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Rechtsvorschlag gegen Zwangsarbeit soll im September 2022 kommen
Bei ihrer Rede zur Lage der Union 2021 kündigte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen ein Verbot für Produkte an, die durch Zwangsarbeit hergestellt wurden. Ein halbes Jahr später präsentierte die Europäische Kommission eine Strategie zur weltweiten Förderung menschenwürdiger Arbeit und bereitet seither eine Gesetzesinitiative vor, die das Inverkehrbringen von Produkten aus Zwangsarbeit auf dem EU-Markt verbieten soll. Die Bestimmung soll für Waren gelten, die innerhalb und außerhalb der EU hergestellt werden. Das Instrument soll auf internationalen Standards wie den Bestimmungen der ILO aufbauen und insbesondere das derzeit in Verhandlung stehende Lieferkettengesetz ergänzen.
Das EU-Parlament formulierte seine Anforderungen an eine künftige Regelung im Juni 2022 in Form einer Resolution für ein neues Handelsinstrument zum Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Das Parlament fordert dabei, dass das neue Handelsinstrument WTO-kompatibel ist und künftige Sorgfaltspflichten von Unternehmen ergänzt. Der neue Vorschlag soll sich an bestehenden Regelungen von Ländern wie den USA oder Kanada orientieren, die Produkte aus Zwangsarbeit verbieten. Zollbehörden sollen in Verdachtsfällen Waren an der EU-Grenze zurückhalten können. Ähnlich wie in den USA oder Kanada soll der betroffene Importeur die Möglichkeit erhalten, den Vorwurf der Zwangsarbeit zu entkräften, indem er die Unbedenklichkeit der Waren nachweist.
Die EU-Kommission plant, ihren Vorschlag Mitte September 2022 zu veröffentlichen und damit der Idee des Verbots eine Gestalt zu geben.
WTO-Zwänge
Das allgemeine Zoll- und Freihandelsabkommen GATT verpflichtet die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) zur Einhaltung einer Reihe von Grundprinzipien des freien Handels und zum Abbau von Handelshemmnissen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie ein künftiges Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit ausgestaltet sein muss, um den Anforderungen der WTO zu entsprechen.
Angesichts der Tatsache, dass Zwangsarbeit wie gezeigt auch in der EU weiterhin eine unrühmliche Realität darstellt, müsste eine künftige Regelung wohl sowohl für den Export als auch den Import von Produkten zur Anwendung kommen, um eine Diskriminierung aufgrund des geografischen Ursprungs zu vermeiden. Diese Vorgehensweise wurde beispielsweise auch bei der derzeit in Verhandlung stehenden Verordnung über entwaldungsfreie Produkte gewählt.
Handelsbeeinflussende Maßnahmen können auf der Grundlage von allgemeinen Ausnahmen (Artikel XX und XXI GATT) zulässig sein. Im Falle eines Verbots von Produkten aus Zwangsarbeit kommen etwa Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit sowie zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen sowie Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit infrage. Generell ist jedoch kritisch anzumerken, dass eine klar definierte Ausnahmeregelung im WTO-Regelwerk für Sozial- und Umweltstandards wie die ILO-Kernarbeitsnormen fehlt und so im jetzigen System Handelsinteressen Vorrang vor Menschenrechten haben.
Vorbild USA?
Die USA haben schon seit 1890 im Rahmen des Wettbewerbsschutzes ein Importverbot für Produkte, die durch Zwangsarbeit hergestellt wurden. Nach Abschaffung der Sklaverei in den USA waren US-Produzenten mit billigen Konkurrenzprodukten aus dem Ausland konfrontiert, die unter Zwangsarbeit hergestellt wurden. Dagegen sollte Abhilfe geschaffen werden. Dass der Schutz von Menschenrechten beim Erlass der Regelung keine Rolle spielte, zeigt eine bis 2016 gültige Ausnahmeregelung: Demnach konnten Produkte aus Zwangsarbeit ungehindert importiert werden, wenn der Bedarf nicht durch die heimische Produktion abgedeckt werden konnte. Erst nach Abschaffung dieser Ausnahmeregelung vor sechs Jahren wuchsen der Regelung in Abschnitt 307 des Zollgesetzes von 1930 Zähne. Zwischen 2016 und 2021 hat die US-Zoll- und -Grenzschutzbehörde fast 30 „Withhold Release Orders“ (WROs) ausgestellt, welche die Einfuhr bestimmter Waren verbieten, die im Verdacht stehen, durch Zwangsarbeit hergestellt worden zu sein. Teilweise handelte es sich dabei auch um branchen- und landesweite Anordnungen, die eine ganze Produktlinie aus einem Land oder einer Region abdecken. Unter anderem waren Baumwolle aus Turkmenistan, Tabak aus Malawi und malaysische Einweghandschuhe von solchen WROs betroffen. Allein im Geschäftsjahr 2021 haben die USA mehr als 1.400 Warensendungen abgefangen, die unter dem Verdacht standen, unter Zwangsarbeit hergestellt worden zu sein. Im Jänner 2021 wurde eine regionsweite WRO für Baumwolle und Tomaten (und daraus weiterverarbeiteten Produkten) aus Xinjiang erlassen. Bis Mai 2022 wurden 811 Lieferungen von Baumwolle und Tomaten aus Xinjiang beschlagnahmt. Mehr als 40 Prozent des weltweit produzierten Polysiliziums (Solarzellen), ein Viertel des Tomatenmarks und ein Fünftel der Baumwollvorräte stammen aus Xinjiang. Eine Schätzung geht davon aus, dass von 13 Milliarden Stück Baumwollkleidung, die 2019 in die USA importiert wurden, mindestens zwei Milliarden zumindest teilweise in Xinjiang hergestellt wurden.
Seit Juni 2022 ist in den USA zudem der sogenannte Uyghur Forced Labor Prevention Act in Kraft. Das Gesetz geht automatisch davon aus, dass in Xinjiang produzierte oder hergestellte Waren mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, sofern keine eindeutigen und überzeugenden gegenteiligen Beweise vorgelegt werden können.
Offene Fragen
Ein wirksames Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, ist zu begrüßen. Die Resolution des EU-Parlaments ist ein erster wichtiger Schritt, allerdings sollte sich ein geplantes Verbot nicht auf Zwangsarbeit beschränken, sondern auch andere Formen ausbeuterischer Arbeit umfassen.
In der Praxis wird sich die Frage stellen, wie ein derartiges Verbot durchgesetzt werden kann. Globale Lieferketten sind oft weit verzweigt und undurchsichtig. Einerseits greifen Unternehmen oft auf komplexe Subunternehmerketten zurück, und anderseits ist oftmals nicht nachvollziehbar, von welchem Produktionsstandort bestimmte Produkte kommen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es noch viele offene Fragen bezüglich der genauen Ausgestaltung und Umsetzung eines Import- und Exportverbots für Produkte aus Zwangsarbeit gibt. Es bleibt abzuwarten, wie der Entwurf der EU-Kommission aussehen wird, um eine umfassende Beurteilung vornehmen zu können. Zentral wird dabei sein, dass die Europäische Kommission einen menschenrechtszentrierten Ansatz verfolgt, der als ein Baustein einer einheitlichen EU-Politik verstanden wird, menschenwürdige Arbeit weltweit zu fördern.
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