© A&W Blog
Das Zitat im Titel ist einem Artikel Käthe Leichters aus dem Jahr 1928 über Frauenarbeit entnommen. Sie entlarvt darin eine „bürgerliche(n) Ideologie, (die von) einer durch den freien Wettbewerb hergestellten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern faselt, die auf körperlicher Eignung und Fähigkeit basiert“, während die Arbeitsrealität von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der Masse der Industriearbeiterinnen, Hausgehilfinnen, Heimarbeiterinnen und einfachen Angestellten geprägt ist.
Hausgehilfinnen, Heimarbeiterinnen, Industriearbeiterinnen – wie leben sie?
Wie schauen die Arbeitsbedingungen von Frauen aus? Wie leben sie? Das waren zentrale Fragestellungen von Käthe Leichters Wirken im Frauenreferat der Arbeiterkammer. Ergebnis sind eine Reihe von grundlegenden bahnbrechenden sozialpolitische Untersuchungen über Frauenarbeit. So brachte die 1926 veröffentlichte Untersuchung über die Wiener Hausgehilfinnen erschütternde Erkenntnisse über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der „Haussklavinnen“ zutage. Sie lieferten der gewerkschaftlichen Organisation der Hausgehilfinnen auch wichtiges Basiswissen für ihren Kampf um die Verbesserung der gesetzlichen Schutzbestimmungen, und es entstanden Unterstützungsstrukturen, wie das 1927 in Wien errichtete Heim für stellenlose Hausgehilfinnen, um sie vor Obdachlosigkeit zu bewahren. In einer weiteren Untersuchung widmete sich Käthe Leichter den Wiener Heimarbeitern (1928), 75 Prozent davon Frauen, die oft mehr als elf Stunden pro Tag arbeiteten.
Bei ihren Untersuchungen konnte sich Käthe Leichter auf die Expertise von Vertreterinnen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen und viele Frauen, die in den Betrieben, oft auch als Betriebsrätinnen, tätig waren, stützen, allen voran die Gewerkschafterinnen Anna Boschek (1874–1957) und Wilhelmine Moik (1894–1970), aber auch auf Arbeiterinnen. So berichten beispielsweise im „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ (1930), das heute noch als Standardwerk für die Entwicklung von Frauenarbeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg gilt, neben Expertinnen, etwa aus dem Bereich der sozialen Arbeit und der Sozialmedizin, auch Arbeiterinnen selbst über ihren Arbeitsbereich.
Diese Forschungen richteten damit den Blick auf erwerbstätige Frauen, die in Forschung und Politik bis dahin „unsichtbar“ waren, obwohl nach dem Ersten Weltkrieg die Frauenerwerbstätigkeit massiv zugenommen hatte. Das einzigartige Filmdokument „Frauenleben. Frauenlos“, (1931), das für die gewerkschaftliche und politische Aufklärungsarbeit eingesetzt wurde und an dessen Entstehung Käthe Leichter neben Anna Boschek und Wilhelmine Moik wesentlich beteiligt war, zeigt das auf eindrückliche Weise.
Erste feministische Krisenanalysen: erstmals auch unbezahlte Arbeit im Blick
Besonders beachtenswert für die damalige Zeit ist die einzigartige enge Verknüpfung der Lebensbereiche Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Freizeit in Käthe Leichters Studie „So leben wir … 1.320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“ (1932). Es kamen in der Studie auch modernste methodische Ansätze zur Anwendung, ähnlich der weitaus berühmteren, gut ein Jahr später durchgeführten Marienthal-Studie von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel. Die Studie wurde 2018 erneut durchgeführt, um die wenig beleuchtete Arbeits- und Lebensrealität von Frauen in der Industriearbeit sichtbar zu machen. Arbeiterinnen in diesem Sektor sind auch heute noch häufig niedrig entlohnt, haben extrem belastende Arbeitsbedingungen und erfahren geringe Wertschätzung ihrer Arbeit. „Für Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel“, wird eine Arbeiterin in der Studie 1932 zitiert. Das gilt auch für viele Industriearbeiterinnen heute (und nicht nur für sie), die trotz Vollzeiterwerbstätigkeit meist die Hauptverantwortung für die unbezahlte Arbeit tragen.
