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Ökonomische Auswirkungen: Nein, wir sitzen nicht alle im selben Boot
Die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie spüren wir alle – aber wie hoch sind die finanziellen Einbußen in Österreich und welche Haushalte mussten besonders hohe Verluste einstecken? Diese Fragen stellen sich Albacete et al. (2021) in einer Studie der OeNB. Da die vierte Welle des Household Finance and Consumption Survey (HFCS) aufgrund der Krise verschoben werden musste, zogen die Autoren die Daten des ACPP heran, um zu Ergebnissen für 2020 zu gelangen. So fanden sie etwa heraus, dass die Kurzarbeitsregelung die größten Einkommensverluste abfangen konnte. Dennoch verloren von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffene Haushalte im ersten Lockdown (April 2020) durchschnittlich 12 % ihres Einkommens. Auffällig ist dabei, dass Mieter:innen gegenüber Eigenheimbesitzer:innen besonders hohen Einkommensverlusten ausgesetzt und damit den Krisen weit mehr ausgeliefert sind.
Eine weitere übermäßig stark von Krisen betroffene Gruppe stellen Frauen dar. Hanzl und Rehm (2021) gehen in ihrer Studie „Less Work, More Labor“ der Frage nach, wie sich die Arbeitszeiten von Eltern während der Schulschließungen im Zeitraum von März 2020 bis März 2021 veränderten. Während der Schock des ersten Lockdowns zu Reduktionen der Erwerbsarbeit bei Müttern und Vätern führte, zeigte sich längerfristig keine signifikante Reduktion bei den Vätern mehr – Mütter hingegen reduzierten ihre Erwerbsarbeit in Zeiten von Schulschließungen um durchschnittliche 5,8 Wochenstunden. Dies lässt sich auf das gesteigerte Arbeitspensum in der Kinderbetreuung, unter anderem durch Homeschooling, erklären. Auch eine Studie des INEQ der WU Wien (Derndorfer et al. 2021) hat gezeigt, dass Frauen, auch wenn ihre männlichen Partner im Homeoffice arbeiteten, meist mehr der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit übernehmen („Home, sweet home?“) – was zulasten ihrer Erwerbsarbeit geht. Längerfristig befürchten sie ebenso wie Hanzl und Rehm Auswirkungen auf die Geschlechter(un)gleichheit: Ein geringeres Erwerbsstundenausmaß wirkt sich negativ auf den Gender Wage Gap und in weiterer Folge auch auf die Karrierechancen von Frauen und den Gender Pension Gap aus. Die Autorinnen argumentieren daher, dass dem entgegenwirkende Maßnahmen dringend notwendig sind, allem voran der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen. Lukas und Perle kommen zu ähnlichen Ergebnissen und empfehlen höhere Löhne in weiblich dominierten Berufsgruppen, wie dem Gesundheitsbereich oder im Einzelhandel.
Anhand der ACPP-Daten lässt sich also zeigen, dass die COVID-19-Pandemie bestehende Ungleichheiten deutlich verstärkt hat. Der Beitrag von Eder und Höllinger (2022) im Sammelband „Die österreichische Gesellschaft während der Corona-Pandemie“ beschäftigt sich daran anschließend mit Einstellungen zu Einkommensgerechtigkeit und Gehaltshöhen verschiedener Berufsgruppen. Sie ziehen unter anderem ACPP-Daten und Informationen der AK zu Manager:innengehältern heran und zeigen, dass sich die befragten Österreicher:innen zu allen Zeitpunkten für mehr Einkommensgerechtigkeit aussprechen: Eliteberufe wie Manager:innen und Politiker:innern sollen deutlich weniger, dafür Angestellte im Einzelhandel, in der Industrie oder im Gesundheitsbereich deutlich mehr verdienen. Durch die COVID-19-Pandemie und die stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückten Systemerhalter:innen hat sich dieser Effekt noch verstärkt – einzige Ausnahme stellen Allgemeinmediziner:innen dar, denen immer ein recht hohes Einkommen zugestanden wird.
Wohlbefinden: Die ungleiche Verteilung der Krisen-Folgen
Spätestens seit Marie Jahoda wissen wir, dass sich Arbeitslosigkeit auf unsere psychische Gesundheit auswirkt. Darauf aufbauend untersuchen Kittel und Resch (2020) mithilfe der ACPP-Daten von März bis Juni 2020 die Zusammenhänge zwischen Beschäftigungsveränderungen und dem Wohlbefinden. Im Zuge des ersten Lockdowns verloren 30 % der Befragten ganz oder teilweise ihre Beschäftigung – besonders betroffen waren auch hier wieder Frauen, Jüngere, Menschen mit niedrigerem Bildungsstand und Menschen mit Migrationsbiografie. Fünf von sechs der Betroffenen konnten von der Kurzarbeitsregelung aufgefangen werden – was sie nicht nur vor gröberen materiellen Verlusten durch die Arbeitslosigkeit, sondern auch vor der damit zusammenhängenden psychischen Belastung schützte. Die Autoren argumentieren daher für eine Abstimmung zwischen Sozial- und Gesundheitspolitik und eine Krisenbewältigung, die arbeitslos gewordenen Menschen Unterstützung und einen Rahmen sozialer Aktivitäten ermöglicht, um Langzeitfolgen zu verhindern.
