Mitte März empfahl die Bundesregierung als eine der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, nach Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten. Homeoffice wurde schlagartig zu einer weit verbreiteten Form des Arbeitens. Mittlerweile ziehen viele Firmen die Sondervereinbarungen zu Homeoffice zurück und holen MitarbeiterInnen aus Sorge vor dem Verlust von Kontrolle und Kommunikation an den Standort. Dabei kann die Integration von Homeoffice-Vereinbarungen neben der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten zum Erfolg eines Unternehmens beitragen, wenn sie richtig umgesetzt wird.
Homeoffice im historischen Wandel
Ursprünglich wurden erste Formen des Homeoffice unter den Begriffen „Telework“ bzw. „Telecommuting“ in den 1970er-Jahren in der Informationsindustrie der US-amerikanischen Westküste eingesetzt. Um lange Anfahrtszeiten in die Büros zu vermeiden, wurde MitarbeiterInnen das Arbeiten an einem stationären Arbeitsplatz zu Hause ermöglicht. Durch die Entwicklung mobiler Geräte in den 1990er-Jahren wurde die Arbeitsgestaltung des Homeoffice flexibler und zunehmend räumlich und zeitlich entgrenzt. Im Unterschied zur ursprünglichen Anwendung des Homeoffice, das hauptsächlich von Sekretärinnen und Assistentinnen genutzt wurde, fanden sich diese neuen Formen des mobilen Arbeitens nun überwiegend im Managementbereich sowie in höherqualifizierten Wissensberufen. Ende der 2000er-Jahre wurde mit der Verbreitung von Smartphones – integrierten Mediengeräten, die Daten-, Tele- und Massenkommunikation vereinen – das mobile Arbeiten in einer Art Mini-Homeoffice ermöglicht. Die Allgegenwärtigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien hat zu einer Vielfalt an Möglichkeiten beigetragen, Arbeit auch außerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen des Betriebs auszuführen.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde als Maßnahme zur Vermeidung von Kontakten an der Arbeitsstelle verstärkt auf die Arbeit im Homeoffice gesetzt. Für einen Großteil der Büroangestellten hat die recht plötzliche Umstellung, zumindest was die Arbeitsprozesse betrifft, einigermaßen gut funktioniert. Dies zeugt vom hohen Digitalisierungsgrad vieler Berufe im Allgemeinen und einer Flexibilität der AnwenderInnen, die essenziell für die Gegenwart und Zukunft der Erwerbsarbeit ist und auch die Anpassungsfähigkeit der Betriebe stärken kann. Dennoch bleiben in Organisationen oft Hürden für eine allgemeingültige Durchsetzung von Homeoffice-Vereinbarungen.
Debatten rund um Homeoffice
Ein Blick auf die Themen in der Debatte über Homeoffice wirft Licht auf die Ambivalenzen dieser Arbeitsorganisation. Die oft diskutierten Vor- und Nachteile betreffen dabei nicht nur ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, sondern auch Vorgesetzte, TeamkollegInnen im stationären Büro sowie LebenspartnerInnen und/oder Kinder.
Für viele ArbeitnehmerInnen überwiegen die Vorteile der flexiblen, weitgehend autonomen Arbeitsweise. Allerdings birgt die Arbeit von zu Hause aus auch erhebliche Risiken wie unzureichende Austattung des Arbeitsplatzes, Abkoppelung von den ArbeitskollegInnen, Überlastung und fehlende Abgrenzung zum Privatbereich. Für die ArbeitgeberInnen und Vorgesetzten stellen die schwierigere Kontrolle und geringere Sichtbarkeit der MitarbeiterInnen die Hauptprobleme dar. Die Sondervereinbarungen zum Homeoffice während der Ausgangsbeschränkungen werden daher nur in seltenen Fällen weitergeführt. Doch ein Zurück zur starren Büropräsenz kann als Rückschritt angesehen werden.
Da die Bedeutung von Flexibilität und Mobilität für ArbeitnehmerInnen zunimmt und oft auch ein wichtiges Thema bei der Aufnahme neuer MitarbeiterInnen ist, ist Homeoffice ein „Benefit“, der für Unternehmen ebenso positive Effekte bringen kann wie für die Belegschaft. Vereinbarungen zu Telearbeit müssen allerdings so gestaltet werden, dass für alle Beteiligten die positiven Aspekte im Vordergrund stehen und Nachteile gemindert werden.
Wie können angesichts der komplexen Zusammenhänge für alle annehmbare Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Homeoffice erfolgreich in den Tagesablauf der Organisation sowie der betreffenden Personen zu integrieren?
Eine Win-win-Situation gestalten
Trotz der Herausforderungen für den Alltag sind Personen, die Homeoffice ausüben können, generell zufriedenere MitarbeiterInnen. Telearbeit steigert zum einen die Lebensqualität durch eine bessere Vereinbarung von Lebensbereichen, zum anderen kann sie die Produktivität der MitarbeiterInnen fördern, da es im Vergleich zum üblichen Bürobetrieb zu weniger Unterbrechungen oder Störungen kommt. Das Vertrauen, das Homeoffice-Angestellten entgegengebracht wird, stärkt zudem MitarbeiterInnenbindung und Engagement.
Insofern könnte von einer Win-win-Situation gesprochen werden, die allerdings von einigen bedeutenden Voraussetzungen abhängt.