Die Corona-Krise zeigt einmal mehr, wie wichtig ein umfassender Blick auf Frauenarbeit ist. Der Wert der Arbeit von Frauen ist zwar durch die Krise stärker ins Rampenlicht gerückt, allerdings fehlen bislang Maßnahmen, um den mit der Krise weiter gestiegenen Belastungen entgegenzuwirken. Das betrifft sowohl Systemerhalter:innen im Gesundheitsbereich, im Handel, der Reinigung und in der Pflege, in elementaren Bildungseinrichtungen und Schulen als auch die Sorgearbeit, die durch Homeoffice und den zeitweisen Wegfall der Bildungs- und Betreuungsleistungen in Kindergärten und Schulen deutlich angestiegen ist.
Die Auswirkungen dieser ungleichen Verteilung der unbezahlten Arbeit sind enorm. Sie schränkt den Spielraum von Frauen ein, am Erwerbsarbeitsmarkt teilzunehmen (Stichwort: Teilzeit) und steht in enger Wechselwirkung mit dem Ausmaß von öffentlich (nicht) wahrgenommenen Aufgaben im Bereich von Pflege und Betreuung. Hier ist die Regierung säumig. Es braucht endlich einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, nachhaltige Impulse zu mehr partnerschaftlicher Teilung der unbezahlten Arbeit, etwa durch Förderung der Väterkarenz, die auch 30 Jahre nach Einführung nur von einer Minderheit der Väter genutzt wird, oder auch die Einführung des AK-ÖGB-Modells der Familienarbeitszeit, damit von Beginn an eine gleiche Teilhabe an Erwerbs- und Familienarbeit für beide Elternteile unterstützt wird.
COVID-19-Pandemie verstärkt „Care-Krise“
Die unbezahlte Arbeit findet sich auch in keinem BIP, obwohl der Wert der unbezahlten Hausarbeit auf 108 Milliarden Euro beziffert werden kann. Einzige Datengrundlage ist die Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria, die die unbezahlte und ehrenamtliche Arbeit erfasst und die Österreich zuletzt 2009 durchgeführt hat. Erst nach öffentlichem Druck hat sich Österreich der Erstellung der aktuellen EU-Zeitverwendungsstudie angeschlossen.
Wie selten zuvor wurde gerade in dieser Krise sichtbar, wie beides – bezahlte und unbezahlte Arbeit – untrennbar mit dem Funktionieren einer Gesellschaft verbunden ist. Die schon davor bestehende „Care-Krise“, die von der Soziologin Emma Dowling als „Erschöpfung gesellschaftlicher Sorge-Ressourcen“ definiert wurde, hat sich noch verstärkt. Pflegerinnen, Kindergartenpädagoginnen und -assistentinnen reiben sich oft am Widerspruch auf, was im zu engen Zeitkorsett machbar ist und welche Bedürfnisse von zu Pflegenden und Kindern kommen. Ursache dafür ist die zu geringe Bewertung von Sorgearbeit. Viele wollen aus dem Beruf aussteigen. Gleichzeitig nehmen Aktionen und Proteste der Beschäftigten in diesen Bereichen zu, etwa der Elementarpädagog:innen oder der Beschäftigten im Gesundheitsbereich und der Langzeitpflege, die aktuell über die Offensive Gesundheit unterstützt werden können. Die Abwärtsspirale in diesen Bereichen kann nur durch ausreichende Finanzierung, mehr Personal und mehr Zeit für diese sinnstiftenden Tätigkeiten durchbrochen werden.
