Rette sich wer kann: Rettungswesen ohne Zukunft

05. April 2024

Menschen über 60: Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt und damit wächst der Bedarf an Leistungen des Rettungswesens stark an. Dort spitzt sich die Personalsituation zu, denn es gibt immer weniger Zivildiener und eine hohe Fluktuation. Demgegenüber stehen strukturelle Probleme, die dringend gelöst werden müssen: die kürzeste Berufsausbildung im Gesundheitswesen, föderaler Kompetenzdschungel und stetig wachsende Anzahl und Komplexität der Einsätze. Im Fall der Fälle sind es die Rettungssanitäter:innen, die als Erste vor Ort Leben retten sollen. Und doch lässt eine Novellierung des Sanitätsgesetzes seit 22 Jahren auf sich warten, obwohl das Rettungswesen in dieser Art nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Hohe Kosten und Verlust von Know-how

Konkrete Zahlen zur Personalsituation im Rettungswesen existieren in Österreich nicht. Der Bundesverband Rettungsdienst (BVRD) geht österreichweit von circa 40.000 bis 55.000 Sanitäter:innen im Einsatz aus. Laut dem neuen Evaluierungsbericht der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) handelt es sich um 48.427 Personen. Die Ausbildungszahlen zeigen, sodass alle fünf Jahre die gesamten 50.000 Sanitäter:innen neu ausgebildet werden. Dazu kommt eine hohe Drop-out-Quote von 15 Prozent während dieser Ausbildung, die ein klarer Hinweise auf eine verbesserungswürdige Ausbildungserfahrung ist. Faktoren wie geringe Weiterentwicklungsmöglichkeiten und die hohe Arbeitsbelastung fördern das Ausscheiden aus dem Beruf. Die herausfordernden Bedingungen belastet nicht nur die freiwilligen, sondern insbesondere auch die beruflichen Sanitäter:innen.

Fast in, fast out

Aktuell werden die Berufsaussteiger:innen durch eine hohe Ausbildungsquote kompensiert. Das wird sich schon demografisch bedingt nicht in dieser Form aufrechterhalten lassen. Eine bessere Qualifikation der Sanitäter:innen ist daher die notwendige Alternative zu hohen Ausbildungszahlen. Entwicklungen in Tirol zeigen, dass eine höhere Ausbildung die Verweildauer im Beruf positiv beeinflusst. Notfallsanitäter:innen (NFS) können in Tirol zusätzliche allgemeine und besondere Kompetenzen erwerben und dadurch versorgungswirksamer werden. Eine ärztliche Therapie, die durch Notärzt:innen erfolgt, ist bei den meisten Einsätzen nicht notwendig. Die Versorgung kann in diesen Fällen von höherqualifizierten Sanitäter:innen übernommen werden, was die ebenfalls unter hohem Druck stehenden Notärzt:innen entlastet.

Demografie fordert Rettungswesen heraus

Der Zivildienst ist die größte Rekrutierungsquelle für ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter:innen im Rettungsdienst, doch die Gesamtzahl der Zivildiener nimmt tendenziell ab. 2016 lag sie noch bei 15.224, im Jahr 2022 bei 14.370 Personen. Im Jahr 2022 wurden knapp 40 Prozent der Zivildiener dem Rettungsdienst zugewiesen, was nur mehr 5.674 Personen entspricht.

Gleichzeitig wächst der Bedarf. Die größte Gruppe der Kund:innen im Rettungswesen sind über 60-Jährige, das Durchschnittsalter beträgt rund 70 Jahre. Auf diese Bevölkerungsgruppe, die rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellt (26 Prozent), entfallen bereits jetzt circa 80 Prozent der Einsatzfahrten. Und der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen steigt in den nächsten Jahren weiter stetig an, parallel dazu bleibt der Bevölkerungsanteil der 18- bis 21-Jährigen jedoch nahezu konstant.

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In den kommenden Jahren ist daher aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer deutlichen Erhöhung der Einsatzzahlen zu rechnen. Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, aber auch das Notarztsystem kommen immer mehr an ihre Kapazitätsgrenzen. Weiter erschwerend wirkt, dass die Einsatzarten im Rettungswesen zunehmend anspruchsvoller werden und die Differenzierung der Einsätze immer schwieriger wird.

Wenn die Aufgaben nicht mehr über die Quantität gelöst werden können, sollte die Qualität stärker in den Fokus rücken. Deshalb ist die Neugestaltung der Sanitäter:innenausbildung und deren Kompetenzen eine unverzichtbare Maßnahme, um unser Rettungswesen für die kommenden Herausforderungen zu rüsten.

Ausbildung als Sackgasse

Die Ausbildungsdauer von Rettungssanitäter:innen und Notfallsanitäter:innen in Österreich ist wesentlich kürzer als in allen Nachbarländern. Die geringere Qualifikation beeinträchtigt daher auch die Einsatzeffektivität der präklinischen Versorgung im Vergleich zu unseren Nachbarländern. Besonders der Bedarf an nicht-kritischer Versorgung zu Hause und in Pflegeheimen sowie die Reaktion auf psychosoziale Probleme und Einsamkeit nimmt zu und könnte von höherqualifizierten Sanitäter:innen übernommen werden.