Allgemein geltende Regeln und transparenter Zugang
In den seltensten Fällen wird Homeoffice auf der Basis von für alle ArbeitnehmerInnen geltenden Richtlinien im Unternehmen eingesetzt. Meist werden individuelle Vereinbarungen getroffen und Problemen wird mit Ad-hoc-Strategien begegnet. Diese sind allerdings oft nur bedingt erfolgreich und können sogar kontraproduktiv sein. Denn Homeoffice kann dadurch als Privileg für eine Minderheit der Belegschaft gesehen werden, was für ein schlechtes Arbeitsklima sorgt. Tatsächlich sind flexible Arbeitsbedingungen sozial ungleich verteilt: Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, steht in Beziehung zum Status und zur Verhandlungsmacht der Beschäftigten – der Großteil ist ArbeitnehmerInnen in Managementpositionen bzw. hochqualifizierten Beschäftigten vorbehalten. Auch die Rahmenbedingungen hängen von der Rolle der ArbeitnehmerInnen ab: Für MitarbeiterInnen in unterstellten Positionen bieten individuelle Vereinbarungen oft keinerlei Schutzregelungen.
Durch die fehlende Sichtbarkeit und Präsenz der Angestellten und dem entsprechenden Verlust von Kontrolle stehen viele Vorgesetzte einer allgemein geltenden Homeoffice-Regelung nur zögerlich gegenüber. Doch individuelle Vereinbarungen, die nicht ausreichend kommuniziert werden, erschweren die Kooperation mit KollegInnen, die im stationären Büro oft Agenden der Homeoffice-Angestellten übernehmen müssen. Regeln für den Zugang zu Homeoffice müssen daher transparent gemacht werden: Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang wird Homeoffice genehmigt? Hier müssen generelle und nachvollziehbare Richtlinien gelten. Betriebsräten kommt hier im Aushandeln von Betriebsvereinbarungen eine bedeutende Rolle zu. Eine passende Grundlage dafür müsste der Gesetzgeber schaffen.
Grenzen definieren
Kommt es zu einer Homeoffice-Vereinbarung, müssen Erwartungen und Grenzen mit den ArbeitnehmerInnen kommuniziert werden. Organisationsnormen, die zu Stress beitragen, wie z. B. ständige Erreichbarkeit oder die Erwartung, unmittelbar auf E-Mails zu reagieren, müssen thematisiert werden. Es ist wichtig, dass den MitarbeiterInnen eine Trennung von Beruf und Privatleben ermöglicht wird, in zeitlicher und räumlicher ebenso wie in technologischer Hinsicht. Telefonanrufe oder E-Mails zu unüblichen Zeiten erzeugen Handlungsdruck und sollten vermieden werden. Einige deutsche Automobilkonzerne wie Volkswagen oder BMW lassen ihre Server das Versenden von E-Mails nachts sowie am Wochenende blockieren, um eine berufliche Überlastung ihrer MitarbeiterInnen zu verhindern.
Informationsfluss reduzieren
Eine weitere Maßnahme zur besseren Abgrenzung des beruflichen und des privaten Lebens ist die Optimierung des Informationsflusses innerhalb der Organisation. Eine sorgfältige Abwägung und zielgerichtete Verteilung von Information sind notwendig, um eine Datenflut und damit eine Überlastung der MitarbeiterInnen zu vermeiden.
Support und Einbindung
Für die tatsächliche Produktivität und Effizienz der MitarbeiterInnen im Homeoffice ist ein gut funktionierender IT-Support ausschlaggebend. Die Erreichbarkeit von KollegInnen ist durch die eingeschränkte Sichtbarkeit im Homeoffice besonders wichtig. Dies betrifft nicht nur die technische und fachliche Unterstützung, auch die soziale Komponente muss bedacht werden. Denn durch die fehlenden Möglichkeiten, mit anderen Organisationsmitgliedern in Kontakt zu treten, kann ein Gefühl der Isolation entstehen.
Um daher die Einbindung der Homeoffice-Angestellten im Unternehmen zu gewährleisten, ist der passende Mix aus Office- und Homeoffice-Tagen maßgeblich. In dieser Hinsicht wird laut einer Studie ein Mischtyp mit ein bis maximal drei Tagen Homeoffice pro Woche von Betroffenen als das praktikabelste Modell gesehen.
Im Idealfall erhöht eine Homeoffice-Vereinbarung die Flexibilität und damit die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen, ohne dabei deren Präsenz und Entwicklungsmöglichkeiten in der Organisation zu schwächen. Faire Bedingungen und ein grundsätzliches Vertrauen sind dabei unabkömmlich. Formalisierte Regeln zu Telearbeit stellen sich als Schlüssel zum Erfolg für die Integration von Homeoffice in die Arbeitsorganisation heraus. Die Formalisierung muss vom Management gemeinsam mit ArbeitnehmervertreterInnen sowie Abteilungs- und TeamleiterInnen sorgfältig ausgearbeitet werden und erfordert Gespräche mit allen Beteiligten.
So können Gleichstellung, Vertrauen, Flexibilität und Motivation im Unternehmen gefördert werden. Ziel ist eine flexible Autonomie der MitarbeiterInnen, die ihre Lebensqualität und Zufriedenheit fördert und die zur Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Organisation beitragen kann.
Da Homeoffice eine Arbeitsform der Zukunft ist, ist es notwendig, EntscheidungsträgerInnen sowohl die positiven Aspekte als auch potenzielle Gefahren für die ArbeitnehmerInnen aufzuzeigen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, um mit der Umsetzung eine Win-win-Situation für alle Beteiligten schaffen zu können.