Die Corona-Krise hat den politischen Gestaltungsspielraum deutlich gemacht. In kurzer Zeit wurden enorme staatliche Mittel zur Krisenbekämpfung eingesetzt, für gleichstellungsorientierte Maßnahmen gab es aber keine Geldmittel. Der Stillstand in der Frauenpolitik und die Vernachlässigung der Frauenforschung und ihrer Erkenntnisse durch die Politik wurde vor Kurzem von mehr als 50 Käthe-Leichter-Preisträgerinnen in einem offenen Brief kritisiert. Dieser ist ein wichtiger Appell von Wissenschafterinnen, die in Würdigung der wissenschaftlichen Pionierleistung Käthe Leichters den unter Johanna Dohnal 1991 ins Leben gerufenen Käthe-Leichter-Preis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Frauen- und Geschlechterforschung erhalten haben.
Käthe Leichters Erbe und Auftrag: Arbeit neu bewerten und Geschlechterverhältnisse auf egalitärere Basis stellen
Die Arbeit Käthe Leichters in der Arbeiterkammer kam 1934 zu einem abrupten Ende. Sie wurde nach Niederschlagung der Kämpfe im Februar 1934 von der Arbeiterkammer, die bereits einem Regierungskommissär des austrofaschistischen Regimes unterstellt war, entlassen. Ihre politische Tätigkeit setzte Käthe Leichter in der Illegalität als ein führendes Mitglied der Revolutionären Sozialist:innen fort. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kam sie im Mai 1938 in Gestapo-Haft und wurde trotz zahlreicher ausländischer Interventionen für ihre Freilassung im Jänner 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Davor wurde ihr 1939 auch noch ihr 1918 an der Universität Heidelberg erworbener Doktortitel entzogen, erst 2013 erhielt sie die Doktorwürde posthum zurück.
Im Alter von 46 Jahren wurde sie im März 1942 in der Nähe der Tötungsanstalt Bernburg durch Giftgas ermordet. Ihr Sohn Franz, der heute in New York lebt und der AK Wien freundschaftlich verbunden ist, konnte gemeinsam mit Käthe Leichters Mann, Otto Leichter, und ihrem älteren, ebenfalls bereits verstorbenen Sohn Heinz flüchten.
Käthe Leichters Analysen der Frauenerwerbstätigkeit von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise gelten aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sichtweise, der stets engen Verbindung zu politischen Handlungsstrategien und aufgrund der engen thematischen Verknüpfung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit als erste feministische Krisenanalysen. Seit der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre gewinnt der Blick auch auf die unbezahlte Arbeit im Rahmen von sozioökonomischen Studien an Bedeutung. Auch in Politik und Öffentlichkeit wird die Verbindung zwischen der unbezahlten Sorgearbeit und Geschlechter(un)gleichheiten mittlerweile vermehrt thematisiert, oft allerdings nur auf einer symbolischen und deklarativen Ebene. Um tatsächlich Verbesserungen für Frauen und Sorgearbeitende zu erwirken, bleibt noch viel zu tun.
Weiterführende Literatur:
- AK Wien (Hg.): Käthe Leichter zum 100. Geburtstag. Texte zur Frauenpolitik, Wien 1995.
- Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte (Hg.): „Man ist ja schon zufrieden, wenn man arbeiten kann“. Käthe Leichter und ihre politische Aktualität, Wien 2003.
- Hauch, Gabriella: Käthe Leichter, geb. Pick (1895–1942): Spuren eines Frauenlebens, in: Hauch, Gabriella (Hg.): Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938, Innsbruck 2009, 225–247
- Knittler, Käthe: Käthe Leichter und die Wirtschaftskrise, in Kurswechsel 4/2013, 74–81
- Lewis, Jill: Working Women in Red Vienna. Käthe Leichter and the Vienna Arbeiterkammer, in: Visuelle Kulturen, L`homme. Z.F.G., 26. Jg., Heft 2, 151–159.
Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist
unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/.
Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung