Feministische Ökonomie in Österreich – es bleibt viel zu tun

07. November 2023

Die Feministische Ökonomie findet Antworten auf die blinden Flecken der Wirtschaftswissenschaft. Sie leistet eine Gesellschaftsanalyse und -kritik, in deren Zentrum Themen wie die unbezahlte und unterbewertete Sorgearbeit oder der Zusammenhang zwischen Ausbeutung von Natur und Frauen stehen. In Österreich sind für eine Weiterentwicklung der Feministischen Ökonomie insbesondere dezidierte Professuren, mehr Daten, ein ernstzunehmendes Gender-Budgeting sowie eine stärkere Einbindung feministischer Perspektiven in die Wirtschaftspolitik notwendig.

Ausgangspunkte Feministischer Ökonomie

Schon die erste Frauenbewegung und zahlreiche sozialistische Denker:innen zur Wende auf das 20. Jahrhundert stellten die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen und davon abgeleitet Fragen der Frauenarbeit, ihrer Entlohnung sowie die Bedeutung der Zuständigkeiten in der privaten Sphäre ins Zentrum der Debatte. In Österreich hat z. B. Käthe Leichter, erste Leiterin des 1925 errichteten Frauenreferats der Arbeiterkammer Wien, bahnbrechende Studien zur Frauenerwerbsarbeit durchgeführt. Zu Beginn stärker politisch geprägt, haben sich die zentralen Themen der Feministischen Ökonomie über den Zeitverlauf kaum verändert. Im Rahmen der zweiten Frauenbewegung in den 1970er-Jahren begann sie sich als theoretische Kritik an den Wirtschaftswissenschaften zu etablieren, in den 1990er-Jahren bildete sie sich schließlich als eigenes Forschungsgebiet heraus.

Was ist Feministische Ökonomie?

Zu dieser Zeit wurde eine grundlegende Kritik an den blinden Flecken der Wirtschaftswissenschaft entwickelt, die im Kern bis heute gilt. Denn ökonomische Theorien sind nicht geschlechtslos, vielmehr beruhen sie auf männlichen Wert- und Weltvorstellungen. Daher müssen Geschlechter- und Machtverhältnisse und insbesondere der gesamte Bereich der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit in die wirtschaftswissenschaftliche Analyse einbezogen werden. Feministische Ökonomie leistet einen relevanten Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise des wirtschaftlichen Systems, die oft mit einer grundlegenden Kritik am kapitalistischen System einhergeht.

Heute ist das Feld der Feministischen Ökonomie ausdifferenziert und stellt mehr als ein reines „Abarbeiten“ an der herrschenden Lehre dar. Aus diesem Grund gibt es nicht die „eine“ Feministische Ökonomie: Feministische Ökonom:innen kommen aus unterschiedlichen ökonomischen Schulen und aus verschiedenen feministischen Hintergründen (z. B. marxistischer, schwarzer oder liberaler Feminismus). Daher ist eine einheitliche Definition schwierig. Allerdings lassen sich folgende gemeinsame Anliegen feministischer Ökonom:innen definieren:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Feministische Perspektiven auf aktuelle Wirtschaftspolitik

In der Diskussion aktueller wirtschaftspolitischer Herausforderungen wird der Blickwinkel der feministischen Ökonomie allzu oft vergessen, obwohl Analysen zur Care-, Teuerungs- und der Klimakrise von einer feministischen Perspektive profitieren. Denn die Feministische Ökonomie zielt auf eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik für alle.

Das Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, ist zentral verknüpft mit Sorgearbeit. Aus feministischer Sicht ist es wünschenswert, diese unsichtbare und unbezahlte Sorgearbeit zu vergesellschaften und aus der privaten Sphäre zu lösen. Wichtig dabei ist jedoch, dass der Sozialstaat Sorgearbeit organisiert und dass die Daseinsvorsorge nicht nur als bezahlbare Ware verhandelt wird. Denn Kinderbetreuung und Altenpflege können keiner kapitalistischen Logik unterworfen werden, da Profitmaximierung und Zeiteffizienz zwangsläufig zu einer Verschlechterung in der Qualität der Versorgung führen. Um die Arbeitsbedingungen im Care-Sektor gemäß der Feministischen Ökonomie zu verbessern, braucht es beispielsweise eine dem Wert der Arbeit angemessene Bezahlung und eine bessere soziale Absicherung von betreuenden und pflegenden Angehörigen.

… am Beispiel der Klimakrise

Neben dem zentralen Aspekt der (unbezahlten) Arbeit von Frauen bearbeitet die Feministische Ökonomie schon lange ein weiteres wichtiges Themenfeld, das aktuell an Brisanz gewinnt: den Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der Natur und der Ausbeutung von Frauen. Das kapitalistische System funktioniert nicht nur auf Basis der unter- und unbezahlten Arbeiten von Frauen und marginalisierten Gruppen, sondern auch aufgrund der grenzenlosen Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. Ökofeministische Strömungen beleuchten diese Zusammenhänge und feministische Ökonom:innen weisen darauf hin, dass vor allem Frauen und marginalisierte Gruppen im Globalen Süden stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Um sowohl die Klima- als auch die Care-Krise zu bewältigen, braucht es einen ganzheitlichen feministischen, intersektionalen und globalen Blick auf die Ursachen und Zusammenhänge.

