Arbeiten für die Gesel­lschaft statt für Pro­fite – eine mu­tige Arbeits­markt­poli­tik stellt die un­angenehmen Fragen

07. August 2024

In kapitalistischen Strukturen dient Arbeit vor allem privaten Profitinteressen: Arbeitsplätze entstehen dort, wo sie das Kapital der Eigentümer:innen vermehren, und nicht zwingend dort, wo sie zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Die Klimakrise macht aber deutlich, dass die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen die Leitplanken dafür sein müssen, welcher Arbeit wir nachgehen und wofür wir unsere Arbeitskraft einsetzen. Wir müssen fundamental ändern, wie wir wirtschaften – aber keinesfalls auf dem Rücken der Arbeitnehmer:innen. Mit welchen konkreten Maßnahmen wir eine gute Zukunft für die Vielen Realität werden lassen, zeigen wir im Umbauplan der AK Wien.

Eyes on the prize: was wir mit dem Umbau gewinnen

Die AK Wien setzt sich für einen sozialen und ökologischen Umbau der gesamten Wirtschaft ein, der unsere Lebensgrundlagen schützt und im Interesse der arbeitenden Menschen gestaltet wird. Dafür braucht es ein klares Bild für die Zukunft, das die Menschen begeistert. Ein solcher Umbau betrifft viele Lebensbereiche: Wir müssen Gebäude sanieren und erneuerbare Energien ausbauen, Industrie und Landwirtschaft auf ökologischere Produktion umstellen, den Sozialstaat und die öffentliche Grundversorgung stärken. All das hat direkte Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Menschen und den Arbeitsmarkt.

Für die Arbeitsmarktpolitik bedeutet der Umbau die Chance auf die Qualifizierung von Arbeitnehmer:innen und auf gut bezahlte und sinnstiftende Arbeitsplätze. Nach dem Umbau werden wir in größerem Ausmaß für die Gesellschaft und die Vielen anstatt für die Profite einiger weniger arbeiten. Wofür und wie wir arbeiten, wird sich am gesellschaftlichen Nutzen und damit auch an der Klimabilanz ausrichten. Neben den technisch orientierten „Green Jobs“, die entscheidend für die Energie- und Mobilitätswende sind, entsteht auch Beschäftigung in der Daseinsvorsorge, z. B. in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Bildung oder öffentlicher Verkehr. Klimaheld:innen-Jobs müssen nicht zwingend technischer Natur sein.

Der soziale und ökologische Umbau wird erfordern, dass Menschen leichter in andere Berufe umsteigen können. Dadurch werden die Beschäftigten mehr Beweglichkeit in ihrem Berufsleben haben als zuvor. Wer als Folge der wirtschaftlichen Veränderungen arbeitslos wird, wird nicht mehr existenziell bedroht sein, sondern gute Möglichkeiten haben, sich neu zu orientieren. Dafür wird einerseits ein verbessertes Arbeitslosengeld sorgen. Andererseits wird es zahlreiche neue, finanziell abgesicherte Ausbildungsmöglichkeiten geben, welche die Interessen der Betroffenen und der Gesellschaft in den Vordergrund stellen.

Keine mutige Arbeitsmarktpolitik ohne Wirtschaftspolitik

Auf dem Weg zu einem sozialen und ökologischen Arbeitsmarkt steht die Arbeitsmarktpolitik aktuell vor zwei Herausforderungen: Erstens geht es im klassischen Sinne um die Vermittlung von arbeitslosen Menschen auf Arbeitsplätze, mit all ihren Fallstricken, wie der – teils von Unternehmen selbst verschuldeten – hohen Nachfrage nach Arbeitskräften. Gleichzeitig machen bestimmte Personengruppen wie ältere und junge Erwerbstätige, Frauen, Menschen mit Migrationsbiografie oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt Diskriminierungserfahrungen und sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Anstatt Arbeitskräfte zu stigmatisieren und einem hohen Armutsrisiko auszusetzen, muss die Arbeitslosenversicherung ihren Lebensstandard sichern und das AMS ihnen ermöglichen, ihr Arbeitsmarktpotenzial zu realisieren.

Zweitens erfordert der Umbau eine aktiv gestaltende Arbeitsmarktpolitik, die mittel- bis langfristig plant. Das wiederum kann nur im Wechselspiel mit einer dem sozialen und ökologischen Umbau verschriebenen Wirtschaftspolitik umgesetzt werden. Ohne gesetzliche Vorgaben ist die Gefahr groß, dass Unternehmer:innen ihre Produktion nicht dekarbonisieren und auch nicht in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter:innen im Bereich der ökologischen Kompetenzen investieren. Denn in den jetzigen Strukturen entstehen Arbeitsplätze dort, wo sie das Kapital der Eigentümer:innen vermehren, und nicht zwingend dort, wo sie zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Die Klimakrise macht aber deutlich, dass die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen die Grenzen dafür sein müssen, welcher Arbeit wir nachgehen und wofür wir unsere – nicht unendlich zu Verfügung stehende – Arbeitskraft einsetzen.

Wofür setzen wir unsere Arbeitskraft ein?

Die öffentliche Debatte um die knappe Ressource Arbeitskraft und den proklamierten Fachkräftemangel beherrschen Arbeitgeber:innen und ihre Vertretungen. Die Arbeitsmarktpolitik hat sich traditionellerweise dem Ziel verschrieben, ohne Wenn und Aber allen Unternehmen – unabhängig von deren Geschäftsmodellen und Arbeitsbedingungen – Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Zur Bewältigung der Klimakrise und für den sozialen und ökologischen Umbau kommen wir als Gesellschaft aber nicht um die Frage herum: Für welche wirtschaftlichen Tätigkeiten wollen wir die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen verwenden? Für leistbares Wohnen für alle oder Luxusimmobilien und Wohnungen als Spekulationsobjekte? Für ein funktionierendes Gesundheitssystem oder für die Glücksspielbranche? Wir als Gesellschaft brauchen einen Plan dafür, was gesellschaftlich notwendige Arbeit ist und wie wir sie bewerten – das wird der Markt nicht für uns regeln.

Dann lassen sich auch jene Fragen beantworten, vor denen die Arbeitsmarktpolitik steht: Was sind zukunftsfähige, mit Klimaschutz vereinbare Beschäftigungen? Welche Arbeitsprozesse, Qualifizierungen und Kompetenzen brauchen wir für den sozialen und ökologischen Umbau? Welche werden aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von fossilen Energien wegfallen? Und: Wie stellen wir sicher, dass bei diesen Veränderungsprozessen keine Arbeitnehmer:innen zurückgelassen werden? Volkswirtschaftliche Analysen, technologische Innovationen und das Berücksichtigen des demografischen Wandels bilden eine Basis für das Erarbeiten von tragfähigen Optionen. Wir müssen aber innerhalb demokratischer Prozesse entscheiden, welcher Arbeit wir welchen Wert beimessen und was wir in unserer Volkswirtschaft produzieren. Tun wir das nicht, führen profitgetriebene Prozesse wie das Niedrighalten der Löhne weiter dazu, dass die einzelnen Arbeitnehmer:innen am Arbeitsmarkt gegeneinander ausgespielt werden.

Werkzeuge für eine mutige Arbeitsmarktpolitik

Der Umbauplan der AK Wien legt konkrete Werkzeuge für den Umbau vor, die wir für die Bearbeitung der arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen verwenden können.

1. Aktiv planen

Weil das Auslagern von Entscheidungen „an die Märkte“ nicht zu einem koordinierten Ausstieg aus unserer klimaschädlichen Produktions- und Lebensweise führt, sondern stattdessen soziale Verwerfungen verursacht, muss sich die Arbeitsmarktpolitik stärker als aktive Akteurin positionieren.

Recht auf Weiterbildung – das AK-Modell „Qualifizierungsgeld“: Alle Beschäftigten und Arbeitssuchenden erhalten die Möglichkeit, sich beruflich grundlegend neu zu orientieren. Diese Bildungsmaßnahme zeichnet sich durch einen Rechtsanspruch, ein Qualifizierungsgeld von zumindest 2.000 Euro brutto und eine Ausbildungsberatung aus.

AMS-Vermittlung reformieren: Das AMS muss arbeitsmarktpolitisch sinnvolle Qualifizierungsmaßnahmen von arbeitssuchenden Menschen, insbesondere für zukunftsfähige und klimarelevante Aus- und Weiterbildungen, mit einer Jobvermittlung gleichsetzen. Alle Arbeitssuchenden können klimarelevante Qualifikationen erwerben, auch wenn ihre Erstausbildung aus einem anderen Bereich stammen sollte.

2. Unternehmen verpflichten, ihren Beitrag zu leisten

Ziel ist es, Unternehmen dazu zu bringen, ihren Teil der Verantwortung im sozialen und ökologischen Umbau zu übernehmen.

Investitionen in Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen: Statt zu jedem möglichen Zeitpunkt über fehlende Fachkräfte zu jammern, müssen Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen Aus- und Weiterbildungen ermöglichen. Das beinhaltet einen Fokus auf innerbetriebliche Weiterbildung, genügend Plätze für Lehrausbildungen und die Vermittlung von berufsübergreifenden Klimakompetenzen.

Bedingungen für AMS-Leistungen: Unternehmen müssen für die Vermittlung von Arbeitskräften durch das AMS und für Förderleistungen nachweisen, dass sie nachhaltig bestehende, gut entlohnte Arbeitsplätze mit Weiterbildungsmöglichkeiten bieten und zum Umbau beitragen.

3. Schieflagen korrigieren

Der soziale und ökologische Umbau des Arbeitsmarkts muss dazu beitragen, bestehende Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und drohende Schieflagen zu verhindern. Denn es ist ungleich verteilt, wer die Klimakrise verursacht, wer darunter leidet und wer die notwendigen Mittel hat, sie zu bekämpfen. Insbesondere Branchen, die sehr stark an die Nutzung fossiler Energien gebunden sind, werden von Stilllegungen oder Umstrukturierungen betroffen sein. Arbeitsmarktpolitik muss sicherstellen, dass jene Arbeitnehmer:innen nicht zurückgelassen werden.

Arbeitsplatzgarantie im Umbau: Für Arbeitnehmer:innen, die von Veränderungsprozessen negativ betroffen sind, muss es eine staatliche Garantie im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung geben. Die Garantie betrifft nicht die konkrete Stelle, sondern eine gleichwertige, was Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Bezahlung betrifft. Anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, investiert das AMS die nötigen Mittel in die Arbeitsplatzgarantie.

4. Öffentlich investieren

Geld und Personal für das AMS: Das AMS übernimmt eine Vorreiterrolle in Qualifizierungen, die zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen, und fokussiert stärker auf Aus- und Weiterbildungen für klimarelevante Kompetenzen. Dafür braucht es eine langfristige Ausstattung des AMS mit ausreichend finanziellen und personellen Ressourcen und eine Abkehr von den aktuell geplanten, verantwortungslosen Kürzungen des AMS-Budgets.

Arbeitsplätze schaffen und Fachkräfte ausbilden: Die für den sozialen und ökologischen Umbau nötigen Investitionen sind groß, bieten aber auch ein enormes Potenzial für gute Arbeitsplätze. Ob Dekarbonisierung der Industrie oder die Ausweitung der sozialen Dienstleistungen – der Umbau ist ein Jobmotor. Am Beispiel der thermischen und energetischen Gebäudesanierung präzisieren wir im Umbauplan, wie durch öffentliche Investitionen bessere Arbeitsbedingungen und mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden können.

Fazit

Die sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit stellen uns vor große Herausforderungen. Die Arbeitsmarktpolitik sitzt an großen Hebeln, um sich den Herausforderungen im Interesse der arbeitenden Menschen zu stellen. Der Umbauplan der AK Wien ist jedoch kein abgeschlossenes Projekt, sondern der Anfang der Arbeit an einer Zukunft für die Vielen.

Dieser Beitrag beruht auf dem Kapitel zum Thema Beschäftigung: Arbeit für die Gesellschaft statt für Profite aus dem Plan der Arbeiterkammer Wien für den sozialen und ökologischen Umbau, in dem wir zeigen, wie wir die Klimakrise abwenden können und dabei das Leben der Arbeiter:innen und Angestellten verbessern.
Hier geht’s zum ganzen Umbauplan:

Langfassung:
https://emedien.arbeiterkammer.at/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-6692583

Broschüre:
https://emedien.arbeiterkammer.at/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-6692598

Website:
https://wien.arbeiterkammer.at/umbauplan

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