Für Arbeitnehmer:innen gibt es einen umfassenden gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Behinderung, sexueller Orientierung, Religion oder Weltanschauung und Alter. Doch was ist mit selbstständig Erwerbstätigen? Direkte oder strukturelle Diskriminierung kann für sie, gerade in Zeiten zunehmender Prekarisierung und lückenhafter sozialer Absicherung, existenzbedrohend sein. Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs wirft Fragen zum Diskriminierungsschutz von Selbstständigen auch in Österreich auf.
Der Anlassfall: Polnisches Staatsfernsehen diskriminiert schwulen Videoredakteur
Über Jahre hinweg erstellt ein selbstständiger Videoredakteur – im Rahmen von jeweils kurzen „Dienstverträgen“ – unter anderem audiovisuelle Montagen für einen öffentlichen Fernsehsender in Polen. 2017 veröffentlicht er zusammen mit seinem Lebensgefährten privat auf YouTube ein Weihnachtsmusikvideo, das für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren wirbt. Daraufhin erhält er vom Fernsehsender keine Aufträge mehr. Der Betroffene sieht darin eine Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Orientierung und einen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Vorgaben, denn: Das polnische Antidiskriminierungsgesetz schränkt die freie Wahl von Vertragspartner:innen nicht ein, außer es handelt sich um rassistische oder geschlechtsbezogene Diskriminierung. Bei Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung bietet es für Selbstständige keinen Schutz. Ist das mit den unionsrechtlichen Vorgaben, die einen umfassenden Diskriminierungsschutz in der Arbeitswelt vorsehen, vereinbar? Der polnische Videoredakteur bezweifelt das und zieht vor Gericht.
Urteil des EuGH
Der EuGH stellt klar: Wird ein Vertrag mit einem Selbstständigen aus diskriminierenden Gründen nicht abgeschlossen oder verlängert, verstößt das gegen das unionsrechtlich vorgegebene Antidiskriminierungsrecht. Dabei betont der EuGH zunächst, dass sämtliche diskriminierende Hindernisse beim Zugang zu Mitteln der Sicherung des Lebensunterhalts beseitigt und Menschen diskriminierungsfrei befähigt werden sollen, durch jede Form der Arbeit gesellschaftlich teilzuhaben. Das klingt nach einem umfassenden Auftrag zu Diskriminierungsfreiheit. In der Folge schränkt der Gerichtshof aber wieder ein, dass es für die „bloße Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen an einen oder mehrere Empfänger“ kein Diskriminierungsverbot gebe. Damit würden wohl wieder etliche Selbstständige aus dem Schutzbereich fallen. Dass ein Vertrag abgeschlossen wird oder nicht, kann aber – wie im Anlassfall – eine faktisch zwingende Bedingung sein, damit jemand seine oder ihre selbstständige Tätigkeit überhaupt (wirksam) ausüben kann. Insbesondere wenn, wie im polnischen Anlassfall, davor schon eine gewisse stabile Rechtsbeziehung bestand, greift laut EuGH das Recht auf „freie Wahl der Geschäftspartner:innen“ jedenfalls nicht, sondern es handelt sich um eine rechtlich verbotene Diskriminierung. Die diskriminierende Nicht-Verlängerung eines Vertrags ist unter derartigen Umständen zudem durchaus mit einer (ebenfalls vom Diskriminierungsschutz umfassten) „Entlassung“ von Arbeitnehmer:innen gleichzusetzen.
Diskriminierungsschutz für „Arbeitnehmer:innenähnliche“
Im österreichischen Recht könnte eine mit dem polnischen Ausgangsfall vergleichbare Konstellation wohl sogar als echtes Arbeitsverhältnis mit jeweils befristeten Verträgen gelten – damit würde ohnehin ein umfassender Diskriminierungsschutz bestehen. Zudem sind auch arbeitnehmer:innenähnliche freie Dienstnehmer:innen im Rahmen des Gleichbehandlungsgesetzes wie Arbeitnehmer:innen zu behandeln, wenn ihre Arbeit durch wirtschaftliche Abhängigkeit von einem oder einer Auftraggeber:in gekennzeichnet ist. Darunter fallen unter anderem die meisten der sogenannten Plattformarbeiter:innen, wie zum Beispiel Uber-Fahrer:innen oder Mjam-Lieferant:innen. Für sie gibt es – am Papier – einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung und eine klare Verantwortung seitens ihrer Arbeitgeber.
Diskriminierungen können in der Praxis jedoch auch auf Ratings durch Kund:innen sowie dem Einsatz von Algorithmen basieren. Das bringt Unsicherheiten hinsichtlich der Haftung der Plattformen sowie der entsprechenden Rechtsschutzwege mit sich. Unter anderem wird hier genau darauf zu achten sein, inwiefern nicht bereits der Einsatz derartiger Systeme, die geneigt sind, gesellschaftliche Ungleichheiten zu perpetuieren, eine mittelbare Diskriminierung bewirken kann, für die die Plattformanbieter haften oder eine besondere sachliche Rechtfertigung liefern müssten (vgl. z. B. Risak/Gogola 2018 und Tinhofer 2022). Dass es dem oder der freien Dienstnehmer:in aber nur schwer möglich ist, derartige strukturelle Benachteiligungen zu erkennen, glaubhaft zu machen oder sich dagegen zu wehren, zeigt einmal mehr die Unerlässlichkeit einer starken kollektiven Interessenvertretung auch abseits klassischer Arbeitsverhältnisse.
