Digitale Unter­weisung – Chancen und Risiken für den Arbeitnehmer:innen­schutz

13. Januar 2025

Digitalisierung macht auch vor der Arbeitssicherheit nicht halt. Die Möglichkeiten, damit Arbeitsunfälle zu vermeiden und die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen, sind umfassend. Zumindest in der Theorie. In der Praxis sollen häufig administrative und organisatorische Aufgaben im Arbeitnehmer:innenschutz erleichtert und die Unterweisung „an den Computer ausgelagert“ werden. Aber ist dies rechtlich möglich? Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden?


Arbeitnehmer:innenschutz 4.0

Drohnen, die Baustellen überfliegen und automatisch Sicherheitsrisiken erkennen. Roboter, die in Gefahrenbereichen die notwendigen Arbeiten statt eines Menschen verrichten. Sensoren in der Arbeitskleidung, welche die Anreicherung von Schadstoffen in der Umgebungsluft erkennen und Alarm schlagen. Wenn es darum geht, dass Digitalisierung und neue Technologien den Arbeitnehmer:innenschutz verbessern, scheint alles vorstellbar und vieles möglich. Manches ist auch schon Realität. Neue Technologien sind aber meist auch teuer und müssen sich erst langfristig bewähren. Deshalb scheint der „Arbeitnehmer:innenschutz 4.0“ nicht mit der gleichen Dynamik voranzuschreiten, wie es die Digitalisierung in anderen Bereichen der Arbeitswelt tut.

Eine Ausnahme ist die digitale Unterweisung, die in Fachkreisen viel diskutiert wird. Entsprechende Software drängt auf den Markt. Betriebe bedienen sich zunehmend digitaler Instrumente bei der Erfüllung der Unterweisungspflicht. Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn sich im Arbeitnehmer:innenschutz Modernisierungsschritte vollziehen. Doch warum ist gerade hier das Interesse so groß?

Unterweisung – eine lästige Pflicht?

Die Unterweisungspflicht trifft alle Arbeitgeber:innen (§ 14 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes – ASchG). Sie haben dabei alle Beschäftigten umfassend über sämtliche Gefährdungen und Risiken für Sicherheit und Gesundheit im Rahmen der Tätigkeit zu informieren. Die Unterweisung muss insbesondere den korrekten Umgang mit den potenziellen Gefahren beinhalten. Beispielsweise, wie Arbeitsprozesse sicher auszuführen sind, welche Schutzausrüstungen und -vorrichtungen wie verwendet werden müssen, wie Arbeitsmittel oder Arbeitsstoffe sicher zu handhaben sind usw. Die Unterweisung muss zudem nachweislich erfolgen und in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Diese Verpflichtung ist also durchaus mit einigem Aufwand verbunden. Sie bindet Personalressourcen in der Informationsaufbereitung und -vermittlung und verursacht einen gewissen Dokumentationsaufwand. Und schließlich müssen Unterweisungen aktualisiert und jede Änderung kommuniziert werden. In manchen Betrieben wird sie daher als lästige bürokratische Pflicht betrachtet.

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Umgekehrt schafft die Unterweisung aber auch eine gewisse Rechtssicherheit für den Arbeitgeber. Werden Unterweisungen nicht (nachweisbar) durchgeführt, kann dies Verwaltungsstrafen nach sich ziehen. Im Falle eines Arbeitsunfalles kann das Fehlen der Unterweisung auch als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden und folglich Regressforderungen der Unfallversicherung nach sich ziehen. Arbeitgeber haben also durchaus ein Interesse daran, die Erfüllung der Unterweisungspflicht nachweisen zu können.

Digitale Unterweisung

Eine digitale Abwicklung der Unterweisung bietet Chancen. Und natürlich auch ein gewisses Einsparungspotenzial: Unterweisungen per Videostream oder Online-Dokument – jederzeit und überall – und nicht mehr im Schulungsraum oder direkt am Arbeitsplatz. Eine Teilnahme von Mitarbeiter:innen wird automatisch im System registriert und gilt somit als Nachweis. Eventuell auch noch ein schneller Multiple-Choice-Test am Bildschirm, um die Unterweisungsinhalte abzufragen. Die „lästige Bürokratie“ kann so leichter, schneller und günstiger abgewickelt werden. Aber ist das auch rechtskonform?

