Elektronikindustrie – Arbeiter:innen berichten von Zwangsarbeit

31. Mai 2023

Aus unserem Alltag sind elektronische Geräte kaum wegzudenken. Die Welt hinter den Produkten ist aber problematischer, als es manchmal scheint. Um Produktionskosten zu reduzieren, werden Elektronikgeräte großteils in Ländern mit geringen Löhnen und schlechten Standards bei Arbeitsrechten hergestellt. Eine aktuelle Studie, welche auf Interviews mit Arbeiter:innen basiert, bietet einen Überblick zu arbeitsrechtlichen Problemen bei der Fertigung von Elektronikgeräten.

Komplexe Lieferketten und lasche Gesetze

Über schlechte Arbeitsbedingungen innerhalb globaler Lieferketten wird laufend berichtet. Zuerst fallen vielen dabei die Ausbeutung von Arbeiter:innen bei der Produktion von Kleidung oder auf großen Plantagen ein. Aber auch in der Elektronikindustrie ist die Missachtung minimaler Arbeitsrechte vielfach dokumentiert.

Unternehmen sind in der Regel bestrebt, ihre Produktionskosten zu senken, um ihre Gewinne zu steigern oder abzusichern. Den führenden Unternehmen der IT-Branche ist es gelungen, große Teile ihrer Produktion in Länder mit niedrigem Lohnniveau auszulagern. Die dort vorherrschenden niedrigen Standards zum Schutz von Arbeitnehmer:innen sind ein wesentlicher Faktor, um ihre Kosten gering zu halten.

Aufgrund der technischen Komplexität sind die Lieferketten in der Elektronikindustrie sehr intransparent. Dadurch entsteht ein hohes Risiko, dass Arbeiter:innen ausbeuterischen Verhältnissen ausgesetzt sind. Die laschen Gesetze im Globalen Norden, wo ein großer Teil der global produzierten elektronischen Geräte gekauft wird, begünstigt diese Missstände.

Zwangsarbeit in der Elektronikfertigung

Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) definiert Zwangsarbeit wie folgt: „[…] jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ (Übereinkommen Nr. 29, Artikel 2). In absoluten Zahlen ist die Anzahl der von Zwangsarbeit betroffenen Menschen schwer zu eruieren. Die IAO hat im Jahr 2022 Schätzungen veröffentlicht, in denen von 28 Millionen Menschen in Zwangsarbeit über alle Branchen hinweg ausgegangen wird.

Die beiden NGOs Electronics Watch und Südwind stützen sich in ihrem Report Bericht zu den Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie auf Interviews mit Arbeiter:innen. Zwangsarbeit ist neben anderen Missständen in Fertigungsbetrieben der Elektronikindustrie immer wieder ein Thema. Einen Überblick bietet das Informationsblatt Elektronik fair produziert?.

Electronics Watch untersucht seit 2015 aktiv die Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie. Südwind setzt sich seit Jahrzehnten für die Achtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten ein. Die Publikationen wurden im Rahmen des Projektes „Faire Elektronik-Lieferketten“ erstellt, gefördert vom Digitalisierungsfonds der AK Wien.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Erzwungene Überstunden

  • Arbeiter:innen werden gezwungen, Überstunden zu leisten, um überhaupt den Mindestlohn zu erhalten oder nicht entlassen zu werden.

Beschränkungen des Kündigungsrechts

  • Arbeiter:innen werden gehindert, eine Firma zu verlassen, indem sich die Vorgesetzten weigern, ihre Kündigungen zu bearbeiten oder ihnen das letzte Monatsgehalt nicht ausgezahlt wird.

Täuschung über Löhne und Leistungen

  • Arbeiter:innen werden von Agenturen angeworben, die ihnen falsche Versprechungen zu Löhnen machen und schlechte Arbeitsbedingungen verheimlichen. Ein Ausstieg aus den Verträgen ist oft unmöglich.

Schuldknechtschaft

  • Arbeitnehmer:innen müssen sich verschulden, um überhöhte Gebühren an Personalvermittler zu bezahlen. Reisedokumente werden abgenommen, um eine Rückzahlung der Schulden zu erpressen.

Beschränkungen der Freizügigkeit

  • Firmenleitungen zwingen Wanderarbeiter:innen, in ihrer Freizeit in Fabriken oder Wohnheimen zu bleiben. Die COVID-19-Pandemie verschärfte diese Situation.

Einschüchterung von Gewerkschafter:innen – Fallbeispiel Philippinen

Die Philippinen zählen zu den wichtigsten Ländern für die Elektronikproduktion. Arbeiter:innen erhalten etwa sechs US-Dollar für acht Stunden Arbeit. Das ist zu wenig, um ihre Familien zu ernähren. Mitglieder der Gewerkschaften sind oft Repressionen ausgesetzt, erzählt Julius Carandang, Sekretär der „Metal Workers Alliance of the Philippines“. Seit 16 Jahren unterstützt dieser Verband von Betriebsgewerkschaften seine Mitglieder dabei, konkrete Verbesserungen durchzusetzen. So ist es gemeinsam gelungen, in den Betrieben während des Corona-Lockdowns einen bezahlten Pandemieurlaub durchzusetzen.

Laut Jessica Bonus, die seit 19 Jahren als Löterin bei MEC Electronics arbeitet, erhalten Angestellte nur 210 US-Dollar pro Monat. Das entspricht etwa einem Drittel des existenzsichernden Lohns. Sie arbeitet dafür zwölf Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Arbeiter:innen berichten von Lungenerkrankungen durch das Löten. Die Geschäftsleitung verbietet den Beitritt zur Gewerkschaft. Gewerkschaftsmitglieder bei MEC haben Angst vor Repressionen. Forderungen nach Lohnerhöhungen sind bisher gescheitert.

Öffentliche Auftragsvergabe als treibende Kraft einer Verbesserung

Für einen Wandel hin zu faireren Arbeitsbedingungen kann die öffentliche Auftragsvergabe eine wichtige Rolle spielen. Öffentliche Einrichtungen, wie Bund, Länder und Gemeinden, kaufen einen großen Teil der Elektronikproduktion ein. Durch konsequente Kooperation können öffentliche Beschaffer:innen den Markt gestalten. Sie können von ihren Lieferant:innen die Umsetzung sozialer und ökologischer Standards einfordern. Bereits über 900 öffentliche Einrichtungen arbeiten mit Electronics Watch. Expert:innen im Globalen Süden überwachen in Zusammenarbeit mit den Arbeiter:innen die Einhaltung der sozialen Kriterien.

Lieferkettengesetz zum Schutz der Arbeiter:innen

Teile der Elektronikindustrie arbeiten seit 2004 im Zusammenschluss Responsible Business Alliance an Verbesserungen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Selbstverpflichtungen der Industrie reichen jedoch nicht aus. Die Interviews mit Arbeiter:innen zeigen, dass die strukturellen Missstände so nicht beseitigt werden konnten. Es besteht ein Machtgefälle zwischen großen Unternehmen in den Industriestaaten und Arbeiter:innen im Globalen Süden. Deswegen sind Gesetze zur Sorgfaltspflicht notwendig. Diese sollen Unternehmen zur Einhaltung von grundlegenden Arbeitsrechten entlang ihrer Lieferketten verpflichten. Menschenrechte brauchen Gesetze.

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