Diskriminierungsschutz für sonstige Selbstständige
Das Gegenteil trifft auf zahlreiche „kleine Selbstständige“ zu. Ihre Erwerbsbedingungen sind neben ökonomischer Prekarität häufig durch Einzelkämpfer:innentum geprägt. „Neue Selbstständige“ zählen zum Beispiel in der Regel weder zu den AK-Mitgliedern, noch sind sie Mitglied bei der Wirtschaftskammer. Sie erbringen Aufträge grundsätzlich im Rahmen von Werkverträgen. Wirtschaftliche Abhängigkeit kann für sie bedeuten, für ihren Lebensunterhalt de facto auf jeden Auftrag angewiesen zu sein. Diskriminierung kann dabei schnell eine existenzielle Dimension bekommen: zum Beispiel wenn kleine Wirtschaftstreibende oder EPUs, wie selbstständig tätige Personen in Gesundheitsberufen, einen für sie wichtigen Auftrag aufgrund des „falschen“ Geschlechts oder ihres Alters nicht erhalten. Oder wenn „Neue Selbstständige“, wie Journalist:innen oder Filmschaffende, in ihrer Berufsausübung rassistische Arbeitsbedingungen vorfinden oder – Stichwort #MeToo – sexuelle Belästigungen erleben und sich dagegen wehren. Vom Ausschluss von Selbstständigen mit Behinderungen aufgrund unterschiedlichster bestehender Barrieren gar nicht zu sprechen. Gibt es für diese Selbstständigen einen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung?
Nach dem Gesetzeswortlaut sind Diskriminierungen auch bei der „Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens sowie der Aufnahme oder Ausweitung jeglicher anderen Art von selbstständiger Tätigkeit“ verboten (§ 4 Z 3 und § 18 Z 3 GlBG, § 7a Abs 1 Z4 BEinstG). Wenige Praxisfälle und fehlende Rechtsprechung ließen bisher aber offen, was davon alles umfasst ist. Früher wurde in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, dass es dabei in erster Linie um den Abbau diskriminierender (gesetzlicher) Zugangsbeschränkungen, insbesondere für Gewerbetreibende oder die Vergabe von Kassenarztverträgen, gehen solle. In einem jüngeren österreichischen Urteil wurde das Diskriminierungsverbot immerhin auch auf einen Gesellschaftsvertrag, der in seiner Nachfolgeklausel weibliche Gesellschafterinnen ausschließen wollte, angewandt (OGH 24.01.2019, 6Ob55/18h). Beides trifft die Lebens- und Erwerbsbedingungen der genannten „kleinen Selbstständigen“ wohl eher nicht.
Diskriminierungsschutz für die gesamte Arbeitswelt
Das kürzlich ergangene EuGH-Urteil im Fall des polnischen Videoredakteurs bietet hingegen die Chance, den Diskriminierungsschutz im Sinne der „kleinen Selbstständigen“ weit auszulegen: Wird ein Auftrag aus diskriminierenden Gründen nicht erteilt, kann dies für Selbstständige nämlich eine, wie der EuGH sagt, „faktisch zwingende Bedingung für ihre wirksame Berufsausübung“ darstellen. Dies insbesondere dann, wenn sie ihre Leistungen immer wieder für einzelne oder einige wenige Vertragspartner:innen im Rahmen von Werkverträgen erbringen und ihr Schutz mangels Arbeitnehmer:innenähnlichkeit bisher noch nicht klar im Gesetz abgebildet war. Dieses Verständnis ist auch politisch geboten – in Anerkennung des auch vom EuGH betonten Ziels, allen Menschen eine diskriminierungsfreie Sicherung ihres Lebensunterhalts sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Viele Erwerbstätige verdienen – dauerhaft oder phasenweise – ihren Lebensunterhalt (freiwillig oder unfreiwillig) durch unterschiedlichste Formen der selbstständigen Tätigkeit. Schließlich würde man sich damit auch dem Ziel des GlBG annähern, die gesamte Arbeitswelt diskriminierungsfrei zu stellen.
Diskussionswürdig bleibt freilich, ob auch einzelne private Auftraggeber:innen umfassend zur Diskriminierungsfreiheit verpflichtet werden sollen bzw. wie ihre – ebenfalls schützenswerte – Position als Konsument:innen sinnvoll berücksichtigt werden kann. Das Gleichbehandlungsrecht sieht für diskriminierungsbetroffene Selbstständige derzeit zwar einen Anspruch auf Schadenersatz vor, spezifiziert aber nicht, gegen wen dieser bestehen kann (siehe z. B. § 12 Abs 10 GlBG). Daneben stellen sich zahlreiche Fragen der praktischen Durchsetzung, die von der schwierigen Beweisbarkeit bis zur Angst, nach einer Beschwerde womöglich gar keine Aufträge mehr zu erhalten, reichen. Bisher gibt es – abgesehen von umfassend dokumentierten sexuellen Belästigungen im Medien-, Kunst-, Kultur- und Sportbereich – kaum Fälle, die von Selbstständigen berichtet oder gar rechtlich verfolgt werden.
Der Ausgangsfall zeigt, wie ein Fall von Diskriminierung eines schwulen Videoredakteurs in Polen für selbstständig Erwerbstätige in Österreich, die aufgrund ihres Geschlechts, einer Behinderung oder anderer Merkmale diskriminiert werden, bedeutsam sein kann. Gleichzeitig bleiben viele Rechtsfragen offen. Organisationen wie der Klagsverband versuchen das Antidiskriminierungsrecht durch strategische Prozessführung weiterzuentwickeln und zu einer Klärung dieser Fragen beizutragen – im Sinne eines besseren Diskriminierungsschutzes für alle.