Wenn sogar von der konservativen britischen Regierung, einer der liberalisierungsfreundlichsten in ganz Europa, eine Wiederverstaatlichung von Eisenbahnlinien durchgeführt werden muss, dann wird kräftig am Dogma des allheilbringenden Wettbewerbs gerüttelt. Das geschieht allerdings völlig zu Recht. Statt der versprochenen Qualitätssteigerung und der Budgeteinsparungen steht der liberalisierte Schienenmarkt vor dem Fiasko schwindender Anteile am Gesamtverkehrsmarkt, unzufriedenen und vom Verkehr ausgeschlossenen Fahrgästen, einer enormen Kostenexplosion und unter dem Diktat einiger weniger Monopolanbieter. Genau deswegen wollen 76 Prozent der Briten ihre „British Rail“ zurück.
Rule Britannia?
Schon zum zweiten Mal muss, wie gerade eben bei der East Coast Mainline, der britische Staat eine privatisierte Bahn übernehmen, da sich diese schlicht „verkalkuliert“ hat. Negative Betriebsergebnisse sind eigentlich verwunderlich, angesichts gigantischer Summen, die Pendlerinnen und Pendler für ihre Tickets hinblättern müssen. Laut der Zeitschrift Spiegel berappt man auf „der krisengeschüttelten, rund 80 km langen Strecke Brighton-London“ derzeit 4.320 Pfund für ein Jahresticket, das sind rund 5.000 Euro. Hinzu kommen noch mindestens 1.200 Euro für den Londoner Stadtverkehr. Im nicht liberalisierten österreichischen Markt bezahlt man für eine ähnlich lange Strecke (Wien–Melk) nur rund 1.700 Euro und das bei höherer Pünktlichkeit, mehr Sitzplätzen, geringeren Staatssubventionen und inklusive des gesamten Wiener Stadtverkehrs. Laut den Europäischen Railregulatoren bezahlt man im liberalen Großbritannien 19 Cent je Passagierkilometer, in Österreich acht Cent. Es ist richtig, dass das britische Preisniveau allgemein höher als jenes in Österreich ist, dennoch lassen sich derartige Preisunterschiede allein dadurch nicht erklären. Letztlich geben Briten bis zu 14 Prozent des Durchschnittlohnes für PendlerInnenkarten aus.
Nicht nur für die PendlerInnen ist es teuer, auch die SteuerzahlerInnen zahlen kräftig drauf und zwar ein Vielfaches dessen, was an die staatliche „British Rail“ gegangen ist (Britische Bahnen Zurück zum Staat).
Internationale Monopole und Sozialdumping
Werden Linien oder Netze ausgeschrieben, bieten vor allem internationale Bahnkonzerne um die Verkehrsaufträge mit. Den Markt dominieren wenige Unternehmen wie Keolis, Transdev, Arriva, Abellio und Netinera. Diese sind „milliardenschwere“ Tochterunternehmen von ausländischen Staatsunternehmen wie der DB (D), der SNCF (F), der CDC (F), der NS (NL) oder der Trenitalia (I). Auch an der in Österreich verkehrenden Westbahn AG hält die SNCF Anteile. Die Zahl der Bieter bei Ausschreibungen ist rückläufig, Tendenzen zur Monopolisierung sind bereits zu erkennen. Kauft man beispielsweise in Großbritannien Tickets von Thameslink, Gatwick Express, Grand Central, Chiltern Railways, Merseyrail, Scotrail, Greater Anglia, London Midland, DLR, Northern Rail u. v. a. m., fließen die Gewinne der Unternehmen ins Ausland ab. Würde in Österreich ausgeschrieben werden, würden auch andere Unternehmen als die 23 Österreichischen (wie ÖBB, STLB, GKB, Montafonerbahn, Stern und Hafferl, WLB, SLB) Verkehre abwickeln. Gewinne der rot-weiß-roten Unternehmen können so nicht mehr ins Landes- oder Bundesbudget überwiesen werden.
