Vom Spagat zum Drahtseilakt: Eltern in der Coronakrise

15. September 2021

Die COVID-19-Pandemie verlangt Eltern viel ab. Vor allem das Schließen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen stellte Familien vor enorme Herausforderungen. Das Homeschooling musste zur Gänze – neben Job und Alltag – von Eltern übernommen werden. Diese leisteten damit einen zentralen Beitrag für das Funktionieren der Gesellschaft während der Pandemie. Das führte jedoch an Belastungsgrenzen. Die Sorge vor neuerlichen Schulschließungen ist groß. Damit Eltern die Pandemie in Zukunft besser bewältigen können, sind Unterstützungsmaßnahmen, Information und Planungssicherheit notwendig.

Fürsorger:in, Spielpartner:in, Lehrer:in – Eltern-Sein im Ausnahmezustand

Der Spagat zwischen Beruf und Familie fordert Familien täglich im Alltag. Die Bewältigung der Coronapandemie gleicht für viele Familien aber einem Drahtseilakt mit Absturzgefahr. Wiederholte Schließungen von Teilen der Wirtschaft, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sind mit existenziellen Unsicherheiten, erschwerten Arbeitsbedingungen und Isolation verbunden. Eltern waren zudem plötzlich verantwortlich für die Beschulung ihrer Kinder, mussten Lehrer:innen und Spielpartner:innen ersetzen, den Familienalltag völlig neu organisieren und ihre beruflichen Tätigkeiten oft umgestalten. Zusätzlich standen Eltern vor der Herausforderung, in einer von Unsicherheit geprägten Situation, nicht nur für ihre eigene physische und psychische Gesundheit zu sorgen, sondern auch die emotionale Stabilität ihrer Kinder zu unterstützen. Die Dauer der jeweilig geltenden Maßnahmen war kaum vorhersehbar und forderte permanent hohe Flexibilität, wie das folgende Zitat zeigt:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dieses Zitat stammt aus der Studie „Corona und Familienleben“ unter der Leitung von Ulrike Zartler (Universität Wien), die Grundlage einer Sonderauswertung für die AK Wien ist. Sie beschäftigt sich mit der Situation von Eltern in Österreich im Verlauf der COVID-19-Pandemie von März bis Dezember 2020. Die Datenbasis der Sonderauswertung umfasst Interviewergebnisse und Tagebucheinträge von Eltern aus unterschiedlichen Bundesländern und mit unterschiedlichen Berufshintergründen, die mindestens ein Kind im Kindergarten- oder Schulalter haben. Die große Mehrheit der Befragten sind Frauen (28, 4 sind Männer). Neun Befragungswellen nahmen die Arbeits- und Lebenssituation der Eltern im Kontext der Corona-Maßnahmen in den Fokus.

Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit: Erschöpfung als Dauerzustand

Die COVID-19-Pandemie hat viele Aspekte der täglichen Routinen von Eltern, die bereits vor der Pandemie komplex und herausfordernd waren, plötzlich und massiv verändert. Vor allem Mütter kompensierten den Wegfall der Kinderbetreuung und leisteten zusätzlich anfallende Sorgearbeit für Kinder. Die gleichzeitige Erfüllung unterschiedlicher Aufgaben in verschiedenen Lebensbereichen führte oftmals zu einem Überforderungsgefühl und zu einem erhöhten Zeit- und Planungsdruck.

Vor allem Alleinerzieherinnen erlebten die Corona-Krise als besonders herausfordernd. Die Sicherstellung der Betreuung und schulischen Unterstützung ihrer Kinder – bei gleichzeitiger eigener Berufstätigkeit – konnte nur sehr schwer gewährleistet werden. Hinzu kamen Sorgen um ihre finanzielle Lage, Existenzängste, Ängste bezüglich der Versorgung ihrer Kinder im Fall ihrer eigenen Ansteckung sowie Einsamkeit, Isolation und psychische Belastungen.

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Arbeit im familiären „Schichtbetrieb“

Die befragten Eltern entwickelten unterschiedliche Strategien, um die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Care-Tätigkeiten unter diesen schwierigen und sich permanent verändernden Rahmenbedingungen bewältigen zu können. Besonders häufig war die Strategie „Arbeit im Schichtbetrieb“, wobei erwerbstätige Eltern ihre Arbeitszeiten aufeinander abstimmten und sich gegenseitig abwechselten. Auch das „Arbeiten zu Randzeiten“ wurde forciert, da Homeoffice und Kinderbetreuung zeitgleich oft nicht vereinbar waren. Manche Eltern wechselten ins Homeoffice, um die Kinderbetreuung gewährleisten zu können. Als letzten Ausweg mussten manche die Erwerbsarbeitsstunden reduzieren, um die Herausforderungen bewältigen zu können. Außerfamiliäre Unterstützung (Betreuung in Kindergärten und Schulen oder durch die erweiterte Familie und Freunde, Lernunterstützung wie Nachhilfe u. v. m.) wurde vor allem von Eltern in systemrelevanten Branchen, Vollzeit- Beschäftigten oder Alleinerziehenden in Anspruch genommen. Eltern stellten ihr eigenes Bedürfnis nach Erholung stark zurück.

