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Umgekehrt schafft die Unterweisung aber auch eine gewisse Rechtssicherheit für den Arbeitgeber. Werden Unterweisungen nicht (nachweisbar) durchgeführt, kann dies Verwaltungsstrafen nach sich ziehen. Im Falle eines Arbeitsunfalles kann das Fehlen der Unterweisung auch als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden und folglich Regressforderungen der Unfallversicherung nach sich ziehen. Arbeitgeber haben also durchaus ein Interesse daran, die Erfüllung der Unterweisungspflicht nachweisen zu können.
Digitale Unterweisung
Eine digitale Abwicklung der Unterweisung bietet Chancen. Und natürlich auch ein gewisses Einsparungspotenzial: Unterweisungen per Videostream oder Online-Dokument – jederzeit und überall – und nicht mehr im Schulungsraum oder direkt am Arbeitsplatz. Eine Teilnahme von Mitarbeiter:innen wird automatisch im System registriert und gilt somit als Nachweis. Eventuell auch noch ein schneller Multiple-Choice-Test am Bildschirm, um die Unterweisungsinhalte abzufragen. Die „lästige Bürokratie“ kann so leichter, schneller und günstiger abgewickelt werden. Aber ist das auch rechtskonform?
Kein „One size fits all“
Zunächst sei vorausgeschickt, dass digitale Anwendungen im Rahmen der Unterweisung erlaubt sind und durchaus nützlich sein können. Ein ausschließliches Verlagern der Unterweisung in die digitale Sphäre ist aus rechtlicher Sicht jedoch nicht möglich. Dagegen spricht zunächst § 14 Abs 4 ASchG, wonach die Unterweisung dem Erfahrungsstand der Arbeitnehmer:innen angepasst sein muss. Lehrlinge sind demnach anders zu unterweisen als langjährige Mitarbeiter:innen. Die Unterweisung hat zudem in einer verständlichen Sprache zu erfolgen, was laut Gesetz im Bedarfsfall auch eine Übersetzung in die Muttersprache der unterwiesenen Person notwendig machen kann. Ein „One size fits all“, wie es derzeit bei digitalen Unterweisungen verbreitet ist, ist aufgrund dieser Vorgaben jedenfalls nicht möglich.
Verständlichkeit im Reality-Check
Die Unterweisung muss zudem nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich verständlich für die jeweiligen Adressat:innen sein. Dies macht es zunächst notwendig, dass Unterwiesene unmittelbar Rückfragen zu den Unterweisungsinhalten stellen können müssen, was gängige Anwendungen derzeit (noch) nicht hinreichend leisten können. Die Überprüfung, ob die Unterweisungsinhalte auch tatsächlich verstanden wurden, obliegt ebenso dem Arbeitgeber. Dies kann zunächst natürlich in Form einer Abfrage im Anschluss an die Unterweisung erfolgen. Ausschlaggebend im Sinne des Arbeitnehmerschutzrechts ist jedoch nicht eine Wissensüberprüfung, sondern die tatsächliche und nachhaltige Befolgung der Unterweisungsinhalte im Arbeitsalltag. Um dies zu gewährleisten, braucht es klar zuständige Personen, welche mit den Unterweisungsinhalten umfassend vertraut sind und die bei Zuwiderhandeln unmittelbar auf diese hinweisen können. Gegebenenfalls müssen Unterweisungen auch überarbeitet werden, wenn die Inhalte nicht in der Realität ankommen. Diese Kontrollaufgabe in die digitale Sphäre zu verschieben scheint aktuell technisch, aber auch datenschutzrechtlich kaum möglich.
Arbeitsplatznahe Unterweisung
Schließlich muss noch auf § 14 Abs 3 ASchG hingewiesen werden, wonach eine Unterweisung auch auf den jeweiligen Arbeitsplatz und Aufgabenbereich der Arbeitnehmer:innen ausgerichtet sein muss. Dies macht es in vielen Fällen notwendig, die Unterweisung direkt am Arbeitsplatz durchzuführen. Das möglichst ergonomische Anheben von schweren Lasten zu zweit, das sichere Hantieren mit scharfkantigen Werkstücken oder das korrekte Anlegen eines Atemschutzes können im Rahmen einer digitalen Unterweisung nicht derart vermittelt werden, dass sich Arbeitgeber auf eine sichere Anwendung im Alltag verlassen können. Der Zweck der Unterweisung – und somit auch die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers – sind damit nicht erfüllt.
Fazit
Digitale Anwendungen finden im Rahmen der Unterweisung zunehmend Verwendung (siehe dazu auch Elektronische Unterweisung). Dies ist grundsätzlich zulässig und kann eine sinnvolle Unterstützung im Unterweisungsprozess sein. Digitale Anwendungen können jedoch die traditionelle Unterweisung – von Mensch zu Mensch, im Dialog, im tatsächlichen Tun vor Ort – nicht ersetzen. Arbeitgeber fokussieren oft zu sehr auf die Erfüllung von Formalvorschriften (z. B. Unterweisungsnachweise in Form von Unterschriftenlisten sammeln) und verlieren den eigentlichen Zweck der Vorschrift aus den Augen: dass alle Beschäftigten gesund und unfallfrei durch ihr Arbeitsleben gehen können. Unterweisungen sind aus rechtlicher Sicht als ein System zu verstehen, das von einer (fallweise individualisierten) Wissensvermittlung über die Anwendungskontrolle bis hin zur Nachbesserung reicht. Arbeitgeber, welche die Unterweisung – gänzlich oder überwiegend – in die digitale Sphäre verlagern, könnten spätestens im Schadensfall mit empfindlichen rechtlichen Konsequenzen konfrontiert werden. Die analoge Interaktion wird also weiterhin eine wichtige Rolle bei der Unterweisung spielen müssen.
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