… am Beispiel der Teuerungskrise

In Analysen zur Teuerungskrise werden aktuell ebenso häufig diese blinden Flecken – also das Ausblenden der Geschlechterverhältnisse – offensichtlich. Tatsächlich scheinen sich auf einen ersten Blick die Inflationsraten zwischen Männern und Frauen kaum zu unterscheiden. Feministische Ökonomie kann aber klarstellen, dass dies vor allem daran liegt, dass Konsumausgaben nur auf Haushaltsebene erhoben werden. Tiefergehende Analysen können aufzeigen, dass Frauen, insbesondere Alleinerziehende und solche, die von Altersarmut betroffen sind, einen größeren Anteil ihres Einkommens für grundlegende Dinge, wie Lebensmittel, Wohnen, Gesundheit und Mobilität, ausgeben. Feministische Ökonomie kann so darauf aufmerksam machen, dass die Armutsbetroffenheit von Frauen zu steigen droht. So ist sie enorm relevant für die Entwicklung politischer Maßnahmen.

Wie steht es um die Feministische Ökonomie in Österreich?

Die Etablierung der Feministischen Ökonomie an den österreichischen Universitäten erfolgte ab den 1990er-Jahren und fand auch Eingang in die außeruniversitären Institute, insbesondere an WIFO, IHS und FORBA. Und auch die Arbeiterkammer blickt auf eine lange Tradition, begonnen mit Käthe Leichter, zurück. Zusätzlich entstanden einige Angebote, zum Beispiel über die Katholische Sozialakademie, den Verein „Joan Robinson“ sowie den Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM). Seit über 20 Jahren existiert in Österreich das thematische Netzwerk „FemÖk“, das für die Verankerung und Weiterentwicklung der Feministischen Ökonomie zentral ist.

Inhaltlich sind in den vergangenen 20 Jahren wichtige Impulse rund um das Thema Gender-Budgeting hervorzuheben. Der Erfolg der Lobbyarbeit gipfelte in der Aufnahme von Gender-Budgeting ins österreichische Bundesverfassungs-Gesetz 2009, wobei die operative Umsetzung seitdem absolut unzureichend war. Weitere Höhepunkte wurden um die zentrale Thematik der unbezahlten Arbeit und ihrer geschlechtsspezifischen Verteilung rund um die Veröffentlichung der letzten Zeitverwendungserhebung in Österreich 2008/09 und die Analyse der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 aus feministischer Perspektive erreicht. Nach Erscheinen des Buches „Feministische Ökonomie. Intro – Eine Einführung“ von Bettina Haidinger und Käthe Knittler im Jahr 2014 wurde es schließlich ruhiger um die Feministische Ökonomie in Österreich.

Im Frühjahr 2023 fand nun der 8. – vom Netzwerk „FemÖk“ organisierte – Österreichische Workshop feministischer Ökonom:innen statt, der zeigte, dass die Feministische Ökonomie in Österreich nach wie vor kritisch und vielfältig ist. Da sie an österreichischen Universitäten teils schlechter verankert ist als früher, gewinnt die außeruniversitäre Vernetzung und Arbeit an Bedeutung. Die demnächst endlich erscheinenden Daten aus der neuen Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria werden der Debatte einen weiteren Anstoß geben.

Fazit

Die Feministische Ökonomie hat gezeigt, dass sie einen relevanten Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise des wirtschaftlichen Systems leistet. Seit ihren Anfängen ist sie eng mit sozialen und feministischen Bewegungen verbunden. Aufzuzeigen, welche Themen in den Wirtschaftswissenschaften systematisch ausgespart werden (z. B. bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit sowie explizite und implizite Machtstrukturen), ist eine große Errungenschaft. Auch in den aktuellen Krisen ist eine feministisch-ökonomische Brille notwendig, um Ungleichheiten nicht zu verstärken und um zu verhindern, dass Politikmaßnahmen über (unbeabsichtigte) Nebeneffekte Frauen schaden.

Ökonom:innen beraten Regierungen und haben so einen maßgeblichen Einfluss auf Politikentscheidungen, die uns alle betreffen. Eine Befragung von Wirtschaftswissenschafter:innen an europäischen Universitäten hat gezeigt, dass Ökonominnen eher einen staatlichen Eingriff in die Wirtschaft und Umweltregulierungen befürworten und besorgter um das Ausmaß der Ungleichheit sind als ihre männlichen Kollegen. Es ist daher naheliegend, dass, wenn mehr weibliche Wirtschaftswissenschafterinnen in der Entscheidungsfindung hinsichtlich Politikmaßnahmen eingebunden wären, dies einen Einfluss auf die Ausgestaltung hätte.

Für eine Weiterentwicklung der Feministischen Ökonomie in Österreich braucht es insbesondere:

  • nicht nur in außeruniversitären Einrichtungen Forschung, sondern auch dezidierte Professuren für Feministische Ökonomie,
  • mehr Daten in Form von regelmäßiger und in kürzeren Intervallen erscheinenden Zeitverwendungserhebungen,
  • ein ernstzunehmendes Gender-Budgetings in Verwaltung und Politik sowie
  • eine insgesamt stärkere Einbindung feministischer Perspektiven in der Wirtschaftspolitik.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und gekürzte Fassung des Editorials der Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“, 2023, Band 49, Nr. 3, verfasst von Judith Derndorfer, Daniel Witzani-Haim, Tamara Premrov und Jana Schultheiß. In dieser Ausgabe finden sich u. a. interessante Beiträge über notwendige Weiterentwicklungen in der Armutsmessung sowie über die makroökonomischen Effekte von Arbeitszeitanpassungen gemäß den Wünschen der Beschäftigten.

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