Der Arbeitslohn ist kein Geschenk, sondern erarbeitet, (gewerkschaftlich) ausverhandelt und bildet das finanzielle Fundament der von ihm Abhängigen. Jedenfalls ist er kein Gefährder der Wettbewerbsfähigkeit oder – wie neuerdings behauptet – Anheizer der Inflation. Und der internationale Vergleich zeigt, dass Österreichs kollektivvertragliche Lohnpolitik stabilisierend und kaufkraftsichernd wirkt.
Im Euroraum ist mehr als die Hälfte der „hausgemachten“, nicht energiepreisimportierten Inflation auf überproportionale Gewinnsteigerungen zurückzuführen, in Österreich sind es sogar zwei Drittel. Zur Verschleierung und Ablenkung von diesen wahren Inflationstreibern werden angeblich zu hohe Löhne attestiert, entweder als Inflationsspiralisierer oder Standortvernichter. Dabei wird Allerlei unsachlich vermengt. Zur Klärung:
Österreich bei Arbeitskosten im oberen Drittel Die gesamten Kosten einer Arbeitsstunde in der gesamten Privat-Wirtschaft betrugen 2022 in Österreich im Schnitt 39 Euro, um 50 Cent weniger als in Deutschland. Österreich rangiert damit im oberen Drittel. Das gebührt sich auch für die, gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, EU-weit fünftreichste Volkswirtschaft.
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Sozialstaatsbeiträge vulgo Lohn-„Neben“-Kosten Zusätzlich zum am Lohnzettel ausgewiesenen Bruttolohn zahlen die Unternehmen sogenannte Lohn-„Neben“-Kosten, die „Dienstgeber-Beiträge“. Diese sind – je nach Ausgestaltung der Sozialsysteme – ein wesentlicher Finanzierungsbeitrag für das Gesundheitssystem, die Pensionen, Familien-Leistungen, Arbeitslosengeld, Unfallversicherung etc., somit Sozialstaatsbeiträge . Österreichs sozialstaatsfeindliche Regierungspolitik der letzten Jahre hat massive Einnahmenverluste verursacht, seit 2016 bis 2023 im Schnitt 1,6 Milliarden Euro pro Jahr!
Bei den „Dienstgeber:innen“ zugeschriebenen Sozialbeiträgen handelt es sich ökonomisch ganz klar um Lohnbestandteile, daher sind sie auch statistisch unter den „Arbeitnehmerentgelten “ zu finden. Historisch für Österreich formuliert dies der österreichische Sozialstaatsforscher Prof. Emmerich Talós so: „Der sogenannte Arbeitgeberbeitrag ist kein zusätzlicher Beitrag, sondern Bestandteil des Lohnes. Dieser Modus der Finanzierung der Sozialversicherung wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert eingeführt, um die Mitwirkung der ArbeitgeberInnen in der Selbstverwaltung der Arbeiterkassen zu legitimieren. Dass es sich um einen Lohnbestandteil handelt, war seit den Anfängen unumstritten.“
In Österreich beträgt 2022 der in den gesamten Arbeitskosten enthaltene Lohn-„Neben“-Kosten-Anteil 26,6 Prozent, das ist anteilsmäßig etwas mehr als im Schnitt des Euroraums.
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Finanzierungsunterschiede der Sozialsysteme Die Finanzierungsstrukturen der Sozialsysteme der einzelnen EU-Länder sind sehr unterschiedlich. Dänemark etwa, das EU-weit drittreichste Land, hat die zweithöchsten Arbeitskosten pro Stunde, aber nur einen Lohn-„Neben“-Kosten-Anteil von rund zwölf Prozent an den Arbeitskosten. Das liegt nicht daran, dass Dänemark insgesamt geringere Sozial-Einnahmen hätte. Denn das nordische Land rangiert in der EU, gemessen am BIP, im Vor-Pandemiejahr 2019 (34,2 %) an erster und im Pandemiejahr 2020 (36,2 %) an zweiter Stelle. Zum Vergleich: Österreichs BIP-Anteile waren in diesen beiden Jahren 29,1 bzw. 31,7 Prozent, was dem neunten und siebten Rang entsprach.
