Homeoffice - Flexibilisierung und Modernisierung, aber um welchen Preis?

22. Dezember 2020

Kaum ein anderes arbeitsrechtliches Instrument hat in der Coronakrise eine derartige Renaissance erlebt, wie das Homeoffice.

Während die „Heimarbeit“ in der eigenen Wohnung zur Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung und Verpackung von Waren als klassische ArbeiterInnentätigkeit schon seit den 1960er Jahren im Heimarbeitsgesetz verankert ist, blieb das aktuell vor allem für Angestellte relevante „Homeoffice“, wie es heute gelebt wird, bisher weitestgehend ungeregelt. Der in der österreichischen Arbeitswelt tief verwurzelte Hang zum Präsentismus äußerte sich auch in der Inanspruchnahme des Homeoffice in der Praxis: noch vor Beginn der Pandemie bewegte sich der Anteil der unselbstständig Beschäftigten, die regelmäßig von zu Hause arbeiteten, durchschnittlich im einstelligen Prozentbereich.

Die Motivation des Gesetzgebers, das Homeoffice praxistauglich zu regeln und damit klare arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, hielt sich dementsprechend in Grenzen.

Corona hat gezeigt: Es gibt zu viele Graubereiche

Der regelrechte Ansturm auf das Homeoffice mit Verhängung des ersten Lockdowns sorgte bei einem Großteil der Betroffenen für ein unüberhörbares Aufatmen. Der Arbeitsplatz schien gerettet, der Entgeltanspruch gesichert, das Homeschooling und Distance Learning bewältigbar. Ob und inwieweit die bevorstehenden Abläufe im Homeoffice auch tatsächlich in klaren arbeitsrechtlichen Bahnen verliefen, war im ersten Moment jedenfalls zweitrangig.

Mit über 40% aller Beschäftigten, die seit Beginn der Pandemie regelmäßig von zu Hause arbeiten, dauerte es allerdings nicht allzu lange, bis die vielen Graubereiche des bestehenden arbeitsrechtlichen Gefüges zum Vorschein kamen – immerhin, und das verwundert nicht, waren bisherige gesetzliche Regelungen primär im Hinblick auf eine Beschäftigung in den Betriebsräumlichkeiten des Arbeitgebers getroffen worden.

Der lückenhafte ArbeitnehmerInnenschutz, ein nicht zwingender Kostenersatzanspruch für Anschaffungen im und für das Homeoffice, eine sehr kasuistische Rechtsprechung zum Unfallversicherungsschutz bei Telearbeit, Entgrenzung und damit einhergehend eine enorme Herausforderung für zahlreiche Betriebsratskörperschaften, ihre betrieblichen Mitbestimmungsrechte auszuüben – mit seinem Beitrag am Blog hat Michael Gogola die vielen Herausforderungen erst kürzlich wunderbar auf den Punkt gebracht.

BMin Aschbacher: „Die Sozialpartner sind am Zug“

Schon in den Sommermonaten wurden Stimmen laut, dass im Spätherbst eine zweite Pandemiewelle auch Österreich treffen würde. Dies nahmen die Sozialpartnerorganisationen zum Anlass, um rechtzeitig in Verhandlungen zu treten und das bewährte Kurzarbeitsmodell fit für die zweite Welle und damit auch einen allfälligen zweiten Lockdown zu machen.

Gleichzeitig formierte sich im Kabinett von Arbeitsministerin Christine Aschbacher eine Arbeitsgruppe, die die aus Sicht der Ministerin wichtigsten Themenblöcke einer künftigen Homeoffice-Regelung skizzierte:

  • Arbeitnehmerschutz
  • Arbeitszeit (und Arbeitsruhe)
  • Aufwandsersatz für die Heimarbeit mit oder ohne vom Arbeitgeber bereitgestellte Betriebsmittel

Für eine die nähere Ausgestaltung wurden Ende August schließlich die Sozialpartner ins Boot geholt, zugleich wurde ihnen für ihre Verhandlungen von Seiten der Bundesregierung eine Richtung vorgegeben: es müsse „moderner“ und „flexibler“ werden.

Modernisierung und Flexibilisierung – gut gemeint und dennoch gefährlich?

Obwohl BMin Aschbacher einen geplanten Abschluss der Verhandlungen erst für Ende März 2021 ankündigte, traten die Sozialpartnerorganisationen schon Anfang September in erste Gespräche. Zwar war das Thema „Kostenersatz im Homeoffice“ nicht sofort einem Konsens zugänglich, nichtsdestotrotz wurde von allen Seiten übereinstimmend signalisiert, dass der gemeinsame Sozialpartnerstandpunkt der Arbeitsministerin noch vor Jahresende vorgestellt werden könnte.