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Ständige Anpassung und steigender Arbeitsdruck im Beruf

Die berufliche Situation in der Pandemie forderte von den Eltern enorme Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Arbeitszeiten wurden mehrfach und oft sehr kurzfristig verändert. Eltern in systemrelevanten Berufen waren in besonderem Maße mit massiven Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen (z. B. strenge Hygienebedingungen, deutlich höheres Arbeitsaufkommen usw.) sowie mit der Angst, durch eine Ansteckung am Arbeitsplatz auch ihre Familien zu gefährden, konfrontiert. Dies führte zu erhöhtem Stress und Belastungen bei den Befragten.

Auf die Arbeitssituation im Homeoffice waren viele Eltern nicht vorbereitet und mussten an ergonomisch und technisch großteils nicht adäquaten Arbeitsplätzen arbeiten, was letztlich bei einigen Befragten nach kurzer Zeit bereits physische Folgen hatte. Homeoffice bot jedoch für Eltern auch Vorteile, vor allem in zeitlicher Hinsicht – insgesamt allerdings fühlten sich die Befragten durch die Vermischung von Beruf und Familienleben überfordert und schätzten ihre Arbeitsleistung als weniger produktiv ein.

Viele befragte Eltern waren während der Pandemie von Kurzarbeit oder Zwangsurlaub bzw. einem verpflichtenden Abbau von Zeitguthaben, aber auch mit Sonderlösungen wie Freistellungen oder schließlich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Dadurch war die Pandemie für Eltern auch mit starken finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten verbunden.

Homeschooling bringt Eltern und Kinder an ihre Grenzen

Die phasenweise Schließung des Bildungssektors stellte Eltern und ihre Kinder völlig unvorbereitet vor besonders herausfordernde Situationen. Beim Übergang in das Homeschooling im März 2020 musste der komplette Familienalltag umorganisiert werden. Zusätzlich mussten häufig erst technisches Equipment angeschafft und im Wohnraum ruhige Arbeitsplätze organisiert werden. Dies erzeugte eine Stresssituation für die Eltern, begleitet von finanziellen Belastungen.

Nach und nach war das Homeschooling im Frühling von gestiegenen schulischen Anforderungen und Frustration geprägt, weil den befragten Eltern die erforderlichen pädagogisch-didaktischen Fähigkeiten und Wissenskompetenzen fehlten. Gleichzeitig erhöhte sich das Konfliktpotential zwischen Eltern und Kindern.

Der Schulbeginn im Herbst 2020 startete mit neuen Regelungen und diskontinuierlichem Schulbesuch aufgrund von Infektionen. Im Lockdown ab November sorgten sich die befragten Eltern um das deutlich erhöhte Aufgabenvolumen, die zunehmende Isolation und die merkbaren psychischen Belastungen ihrer Kinder.

Im Homeschooling begleiteten Eltern ihre Kinder auf ganz unterschiedliche Arten. Drei Typen elterlicher Unterstützung konnten im Zuge der Analyse des Datenmaterials eruiert werden: (1) Eltern, die ihre Kinder aktiv und zeitintensiv beim Homeschooling begleiteten und teilweise die schulischen Aufgaben ihrer Kinder erledigten. (2) Eltern, welche die erforderliche Unterstützung aufgrund einer Berufstätigkeit vor Ort, geringer formaler Bildung oder sprachlicher Kompetenzen nicht zur Verfügung stellen konnten und daher sehr rasch externe Unterstützung organisierten. (3) Eltern, welche die selbständigen Lernleistungen ihrer Kinder im Homeschooling forcierten.

Die Corona-Krise hat nicht nur Eltern von Schulkindern vor eine besondere Herausforderung gestellt, sondern auch Eltern von Kindergartenkindern. So waren Eltern gefordert, das Fehlen der Freund:innen und Spielkamerad:innen zu kompensieren, sich trotz bestehender beruflicher Anforderungen intensiv und aktiv ihren Kindern zu widmen und ihnen die plötzliche Schließung der Kindergärten sowie die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu erklären.

Eltern wünschen sich mehr Anerkennung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie

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Die Corona-Krise hat den Spagat, Kind und Job unter einen Hut zu bringen, nochmals drastisch verschärft. Dazu kommt die – speziell für Frauen – prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt. Eltern haben unter ausgesprochen schwierigen Umständen die Organisation des Familienalltags, die Sicherstellung der Kinderbetreuung, der schulischen und beruflichen Tätigkeiten ermöglicht. Sie leisteten damit einen zentralen Beitrag für das Funktionieren der Gesellschaft während der Pandemie. Damit Eltern nicht permanent an ihre Belastungsgrenzen stoßen, sind Rahmenbedingungen notwendig, die eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie ermöglichen. Die Sicherstellung des Schul- und Kindergartenbetriebs, flächendeckende, leistbare und hochqualitative Kinderbildungseinrichtungen, ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sowie Maßnahmen zur Förderung der partnerschaftlichen Teilung der Familienarbeit tragen wesentlich dazu bei, den permanenten Druck auf Familien zu reduzieren.

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