Das österreichische Sozialsystem finanziert sich nämlich zu mehr als der Hälfte (55 %) aus Lohn-Abgaben (lohnbezogenen Sozialbeiträgen). In Dänemark nur zu einem Fünftel (19%). Dort werden die sozialstaatlichen Ausgaben überwiegend, nämlich zu fast vier Fünftel, über allgemeine Steuern finanziert.
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Productivity matters! Die Lohn-Stück-Kosten Wenn es um Bewertungen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit geht, sind Arbeitskosten alleine nicht entscheidend. Für einen lohnbezogen-preislichen Vergleich müssen die Arbeitskosten zur Wertschöpfung ins Verhältnis gesetzt werden. Diese Lohn-Stück-Kosten messen, wieviel Arbeitnehmer:innen-Entgelt (inklusive aller Sozialabgaben, auch der sogenannten „Dienstgeber-Beiträge“) pro geschaffener Wertschöpfungseinheit gezahlt wird. Als Orientierungsmaßstab für eine stabile Entwicklung kann das frühere Inflationsziel der europäischen Zentralbank (EZB) von rund zwei Prozent pro Jahr herangezogen werden. Ein durchschnittliches jährliches 2-Prozent-Wachstum summiert sich in fünf Jahren auf etwas mehr als zehn Prozent (10,4%). Und, wie haben sich die Lohn-Stück-Kosten in der Industrie (Lohn-Stück-Kosten in der Gesamtwirtschaft sind für internationale Vergleiche wenig aussagekräftig, da nicht die gesamte Wirtschaft – von der Friseurdienstleistung bis zu Stahlproduktion – im internationalen Handel tätig ist) in den letzten fünf Jahren entwickelt? In Österreich – trotz des Inflationskrisenjahres 2022 – mit kumuliert rund plus acht Prozent sehr gemäßigt. In manchen Nicht-Euro-Ländern sind Wechselkursschwankungen zu berücksichtigen: Die schwedische Krone hat gegenüber dem Euro stark abgewertet, die tschechische Krone aufgewertet. In Landeswährung gerechnet, dreht sich das jüngste Lohnkosten-Minus Schwedens in ein Plus und der Anstieg Tschechiens fällt noch stärker aus.
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(Lohn-)Kosten sind nicht alles Letztlich resümiert das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK , ist die „preisliche Wettbewerbsfähigkeit und damit die Entwicklung der Arbeitskosten in Relation zum Produktivitätsfortschritt, also die Lohnstückkostenentwicklung, nur eine – wenn auch wichtige – Komponente der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. In der mittleren und langen Frist beeinflussen Energiepreise und -verfügbarkeit die Qualität der öffentlichen und privaten Infrastruktur, die Innovationsfähigkeit der heimischen Unternehmen und das Humankapital der Beschäftigten die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft ebenfalls in erheblichem Umfang.“
Und, so könnte ergänzt werden, eine stabilisierende kollektivvertragliche Lohnpolitik, wie in Österreich, der auch die österreichische Nationalbank ein gutes Zeugnis ausstellt: „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der österreichische Lohnfindungsprozess […] gut funktioniert und sich vorerst kein Risiko für eine Lohn-Preis-Spirale abzeichnet.“
Aufholphase für Löhne 2022 war die Inflation profitgetrieben, EZB-Chef-Volkswirt Philipp Lane spricht von einer „Extra-Injektion“ durch Profite, die die Teuerungswelle aufschaukelte. Das verursachte international im Jahr 2022 Real-Lohn-Verluste, in Österreich betrug das Minus inflationsbereinigt rund vier Prozent. Bei den Löhnen gibt es daher Nachholbedarf. Zur Kaufkraftsicherung wurden in den letzten Monaten und werden in nächsten Monaten teuerungsbedingt höhere, ausgehandelte Lohnanstiege Ausdruck einer solchen Aufholphase sein.
In Kühn- und Waghalsigkeit und mehr kann Profitstreben ausarten, wussten Gewerkschafter wie der englischen Gewerkschaftsfunktionär Thomas Joseph Dunning bereits im vorvorigen Jahrhundert. Darauf hat sich schon Karl Marx berufen. Eine marxsche Lektüre, etwa zu „Lohn, Preis und Profit “, ist auch heute noch zu empfehlen.
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