Zahnärztliche Fachassistenz – ein Beispiel für einen erfolgreichen Lehrberuf

09. März 2022

Der Ausbildungsversuch des Lehrberufs Zahnärztliche Fachassistenz kann als voller Erfolg bezeichnet werden: Seit seiner Einführung im Jahr 2006 ist die Anzahl an Lehrverhältnissen auf 418 Lehrlinge (2021) angestiegen. Über 95 Prozent davon sind weiblich. Mit einem Anteil von fast 40 Prozent an Lehrlingen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft (der höchste Anteil unter allen Lehrberufen mit mehr als 20 Lehrlingen) ist der Lehrberuf auch aus integrationspolitischer Perspektive von hoher Relevanz. Trotz alldem bleibt die Zahnärztliche Fachassistenz seit nunmehr bereits über 15 Jahren immer noch nur ein „Ausbildungsversuch“ – eine Einstufung, die längst geändert gehört.

Grundsätzliches: Wie entsteht ein neuer Lehrberuf?

Was im Lehrlingswesen einen „Ausbildungsversuch“ kennzeichnet, bedarf zunächst einer kurzen Erklärung:

Grundlage jedes Lehrberufs ist dessen vom Wirtschaftsministerium erlassene Ausbildungs- und Prüfungsordnung – alle entsprechenden Verordnungen sind unter der Liste der österreichischen Lehrberufe von A bis Z (bmdw.gv.at) abrufbar. Bevor es zu einer Verordnung kommt, wird zunächst ein Vorschlag im Bundesberufsausbildungsbeirat, kurz BBAB, erarbeitet und beschlossen. Der BBAB ist ein sozialpartnerschaftliches Gremium, d. h. darin verhandeln sowohl VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen (Arbeiterkammer, Gewerkschaft) als auch der Arbeitgeber (Wirtschaftskammer) wie auch des Wirtschaftsministeriums gemeinsam über die Inhalte eines Berufsbilds.

Geht es um einen gänzlich neuen Lehrberuf, so ist es üblich, dass dieser zunächst als Ausbildungsversuch mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren eingeführt wird. Am Ende der Frist wird ein Evaluierungsbericht verfasst, auf dessen Grundlage der BBAB entscheidet, ob der Lehrberuf

  1. ins Regelwesen überführt – also unbefristet weitergeführt wird – oder
  2. mangels Interesse von Jugendlichen und Betrieben gestrichen wird oder
  3. als Ausbildungsversuch verlängert wird.

Im Falle des Lehrberufs Zahnärztliche Fachassistenz kam die dritte Option inzwischen wiederholt zur Anwendung, d. h. dieser wurde nun bereits mehrfach verlängert – zuletzt per Verordnung im Jahr 2020 – und befindet sich heuer in seinem 16. Versuchsjahr.

Wie erfolgreich ist der Lehrberuf Zahnärztliche Fachassistenz?

Der beste Gradmesser für den Erfolg eines neuen Lehrberufs ist die Anzahl an Lehrverhältnissen, die geschlossen wurden.

Die folgende Grafik zur Anzahl der Lehrlinge für Zahnärztliche Fachassistenz seit 2016 zeigt, dass es sich dabei um einen Wachstumsberuf handelt. Selbst die Corona-Jahre 2020 und 2021 konnten dem steigenden Trend keinen Abbruch tun.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Auch auf dem Lehrstellenmarkt ist das Interesse an dem Lehrberuf sowohl vonseiten der Jugendlichen als auch der Ausbildungsbetriebe hoch. Mit Ausnahme des Pandemiejahres 2021 waren jedes Jahr mehr Lehrstellensuchende beim AMS gemeldet als im Vorjahr. Auch die Anzahl der beim AMS gemeldeten, sofort verfügbaren offenen Lehrstellen ist ständig steigend.

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Besonders bei jungen Frauen ist der Lehrberuf beliebt – rund 95 Prozent der Lehrlinge sind weiblich. Dies ist bereits seit Längerem so, wie folgende Grafik zeigt:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Positiv hervorzuheben ist auch der integrationspolitische Aspekt dieses Lehrberufs. In keinem anderen größeren Lehrberuf (>20 Lehrlinge) gab es einen so hohen Anteil an Lehrlingen, die eine andere Staatsbürgerschaft hatten als die österreichische. Die drei häufigsten nicht-österreichischen Staatsbürgerschaften waren 2021 Syrien, gefolgt von Serbien und Afghanistan. Somit leistet die Tatsache, dass es diesen Lehrberuf gibt, einen wichtigen Beitrag zur Integration von Geflüchteten in den österreichischen Arbeitsmarkt.

Insgesamt ist die Zahnärztliche Fachassistenz also ein voller Erfolg. Immer mehr Jugendliche beginnen diesen Lehrberuf. Immer mehr Betriebe bilden darin aus. Im letzten Evaluierungsbericht von 2019 haben 90 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe gesagt, dass sie auch in Zukunft Lehrlinge in diesem Beruf ausbilden werden. Auf die Frage, ob der Lehrberuf weitergeführt werden soll, haben sogar 100 Prozent (!) der befragten Ausbildungsbetriebe mit Ja geantwortet.

Dass es den Lehrberuf Zahnärztliche Fachassistenz weitergeben sollte, daran dürfte eigentlich kein Zweifel bestehen.

Warum ist die Zahnärztliche Fachassistenz dann nicht schon längst ein Regellehrberuf?

Die Situation des Lehrberufs Zahnärztliche Fachassistenz ist insofern besonders, als es eine ähnliche Berufsausbildung parallel gibt – die der ZahnärztlicheN Assistent/-in.

