.000 erwerbstätigen Studierenden haben die Unis insgesamt geschätzte Mehreinnahmen von rund 12 Millionen Euro im Jahr. Zwar wurden spezielle Stipendienprogramme seitens der einzelnen Universitäten geschaffen, um finanzielle Härtefälle abzufedern (AK-Broschüre „Studiengebühren“), diese sind aber aller Voraussicht nach nur eine Entlastung für sehr wenige Studierende.
Mehr tun für berufstätige Studierende!
Aus ArbeitnehmerInnensicht sollte Berufstätigkeit wieder als Grund für den Erlass von Studiengebühren gelten. Denn negative Impulse wie Studiengebühren in späteren Phasen des Studiums, die mehr Studienabbrüche bewirken, sind nicht nur für die Betroffenen persönlich, sondern auch bildungs- und arbeitsmarktpolitisch ein Problem.
Angesichts der vielen, zum Teil Gebühren zahlenden Berufstätigen ist es umso wichtiger, an den Universitäten endlich konkrete Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Beruf zu setzen. Immerhin stehen derzeit zusätzlich zu den gestiegenen Uni-Budgets auch die Mittel aus den eingenommenen Studienbeiträgen zur Verfügung!
Ein relevanter Beitrag dazu wäre die Umsetzung der „Nationalen Strategie zur sozialen Dimension“, die 2017 vom Wissenschaftsministerium veröffentlicht wurde. In dieser wird u. a. das Ziel formuliert, „(sozial bedingte) Studienabbrüche bestmöglich zu verhindern bzw. die Studienerfolgschancen für alle Studierendengruppen zu verbessern“. Auch die Vereinbarkeit des Studiums mit anderen Lebensbereichen, insbesondere auch der Erwerbstätigkeit, wird thematisiert.
Wenn diese Ziele keine reinen Lippenbekenntnisse sein sollen, müssen die Universitäten rasch Änderungen im Lehr- und Studienbetrieb auf den Weg bringen, die Berufstätigen künftig ein von organisatorischen Barrieren freies Universitätsstudium erlauben. Die AK hat diesbezüglich schon viele Vorschläge gemacht. Die Palette reicht hier von mehr berufsbegleitenden Studienangeboten und einer speziellen Beratung vor dem Studium über die leichtere Anrechnung von Vorwissen und beruflicher Erfahrung, der Erhöhung der Planbarkeit und Transparenz, flexiblerer Gestaltung von Anwesenheitszeiten und Unterstützungssystemen (z. B. Mentoring-Programmen) während des Studiums bis hin zu verbesserten E-Learning-Angeboten und Maßnahmen im Rahmen der Hochschuldidaktik.
Wichtig ist zudem, dass die staatliche Studienförderung weiter verbessert wird, zum Beispiel in Form einer Anhebung der Altersgrenzen für den Stipendienbezug.
Politik, Hochschulen, aber auch Wirtschaft gefordert
Berufstätige Studierende brauchen jedoch nicht nur gute Rahmenbedingungen beim Studieren, sondern auch ein förderliches Arbeitsumfeld, insbesondere in Form von Unterstützungen durch die ArbeitgeberInnen, wie zum Beispiel die Möglichkeit einer flexiblen Zeiteinteilung, Dienstfreistellungen, die Übernahme von Studienbeiträgen oder die Genehmigung von Bildungskarenz etwa für das Schreiben von Abschlussarbeiten.
Die Studierenden-Sozialerhebung im nächsten Jahr wird auch aktuelle Daten zur Lage der berufstätigen Studierenden insgesamt liefern. Wichtig wäre jedoch eine detaillierte Untersuchung der Drop-outs seitens des Wissenschaftsressorts, um Näheres über diese Betroffenen zu erfahren und auch daraus entsprechende Initiativen ableiten zu können.
Mehr tun für berufstätige Studierende muss jedenfalls die hochschulpolitische Devise der nächsten Jahre sein, nicht nur für die neu gewählte Studierendenvertretung, sondern insbesondere auch für das (künftige) Wissenschaftsministerium und die Hochschulen.