Bei Ausschreibungen ist der Preis ausschlaggebend. Will man hier das günstigste Angebot liefern, gibt es nur wenige Möglichkeiten, letztlich sind die Fahrzeugpreise für alle Anbieter nahezu ident. Ebenso zahlt jedes Unternehmen für die Schienenmaut und den Fahrstrom das Gleiche. Wichtigste Stellschraube sind daher die Personalkosten. Am Bahnverkehr in Österreich hängen 60.000 fair bezahlte Arbeitsplätze, gerade auch in strukturschwachen Regionen. Hier warnt der bereits ausgeschriebene Busbereich: Lohn- und Sozialdumping sind an der Tagesordnung, Beschäftigte werden immer häufiger miserabel entlohnt und das bei schlechter werdenden Arbeitsbedingungen. Liberalisierung und Ausschreibung führen zu Lohn- und Sozialdumping und ignorieren die regionalen Bedürfnisse.
Österreich fährt ohne Wettbewerb deutlich besser
Fahrgastumfragen zeigen, dass nicht liberalisierte Länder wie Österreich weitaus besser fahren. Für Österreich äußert sich das neben geringeren Preisen im besten Bahnsystem Europas. In keinem anderen EU-Land wird mehr Bahn gefahren als in Österreich. So fahren die Österreicher 1.427 km pro Person im Jahr, gefolgt von Frankreich mit 1.387 km. In Großbritannien sind es nur 1.020 km pro Person und Jahr. Unangefochtener Spitzenreiter am gesamten Kontinent ist aber die Schweiz (2.449 km), ein Land das Liberalisierung im Bahnbereich ablehnt. Österreichs BahnkundInnen sind, natürlich mit weiterem Verbesserungsbedarf, sehr zufrieden, jedenfalls rangieren unsere Bahnen immer im Spitzenfeld. Die Gegenüberstellung der KundInnenzufriedenheit (Eurobarameter 2012) aller EU-Länder zeigt allgemein, dass die Behauptung, jede weitere Liberalisierung würde zu zufriedeneren KundInnen führen, schlicht falsch ist.
Bring back British Rail – Liberalisierung ist längst nicht mehr mehrheitsfähig
Die neuerliche Wiederverstaatlichung einer Zugverbindung hat in Großbritannien eine heftige Kontroverse ausgelöst. Auf der einen Seite die Unternehmen und die konservative Regierung und auf der anderen Seite die Opposition, Bürgerinitiativen („Bring back British Rail“ oder „Action for Rail“) und die Mehrheit Bevölkerung. In einer Umfrage haben sich 76 Prozent der BritInnen für eine Wiederverstaatlichung ausgesprochen. Die von der EU und der derzeitigen britischen Regierung vertretene Meinung, wonach die Verteidigung des „freien Marktes“ die einzige Möglichkeit sei, für alle den Lebensstandard zu heben, ist einerseits von den Fakten wiederlegt und stößt andererseits bei den Betroffenen auf breite Ablehnung. Automatische Wohlfahrtseffekte von Bahnprivatisierungen sind wirtschaftswissenschaftlich nicht belegbar (vgl. dazu Jakob Kapeller). Jedenfalls lassen sich „mit der ökonomischen Standardtheorie für so komplexe Leistungen, wie es eben öffentliche Verkehre sind, keine Effizienzvorteile von Ausschreibungen erkennen.“
Die BritInnen haben, getrieben von den Liberalisierungsdogmatikern, mit wettbewerblichen Ausschreibungen eine seit mehr als 20 Jahren dauernde Geschichte des Scheiterns hinter sich. Politische Konsequenz wäre daher, endlich die Liberalisierung der Bahnen nicht nur in Großbritannien, sondern europaweit zu stoppen und zurückzudrehen. Auftrag der SteuerzahlerInnen ist es nämlich nicht, mit der Bahn möglichst viel Geld zu verdienen oder Aktienmärkte zu bedienen. Auftrag ist, der Bevölkerung einen leistbaren, flächendeckenden und zugänglichen Verkehr mit fairen Arbeitsbedingungen anzubieten.