Dabei handelt es sich allerdings um einen Gesundheitsberuf, die Ausbildungsordnung ist daher vom Gesundheitsministerium verordnet (RIS – ZASS-Ausbildungsverordnung – Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 24.01.2022 (bka.gv.at).

Bei der ZahnärztlicheN Assistent/-in (im Folgenden Gesundheitsberuf genannt) müssen TeilnehmerInnen eine Theorieausbildung in einer der Zahnärztlichen Akademien absolvieren – ein Lehrgang, der bis zu 4.000 Euro kosten kann. Die Akademien selbst werden von den Zahnärztekammern betrieben, die starkes Interesse haben, dass der konkurrierende Lehrberuf als Ausbildungsversuch sozusagen ein Lehrberuf „zweiter Klasse“ bleibt – gegebenenfalls auch mit politischem Druck.

Welche Nachteile hat der Gesundheitsberuf Zahnärztliche/r Assistent/in?

Im Gegensatz zum Lehrberuf ist der Gesundheitsberuf nicht auf Basis eines sozialpartnerschaftlichen Gremiums verhandelt. Die daraus resultierenden Folgen zeigen sich leider immer wieder in der Beratungspraxis der Arbeiterkammer Wien:

                Kein besonderer Kündigungsschutz

Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Möglichkeit der Auflösung des Dienstverhältnisses. Während beim Lehrberuf zusätzliche Schutzbestimmungen dafür sorgen, dass ein Dienstverhältnis während der Ausbildung nur unter besonderen Umständen aufgelöst werden kann, gilt für den Gesundheitsberuf nichts Vergleichbares. Hier gelten die normalen Regeln für Angestellte.

                Rückforderung der Ausbildungskosten

Besonders häufig muss der Rechtsschutz der Arbeiterkammer Wien in Fragen der Ausbildungskosten intervenieren. Während es beim Lehrberuf völlig klar ist, dass die Lehrlinge keine Ausbildungskosten zu tragen haben, kommt es gerade beim Gesundheitsberuf immer wieder vor, dass die bereits erwähnten Kosten von bis zu 4.000 Euro für die verpflichtende Theorieausbildung in einer Zahnärztlichen Akademie von den Auszubildenden zurückgefordert werden. Eine rechtliche Grundlage für diese Rückforderung besteht nicht, auch wenn das Dienstverhältnis vor Ablauf der Ausbildung aufgelöst wird. Dennoch versuchen manche Betriebe es immer wieder und gehen von dieser Forderung erst nach Intervention der Arbeiterkammer ab. Dabei stellen auch für die Betriebe die Ausbildungskosten einen Nachteil des Gesundheitsberufs dar – denn während Ausbildungsbetriebe des Lehrberufs mit keinen zusätzlichen verpflichtenden Kosten konfrontiert sind, müssen Ausbildungsbetriebe des Gesundheitsberufs die Kosten für die Theorieausbildung tragen.

                Verspätete Anmeldung zur Theorieausbildung

Im Gegensatz zum Lehrberuf, bei dem der Betrieb verpflichtet ist, zu Beginn des Lehrverhältnisses den Lehrling zur Berufsschule anzumelden, können beim Gesundheitsberuf die Betriebe mit der Anmeldung zur theoretischen Ausbildung zuwarten. Dies führt leider immer wieder dazu, dass Betrieb auf eine rechtzeitige Anmeldung vergessen. Für die Auszubildenden bedeutet dies, dass sie ihre Ausbildung nicht abschließen können und länger auf das höhere Gehalt einer anerkannten Fachkraft warten müssen.

Welche Nachteile hat der Status „Ausbildungsversuch“?

Technisch gesehen kann es sowohl für einen Lehrling als auch für einen Ausbildungsbetrieb egal sein, ob ein Lehrberuf bereits ins Regelwesen überführt wurde oder noch als Ausbildungsversuch geführt wird. Die Rechte und Pflichten sind in beiden Fällen gleich und selbst wenn der Fall eintreten sollte, dass ein Ausbildungsversuch nicht mehr fortgeführt wird, so sind Übergangsfristen vorgesehen, die sicherstellen, dass eine Ausbildung abgeschlossen werden kann.

In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die mögliche Beendigung des Ausbildungsversuchs ohne Überführung ins Regelwesen vor allem für potenzielle Ausbildungsbetriebe wie ein Damoklesschwert über dem Lehrberuf schwebt. Viele interessierte Betriebe sehen daher leider davon ab, sich dem aufwendigen Verfahren zu stellen, welches ihnen die Berechtigung gibt, Lehrlinge auszubilden. Einer der größten Ausbildungsbetriebe für Zahnärztliche Fachassistenz, die Universitätszahnklinik der Medizinischen Universität Wien, sah sich Anfang 2020 sogar dazu genötigt, sich per Schreiben an den BBAB für die Fortführung des Lehrberufs starkzumachen.

Es wird Zeit, den Erfolg anzuerkennen

Trotz dieser Unsicherheit aufseiten der Betriebe zeigt die Anzahl der Lehrverhältnisse, dass die Zahnärztliche Fachassistenz sowohl bei Jugendlichen als auch bei Betrieben gerne angenommen wird. Auch die demografische Zusammensetzung des Lehrberufs (viele Frauen mit Migrationshintergrund) spricht dafür, den Lehrberuf fortzusetzen.

Die Arbeiterkammer Wien hat daher eine Kampagne auf Facebook und Instagram gestartet, um sowohl den Lehrberuf und dessen Vorteile bekannter zu machen als auch der Forderung ans Wirtschaftsministerium Nachdruck zu verleihen, nach Ablauf der aktuellen Evaluierungsphase endlich die Überführung ins Regelwesen durchzuführen.

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