Wie kön­nen wir die Men­schen in der Energie­wende mit­nehmen?

28. Juni 2024

Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) hat es im Juni nicht durch die Regierungskoordinierung und in den Ministerrat geschafft. Damit besteht nur noch ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass der Energiemarkt noch in dieser Legislaturperiode auf moderne Beine gestellt wird. Zeit, Bilanz zu ziehen, welche Instrumentarien mehr denn je benötigt werden, um für etwaige künftige Krisen und Preisschocks gewappnet zu sein und die Energie- und Klimawende sozial gerecht zu gestalten. Denn die Energiewende ist DER Schlüssel zur Eindämmung der Klimakrise – und sie stellt eine große soziale Herausforderung dar. 

Lehren aus der Krise 


Neben dem Ziel der Nachhaltigkeit, abgebildet durch ein dekarbonisiertes Energiesystem, muss die Energiewende auch die Ziele der Versorgungssicherheit und Leistbarkeit verfolgen. Die Energiekrise hat eindrücklich gezeigt, welche Gefahren durch eine Nichtbeachtung dieses energiepolitischen Dreiecks drohen: Ein Mangel an Dekarbonisierung führt zu hohen Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern, Zweifel an der Versorgungssicherheit zu wirtschaftlichen Unsicherheiten. Das wiederum führt zu steigenden Preisen und diese zu gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen wie etwa hoher Inflation. Diese Gemengelage stellt nicht nur ein Problem für Stromkund:innen dar, sondern gefährdet die Akzeptanz für die Energiewende insgesamt. 

Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Winter 2022 begann der Energiemarkt Volten zu schlagen – nicht jedoch nur im Gasbereich sondern auch im Stromsektor. Die Folgen waren immense Nachzahlungen, Teilzahlungen die einen beträchtlichen Teil des monatlichen Einkommens der Konsument:innen ausmachten, mangelnde Erreichbarkeit der Energieversorgungsunternehmen bei Kund:innenanfragen, Auskünfte, die diese Kund:innen ratlos zurückließen, Informationsschreiben, die mehr Fragen aufwarfen als beantworteten. Es ist hoch an der Zeit, dass hier legistisch die Schraube angesetzt wird – denn bei der Stromversorgung handelt es sich um eine elementare Leistung der Daseinsvorsorge, die so zu gestalten ist, dass alle Menschen mit leistbarer Energie versorgt werden. Wir möchten die bisherigen Lösungen auf den Prüfstand stellen und skizzieren, welchen weiteren rechtlichen Rahmen es braucht. 

Energiepreise belasten Haushalte 


Energiearmut ist in Österreich ein zunehmendes Problem. Zu Beginn des Jahres 2023 war es 14 % der österreichischen Bevölkerung nicht möglich, Haushaltsenergie in dem Ausmaß zu konsumieren, wie sie benötigt worden wäre. Auch heute, im Juni 2024 bangt es vielen Menschen vor ihren Jahresabrechnungen: Da nun die hohen Preise aus 2023 abgerechnet werden, sind Kund:innen zum Teil auch heuer noch mit empfindlichen Nachzahlungen konfrontiert. Grund dafür ist zum einen die von einigen Energieversorgern immer noch angewendete Preisbildungspolitik, die Energiepreise mittels Indexformeln zu bilden. Diese Indizes führen aufgrund massiver Nachzieheffekte dazu, dass die hohen Preisausschläge des letzten Jahres nun bei den Kund:innen ankommen. Zum anderen sind nicht alle Lieferanten den aufgrund der Krise durchgeführten Preiserhöhungen seit Beruhigung der wirtschaftlichen Lage mit verhältnismäßigen Preissenkungen begegnet.   

Die Bundesregierung hat im Dezember 2022 nicht zuletzt auf stetes Drängen der AK die Strompreisbremse beschlossen. Doch eine nicht zu vernachlässigende Gruppe von Kund:innen, die mitten in der Energiekrise gezwungen waren, Neuverträge abzuschließen, war zu diesem Zeitpunkt bereits mit Preisen weit jenseits der 40-Cent-Grenze konfrontiert, was die Kund:innen heute noch in finanzielle Schwierigkeiten bringt. 