Doch womit ist hier eigentlich zu rechnen, wenn die Bundesregierung das Arbeitsrecht in puncto Homeoffice „modernisieren“ und „flexibilisieren“ möchte? Immerhin verlief auch die jüngste Novelle des Arbeitszeitgesetzes unter dem Arbeitstitel „Flexibilisierung“. Am Ende wurden in Österreich der 12-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Arbeitswoche weitestgehend legalisiert.

Kostenersatz muss Arbeitgebersache bleiben

Schon jetzt haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 1014 ABGB den Anspruch, jenen Aufwand ersetzt zu bekommen, den sie im Interesse des Arbeitgebers im Rahmen des Homeoffice tätigen. Das betrifft in der Praxis zumeist kleine Anschaffungen wie Druckerpapier oder Patronen, in einigen Fällen aber auch die Bereitstellung der unmittelbaren Betriebsmittel wie Laptop oder Diensthandy. Allerdings ist die gesetzliche Bestimmung dispositiv – sie kann somit auch zu Lasten der Beschäftigten abbedungen, ja sogar gänzlich ausgeschlossen werden. Sollte das auch in Zukunft weiterhin möglich sein, besteht die Gefahr, dass Arbeitgeber versuchen könnten, eine ihrer Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch einen Teil des unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten abzuwälzen.

Auch könnte die arbeitgeberseitige Pflicht zum Kostenersatz mit allfälligen Vorteilen gegenrechnet werden, die die Beschäftigten durch das Homeoffice erfahren. Immer öfter werden Stimmen von wirtschaftsnahen Rechtsvertretern laut, dass die Ersparnis der täglichen Anreise in den Betrieb letztendlich auch dem Arbeitgeber zu Gute kommen müsse, der Vorteil der Beschäftigten also mit dem Arbeitgeber geteilt werden solle. Diese Überlegung ist schon rein grundsätzlich eine falsche, sind die jeweiligen Vorteile in diesem Zusammenhang doch gar nicht konnex. Die Pflicht des Arbeitgebers, das alleinige Kostenrisiko für die Bereitstellung aller für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit erforderlichen Betriebsmittel zu tragen, kann nicht schon dadurch relativiert werden, dass sich ArbeitnehmerInnen möglicherweise das Busticket sparen.

Steuerpauschale statt Kostenersatz?

Mit der Ankündigung der deutschen Bundesregierung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Homeoffice mit einer steuerlichen Absetzbarkeit des finanziellen Aufwands zu entlasten und eine jährliche Homeoffice-Pauschale von bis zu 600 Euro einzuführen, wurden auch in Österreich Überlegungen laut, auf ein derartiges Modell zu setzen.

Das ist klar abzulehnen. Unbestritten – es braucht im Rahmen eines Gesamtpakets ebenfalls steuerliche Instrumente, um eine allfällige Absetzbarkeit von Werbungskosten auch im Homeoffice sicherzustellen. Allerdings liegt die Kostenverantwortung für die Bereitstellung allfälliger Betriebsmittel ausschließlich beim Arbeitgeber. Die Lösung der Kostenfrage über das Steuerrecht verlagert diese Verantwortung letztendlich auf ArbeitnehmerInnen und in letzter Konsequenz auf alle SteuerzahlerInnen, was naturgemäß schon an dieser Stelle völlig falsche Anreize setzen würde.

Allfällige Zuschüsse des Arbeitgebers zu Strom- und Internetkosten wären damit voll abgabenpflichtig (Steuer, Sozialversicherung, …) und könnten von den Beschäftigten erst im Zuge der ArbeitnehmerInnenveranlagung geltend gemacht werden, was jenen, die diese Kosten laufend selbst zu tragen haben, nur unwesentlich helfen würde.

Der Ersatz sämtlicher Aufwendungen im Homeoffice muss daher zwangsläufig über steuer- und sozialversicherungsfreie Pauschalen erfolgen (analog zum Kilometergeld). Dort (und nur dort), wo ein Kostenersatz durch den Arbeitgeber nicht erfolgt, wäre im letzten Schritt eine Steuerbegünstigung im Rahmen des Werbekostenabzugs zielführend.

Ruhezeiten – bloß keine Flexibilisierung!