Zudem wären länger ausgebildete Sanitäter:innen mit zusätzlichen Kompetenzen prädestiniert dafür, Patient:innenströme zielgerichteter zu steuern. Damit könnten sie den Akutbereich und so auch die Spitäler entlasten, die ebenfalls mit einer hohen Nachfrage an Fachpersonal zu kämpfen haben.

Die höchste Ausbildungsstufe Notfallsanitäter:in mit der Notfallkompetenz Intubation (NFS-NKI) umfasst insgesamt nur 1.640 Stunden, wovon lediglich 940 Stunden auf die Ausbildungszeit entfallen. Die restlichen 700 Stunden werden durch Praxiseinsätze erworben.

Die kleinste Ausbildung ist jene der Rettungssanitäter:innen. Sie umfasst überhaupt nur 260 Stunden, das ist die kürzeste Ausbildungsdauer und damit die niedrigste Einstiegsqualifikation unter allen gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen. Mit dieser geringen Qualifikation werden Absolvent:innen jedoch auch allein zur Versorgung von Notfallpatient:innen eingesetzt, da die geschätzten 7.000 ausgebildeten Notfallsanitäter:innen durch die mangelnden Weiterentwicklungsmöglichkeiten und die hohen Arbeitsbelastungen oft hauptberuflich anderswo tätig sind und in ihrer Freizeit nur wenige Dienste zusätzlich übernehmen können.

Die kurze Ausbildungsdauer der Rettungssanitäter:innen verhindert außerdem die Berufsanerkennung in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie die Durchlässigkeit zu anderen Gesundheits- und Sozialberufen – Sanitäter:in ist ein „Sackgassenberuf“. Mangels beruflicher Weiterentwicklungsmöglichkeiten gehen die ausgebildeten Sanitäter:innen der Gesundheitsbranche verloren.

Rechtlicher Rahmen: viel Föderalismus, wenig Plan

Seit 2002 erfolgte keine nennenswerte Weiterentwicklung des Berufsgesetzes. Das Rettungswesen ist Ländersache und deshalb neunmal unterschiedlich geregelt und organisiert. Beispielsweise sind je nach Bundesland und Trägerorganisation unterschiedliche Arzneimittellisten zur Anwendung freigegeben. Fehlende Daten erschweren die Personal- und Versorgungsplanung und damit auch eine transparente Finanzierung und Qualitätssicherung. Sanitäter:innen sind auch noch immer nicht der Berufsgruppe der Feuerwehr im Nachtschwerarbeitsgesetz gleichgestellt, obwohl auch sie vergleichbaren Belastungen ausgesetzt sind, oft sogar bei denselben Einsätzen angefordert werden.

Aufgrund der veralteten Ausbildungen und Rahmenbedingungen stehen wir vor einer ungenügenden präklinischen Versorgungslage. Sanitäter:innen können aufgrund ihrer geringen Ausbildung Patient:innen in Notfällen nicht so effektiv helfen wie ihre Kolleg:innen in den Nachbarländern, was besonders die Krankenhäuser und damit auch die Gesundheitsbudgets belastet. Auch die unterschiedlichen Befugnisse von Notfallsanitäter:innen je nach Bundesland und Einsatzorganisation führen zu unterschiedlicher Versorgung für die Bevölkerung, obwohl die berufsrechtlichen Kompetenzen an sich überall dieselben wären.

Fehlende Daten verhindern eine effiziente und bundesweite Planung zum Ausbildungsstand und zur Personal- und Einsatzplanung. Die schon lange geforderte Registrierung der Sanitäter:innen bleibt bisher aus. Fehlende Durchlässigkeit und Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie die Abwesenheit eines Schutzes durch das Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) führen zur geringeren Attraktivität des Berufes. Das erschwert auch zukünftig, Mitarbeiter:innen zu rekrutieren. So gesehen leistet sich Österreich ein höchst ineffizientes Rettungswesen.

Die Lösungen liegen auf dem Tisch

Die Herausforderungen im Rettungswesen sind bekannt. Nun geht es um Lösungen, mit denen das Rettungswesen den veränderten Bedingungen begegnen kann. Ohne mehr Qualität, bessere Arbeitsbedingungen und gute Planungsgrundlagen wird es nicht gehen. Es braucht daher:

  • Modulares Ausbildungsmodell mit einer Basisqualifizierung für den Berufseinstieg, der auch freiwillige Einsätze ermöglicht. Weiterführende (Spezial-)Ausbildungen auch auf FH-Ebene gewährleisten eine qualitativ hochwertige präklinische Versorgung und entlasten die Krankenhäuser. So wird auch die Durchlässigkeit in andere Gesundheitsberufe sowie Anrechnungen in die jeweilige höhere Ausbildung ermöglicht.
  • Sicherstellung von adäquaten Einsatzmöglichkeiten für freiwillige Sanitäter:innen, egal ob mit Basisqualifizierung oder auch mit weiterführender Qualifikation. Das macht auch die ehrenamtliche Tätigkeit im Rettungsdienst attraktiv und sichert den notwendigen Nachwuchs.
  • Aufnahme der Sanitäter:innen in das Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG), wie es 2013 auch für Arbeitnehmer:innen der Feuerwehr umgesetzt wurde. Damit erhalten die Betroffenen auch die besonderen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge.
  • Aufnahme der Sanitäter:innen in das Gesundheitsberuferegister, um die Qualität der Versorgung, aber auch die Planungssicherheit zu gewährleisten.
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