Die Strompreisbremse: Ein wichtiger Ansatz mit Verbesserungspotential 


Während die im Stromkostenzuschussgesetz geregelte Entlastung für österreichische Haushalte eine spürbare Entlastung darstellte, lässt die genaue Ausgestaltung für zukünftige Krisen Raum für Verbesserung. Ein bekannter Kritikpunkt an der Strompreisbremse ist der Umstand, dass viele Lieferanten ihre großen Bestandsverträge am oberen Referenzwert des Stromkostenzuschusses orientieren. Auf diesem Weg können Lieferanten das Maximum aus dem Instrumentarium für sich herausholen – auch aktuell, wenn ab Juli statt bisher 30 nur noch 15 Cent/kWh netto vom Bund an die Lieferanten bezahlt werden. Auch die Bundeswettbewerbsbehörde und die Regulierungsbehörde E-Control fanden im Zuge einer Taskforce Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Preisbildung der Lieferanten und Strompreisbremse. 

Um dies zu verhindern, hätte man, wie dies in Deutschland der Fall war, bereits ab Beginn der Strompreisbremse eine Beweislastumkehr zur Zulässigkeit von Preiserhöhungen einführen sollen. Das Bundesgesetz zur Abmilderung von Krisenfolgen und zur Verbesserung der Marktbedingungen im Falle von marktbeherrschenden Energieversorgern sieht dies bei marktbeherrschenden Energieunternehmen nun – und somit eineinhalb Jahre später – zwar vor, kann allerdings nicht bewirken, dass aktuell hohe Preise gesenkt werden. Wie in untenstehender Grafik ersichtlich ist, verharren die Bestandskonditionen der meisten Standardtarife weiter auf hohem Niveau: mehr als doppelt so hoch als im Februar 2022. Für Sommer 2024 haben erst zwei größere Lieferanten geplante Preissenkungen an die Regulierungsbehörde E-Control gemeldet.  

© A&W Blog


Das Stromkostenzuschussgesetz selbst läuft Ende 2024 aus – spätestens dann ist die kommende Bundesregierung gefordert, Maßnahmen zu setzen, um die Lieferanten dazu zu bringen, die jetzt günstigeren Großhandelspreise in verhältnismäßigem Ausmaß bei den Stromkund:innen ankommen zu lassen. Dies ist nicht zuletzt in volkswirtschaftlicher Hinsicht erforderlich, da Energiepreise bekanntlich zentrale Inflationstreiber sind. 

Aktuell können Verbraucher:innen nur Kosten sparen, indem sie aus dem alten Vertrag aussteigen und in einen Neuvertrag wechseln – wobei auch im Tarifkalkulator der Regulierungsbehörde E-Control aktuell nur wenige Angebote zu finden sind, die sich ohne Rabatte und Gratisenergietage rund um 20 Cent/kWh netto bewegen. 

Grundversorgung während der Energiekrise 


Das derzeitige Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (ElWOG) legt fest, dass sich Haushaltskund:innen bei jedem Energielieferanten auf die Grundversorgung mit Strom berufen können und damit grundsätzlich versorgt werden müssen. Dieses Recht besteht auch, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits Schulden aus einem Energievertrag vorliegen. Einzige Voraussetzung ist eine Sicherheitsleistung in Höhe einer monatlichen Teilzahlungsrate. Der Grundversorgungstarif muss jenem Energietarif entsprechen, den die meisten Kund:innen des angefragten Energielieferanten haben.  

Vor der Energiekrise führte die Grundversorgung ein „Orchideendasein“, im Laufe der Energiekrise kam es jedoch zu einem großen Anstieg. Viele, vor allem kleinere Energielieferanten, haben langjährige Kund:innen gekündigt oder diese waren aus anderen Gründen wie Umzug oder Verlassenschaft gezwungen, zu preislich ungünstigen Zeiten neue Energielieferverträge abzuschließen. Diese waren jedoch im Vergleich zu Bestandsverträgen immens teuer, obwohl letztere – und darauf sei explizit hingewiesen – ebenfalls erhöht wurden. Mittlerweile hat sich die Situation deutlich gedreht: Die Anzahl der Grundversorgungsverträge ist aufgrund der Tarifsituation wieder rückläufig. 

Zusätzlichen Schutzschirm für Menschen in prekären Situationen aufspannen 


Es ist wichtig festzuhalten, dass die Grundversorgung kein Instrument für jede und jeden ist, um sich Geld zu sparen oder Rechnungen zu optimieren. Sie soll vielmehr ein letztes Sicherheitsnetz für Menschen sein, um ihre Wohnung wieder zu leistbaren Bedingungen mit Strom zu versorgen. Gleichzeitig handelt es sich – wie die Preisentwicklungen der Bestandstarife in der Abbildung zeigt – keineswegs um einen Tarif für Haushalte mit dauerhaft geringem Einkommen. Ein solches Instrument für von Energiearmut bedrohte Haushalte, das in Artikel 5 der Binnenmarkt-Richtlinie vorgesehen und für das mit dem Begutachtungsentwurf zum Energiearmuts-Definitions-Gesetz bereits ein erster Grundstein gelegt wurde, fehlt in Österreich bisher.  

Ein gestützter Tarif für einkommensschwache Haushalte könnte etwa ähnlich dem inzwischen bereits erprobten Modell der Strompreisbremse ausgestaltet sein: Die betroffenen Kund:innen zahlen für eine bestimmte Menge an Strom nur einen gedeckelten Preis. Dabei stellt sich die Frage, aus welchen Mitteln die restlichen Kosten der Energielieferanten gedeckt werden und wie diese bemessen sind. Als oberer Referenzwert könnte beispielsweise der Grundversorgungstarif herangezogen werden. Was die Kosten betrifft, so könnten diese durch einen solidarisch aus den Einkünften der Energielieferanten gespeisten Fonds finanziert werden. Ein solches Modell wäre auch durch Artikel 5 der Binnenmarkt-Richtlinie gedeckt, gemäß den Preisbeschränkungen für von Energiearmut betroffenen Haushalte nicht in diskriminierender Weise zu Zusatzkosten der Marktteilnehmer führen dürfen. 

Demokratisierung der Energieversorgung 


Eine weitere Möglichkeit, leistbare Energie in die Haushalte zu bringen, bieten Energiegemeinschaften. Innerhalb solcher – meist als Verein oder Genossenschaft organisierter – Zusammenschlüsse wird die produzierte Energie direkt von den Mitgliedern verbraucht. Haushalte können sich so selbst in die Nutzung nachhaltiger Energie einbringen, auch wenn sie beispielsweise selbst keine Photovoltaik-Anlage auf ihrem Dach haben können – denn durch die Energiegemeinschaft wird der erneuerbare Überschussstrom einer Anlage anderen Konsument:innen zugänglich gemacht. Damit lassen sich einerseits eine unnötige Netzbelastung vermeiden und andererseits relevante Kostenersparnisse erreichen. 

Die neuesten rechtlichen Entwicklungen auf EU-Ebene schaffen Voraussetzungen, dass auch einkommensschwache Haushalte vermehrt in Energiegemeinschaften der öffentlichen Hand aufgenommen werden, um von den günstigen Strompreisen zu profitieren. Auch das ElWG hätte weitere Erleichterungen für Bürger:innen vorgesehen, sich selbst zu organisieren, um Energie auf direktem Weg untereinander zu teilen und damit unmittelbar an der Energiewende zu partizipieren. Mit den nötigen rechtlichen Hebeln könnte man so die Energiewende allen Bevölkerungsschichten noch ein Stückchen näherbringen. 

Wie es weitergehen sollte 


Fest steht: Um die Transformation im Energiebereich zu meistern braucht es nicht nur eine Neuregelung der Elektrizitätswirtschaft in Form eines neuen ElWG, sondern begleitende Maßnahmen, um sicherzustellen, dass auf dem Weg niemand ungerecht zurückgelassen wird. Einiges hätte diesbezüglich im neuen ElWG kommen bzw. weiterhin als wichtige Stütze bleiben sollen: Das Recht auf Grundversorgung, ein leistbarer Tarif für einkommensschwache Haushalte und Energiegemeinschaften stellen hier wichtige Hebel dar, um Energiearmut in Österreich einzudämmen. Das Modell der Strompreisbremse für Krisenzeiten sollte jedenfalls auch für die Zukunft gesetzlich verankert werden. Nur mit allen diesen Maßnahmen wird uns eine sozial gerechte Energiewende gelingen. Dass es innerhalb der Regierung und im Parlament daher noch zeitnah zu einer Einigung kommt und das ElWG als Schlüssel zur Umsetzung rasch in Kraft tritt, bleibt in diesem Sinne zu hoffen. Denn gerade in Zeiten der Transformation muss „der Alltag“ für alle Menschen leistbar sein, damit ein Übergang zu einem klimaneutralen Leben gelingen kann. Dazu müssen wir alle mitnehmen und besonders jene, die bereits jetzt am meisten belastet und betroffen sind, dabei unterstützen. 

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