Hellhörig wurde man auf Seiten der ArbeitnehmerInnenvertretung, als aus dem Arbeitsministerium der Ruf nach einer Flexibilisierung der bestehenden Ruhezeitregelungen ertönte. Die letzte „Modernisierung“ des Arbeitszeitgesetzes brachte für die Beschäftigten im Jahr 2018 immerhin kein sehr erfreuliches Ergebnis.

Schon jetzt zeigen aktuelle Umfragen, dass die bisher vereinbarte wöchentliche Normalarbeitszeit im Homeoffice nur schwer einzuhalten ist. Fast 40% der im Homeoffice Tätigen überschreiten in einer durchschnittlichen Arbeitswoche die 40-Stunden-Marke. Eine Flexibilisierung der Ruhezeiten, die wohl zwangsläufig auf eine Verkürzung ebendieser hinauslaufen würde, kann daher nur strikt abgelehnt werden.

Anders als das (nicht unbedingt zeitgemäße) ArbeitnehmerInnenschutzgesetz oder die Bestimmungen zum Kostenersatz, bietet das geltende Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz ausreichende Regelungen, um die Arbeitszeit auch im Homeoffice regeln zu können. Letztendlich sind diesbezügliche Flexibilisierungen, sofern sie im Einzelfall notwendig werden, weitaus zielgerechter auf einzelvertraglicher Ebene zwischen Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen gestaltbar, als über ein abstraktes, allgemeingültiges Gesetz.

Dienstverhinderungen und die versteckte Frauenfalle

Die Krise hat es gezeigt: Schulen oder Kindergärten schließen, die Betreuung wird nicht flächendeckend angeboten oder davon abhängig gemacht, ob die Eltern zu Hause arbeiten können. Das eigene Kind wird als K1-Person festgestellt und muss in Quarantäne, auf die Sonderbetreuungszeit bestand bis vor Kurzem noch kein Rechtsanspruch. Während man im vergangenen Jahrzehnt endlich zu verstehen lernte, dass die Kinderbetreuung zu Hause eine Vollzeittätigkeit darstellt, wurde von den Eltern krisenbedingt nun offenkundig erwartet, die Sache mit der Vollzeittätigkeit nicht ganz so eng zu sehen.

Die aktuelle Umfrage im Auftrag der Arbeiterkammer verdeutlicht dabei eines: Kinderbetreuung bleibt auch in Krisenzeiten Frauensache.

So wird besonders von Frauen in Fällen, in denen schon vor der Krise eigentlich der Anspruch auf eine bezahlte Dienstfreistellung aus wichtigen persönlichen Gründen (z.B. in Form einer Pflegefreistellung) bestand, vordergründig auf das Homeoffice gesetzt, statt eine Dienstverhinderung geltend zu machen.

Ähnlich verhält es sich mit Krankenständen, die durch das Homeoffice überbrückt, ja oftmals verschwiegen werden.

Die Tendenz ist klar, aber beunruhigend: vor allem in unsicheren Krisenzeiten sind wir, aber insbesondere Frauen, aus Angst vor dem Jobverlust bereit, die Fürsorge für nahe Angehörige und auch für sich selbst hintanzustellen, um zuvor beruflichen Pflichten nachzukommen.

Diese Entwicklung mag auf gesetzlicher Ebene nicht abschließend aufhaltbar sein, darf aber im sozialpolitischen Diskurs keinesfalls aus den Augen verloren werden. Es überrascht daher wohl nicht, dass aus Sicht der ArbeitnehmerInnenvertretung der immer wieder hörbare Ruf der Wirtschaft nach einem „Teilzeitkrankenstand“ klar abzulehnen ist.

Fazit

Es ist keineswegs überspitzt, wenn es heißt, das Homeoffice sei nun „gekommen, um zu bleiben“. Dessen Vorteile sind für alle Seiten greifbar und haben vor allem in besonders akuten Phasen der aktuellen Krise tausende Arbeitsplätze vor der Auflösung bewahrt. So optimistisch Arbeitgeber- und ArbeitnehmervertreterInnen auf den Fortbestand des Homeoffice blicken, so nüchtern muss die Debatte um dessen gesetzliche Ausgestaltung verlaufen. Zu groß ist die Gefahr, nachteilige Tendenzen zu übersehen und mit einer gesetzlichen Regelung unumkehrbare Tatsachen für die Zukunft zu schaffen.

Letztendlich muss das Gesetz lediglich einen Rahmen vorgeben. Die Praxis hat gezeigt, dass die Beschäftigten und ihre Betriebsräte selbst am besten wissen, wie „Modernisierung“ und „Flexibilisierung“ zu erfolgen haben, ohne den nötigen Interessensausgleich außer Acht zu lassen.