Kein „One size fits all“

Zunächst sei vorausgeschickt, dass digitale Anwendungen im Rahmen der Unterweisung erlaubt sind und durchaus nützlich sein können. Ein ausschließliches Verlagern der Unterweisung in die digitale Sphäre ist aus rechtlicher Sicht jedoch nicht möglich. Dagegen spricht zunächst § 14 Abs 4 ASchG, wonach die Unterweisung dem Erfahrungsstand der Arbeitnehmer:innen angepasst sein muss. Lehrlinge sind demnach anders zu unterweisen als langjährige Mitarbeiter:innen. Die Unterweisung hat zudem in einer verständlichen Sprache zu erfolgen, was laut Gesetz im Bedarfsfall auch eine Übersetzung in die Muttersprache der unterwiesenen Person notwendig machen kann. Ein „One size fits all“, wie es derzeit bei digitalen Unterweisungen verbreitet ist, ist aufgrund dieser Vorgaben jedenfalls nicht möglich.

Verständlichkeit im Reality-Check

Die Unterweisung muss zudem nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich verständlich für die jeweiligen Adressat:innen sein. Dies macht es zunächst notwendig, dass Unterwiesene unmittelbar Rückfragen zu den Unterweisungsinhalten stellen können müssen, was gängige Anwendungen derzeit (noch) nicht hinreichend leisten können. Die Überprüfung, ob die Unterweisungsinhalte auch tatsächlich verstanden wurden, obliegt ebenso dem Arbeitgeber. Dies kann zunächst natürlich in Form einer Abfrage im Anschluss an die Unterweisung erfolgen. Ausschlaggebend im Sinne des Arbeitnehmerschutzrechts ist jedoch nicht eine Wissensüberprüfung, sondern die tatsächliche und nachhaltige Befolgung der Unterweisungsinhalte im Arbeitsalltag. Um dies zu gewährleisten, braucht es klar zuständige Personen, welche mit den Unterweisungsinhalten umfassend vertraut sind und die bei Zuwiderhandeln unmittelbar auf diese hinweisen können. Gegebenenfalls müssen Unterweisungen auch überarbeitet werden, wenn die Inhalte nicht in der Realität ankommen. Diese Kontrollaufgabe in die digitale Sphäre zu verschieben scheint aktuell technisch, aber auch datenschutzrechtlich kaum möglich.

Arbeitsplatznahe Unterweisung

Schließlich muss noch auf § 14 Abs 3 ASchG hingewiesen werden, wonach eine Unterweisung auch auf den jeweiligen Arbeitsplatz und Aufgabenbereich der Arbeitnehmer:innen ausgerichtet sein muss. Dies macht es in vielen Fällen notwendig, die Unterweisung direkt am Arbeitsplatz durchzuführen. Das möglichst ergonomische Anheben von schweren Lasten zu zweit, das sichere Hantieren mit scharfkantigen Werkstücken oder das korrekte Anlegen eines Atemschutzes können im Rahmen einer digitalen Unterweisung nicht derart vermittelt werden, dass sich Arbeitgeber auf eine sichere Anwendung im Alltag verlassen können. Der Zweck der Unterweisung – und somit auch die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers – sind damit nicht erfüllt.

Fazit

Digitale Anwendungen finden im Rahmen der Unterweisung zunehmend Verwendung (siehe dazu auch Elektronische Unterweisung). Dies ist grundsätzlich zulässig und kann eine sinnvolle Unterstützung im Unterweisungsprozess sein. Digitale Anwendungen können jedoch die traditionelle Unterweisung – von Mensch zu Mensch, im Dialog, im tatsächlichen Tun vor Ort – nicht ersetzen. Arbeitgeber fokussieren oft zu sehr auf die Erfüllung von Formalvorschriften (z. B. Unterweisungsnachweise in Form von Unterschriftenlisten sammeln) und verlieren den eigentlichen Zweck der Vorschrift aus den Augen: dass alle Beschäftigten gesund und unfallfrei durch ihr Arbeitsleben gehen können. Unterweisungen sind aus rechtlicher Sicht als ein System zu verstehen, das von einer (fallweise individualisierten) Wissensvermittlung über die Anwendungskontrolle bis hin zur Nachbesserung reicht. Arbeitgeber, welche die Unterweisung – gänzlich oder überwiegend – in die digitale Sphäre verlagern, könnten spätestens im Schadensfall mit empfindlichen rechtlichen Konsequenzen konfrontiert werden. Die analoge Interaktion wird also weiterhin eine wichtige Rolle bei der Unterweisung spielen müssen.

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