Auch das Wohlbefinden anderer Gruppen ist mitunter stark von COVID-19 betroffen: Beispielsweise wurden die Auswirkungen des ersten Lockdowns auf ältere Menschen untersucht. Wenig überraschend wurde festgestellt, dass die ältere Bevölkerung im Frühling 2020 einsamer war als im Jahr davor, und einsamer als in der anschließenden Phase der Öffnung. Die Auswirkungen waren aber kurzfristig und sollten daher, so die Autoren, keine längerfristigen Probleme verursachen. Weitere Aspekte des Wohlbefindens in COVID-19-Zeiten, beispielsweise zur Reduktion der sozialen Kontakte, zu Religiosität und Spiritualität oder pessimistischer werdenden Erwartungen finden sich in dem Sammelband „Die österreichische Gesellschaft während der Corona-Pandemie“ (2022).
Politisches Klima: Von Vertrauensvorschuss zu Verschwörungsmythen
Die Fragen des ACPP beschäftigen sich großteils mit Einstellungen und Meinungen, dementsprechend ermöglichte das Panel zahlreiche Studien zum politischen Klima und dessen Veränderungen im Zuge der Krise. Eine Studie von Kritzinger et al. (2021) beschäftigte sich beispielweise mit dem sogenannten „Rally-round-the-Flag“ Effekt, also dem ansteigenden Vertrauen in Regierungen im Zuge internationaler Krisen. Ein solcher Effekt konnte in Österreich, im Gegensatz zu Frankreich, mit Beginn des ersten Lockdowns deutlich beobachtet werden. Nur drei Monate später lagen die Vertrauenswerte aber wieder nur etwas höher als vor Ausbruch der Pandemie.
Vor allem in der Anfangsphase der Pandemie wurde immer wieder der soziale Zusammenhalt beschworen. Bodi-Fernandez et al. (2022) untersuchen diesen in ihrer Studie zu sozialem Vertrauen und Solidarität in Zeiten der Krise anhand der ACPP-Daten für 15. bis 20. Mai 2020. Das Vertrauen in die Mitmenschen ist demnach gegenüber dem Vorkrisenniveau gesunken. Auffällig ist vor allem, dass Menschen mit Vorerkrankungen, in beengten Wohnverhältnissen und Alleinerzieher:innen ein geringeres soziales Vertrauen angeben.
In weiterer Folge verliert ein nicht unauffälliger Teil der Bevölkerung das Vertrauen in Politik und Wissenschaft zusehends: Eberl et al. (2021) untersuchen den Zusammenhang zwischen populistischen Einstellungen, dem Vertrauen in politische und wissenschaftliche Institutionen und der Verschwörungsgläubigkeit der Befragten. Sie kommen zu dem Schluss, dass populistische Neigungen das Vertrauen in politische Institutionen und Wissenschaft verringern, was beides mit einer Anfälligkeit für COVID-19-Verschwörungsmythen zusammenhängt. Daraus leiten sie wichtige Schlussfolgerungen für die Kommunikation wissenschaftlicher Arbeit ab: Diese müsse transparenter, niederschwelliger und weniger elitär kommuniziert werden, um vom Populismus rechter Parteien entkoppelt zu werden. Immerhin bedienen die COVID-19-Verschwörungsmythen einschlägig antisemitische Motive und tragen somit auch zur Gefährdung von Jüd:innen bei.
In ihrem „Gender Update“ weisen Walcherberger et al. (2022) zudem auf die geschlechtsbezogene Komponente von Fehlinformation und Impfskepsis hin: Frauen waren zu Beginn der Pandemie deutlich (18 Prozentpunkte), bis Jänner 2022 nur noch etwas (5 Prozentpunkte) skeptischer gegenüber der Impfung. Die Autor:innen vermuten einen Zusammenhang mit medizinischer Geschlechterblindheit – also mit der fehlenden Forschung zu Auswirkungen auf die Menstruation und zu wenig Aufklärung gegen Verschwörungsmythen in Bezug auf Fruchtbarkeit und Schwangerschaft. Dies hätte zwei gefährliche Auswirkungen: erhöhte Gesundheitsrisiken für Frauen mangels Impfschutzes und eine verstärkte Anfälligkeit für antisemitische Verschwörungsmythen.
Fazit: Krisen im Auge behalten
Das ACPP bietet die Grundlage für Aussagen über die steigende Ungleichheit, die psychische Verfassung und vieles mehr. Basierend darauf können die Folgen von Pandemie und Krisen-Management im Auge behalten und entsprechend reagiert werden. Aktuell schlägt das Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Politik von COVID-19-Mythen auch auf die Energie- und Inflationskrisen über: Ein gefährlicher Schulterschluss rechtsextremer Netzwerke ist im Begriff noch gefährlicher zu werden.
Dennoch wurde die Finanzierung des Projektes eingestellt – ganz als wären die Krisen und ihre Folgen vorbei. Gerade vor dem Hintergrund multipler Krisen wäre aber die Weiterführung des ACPP absolut notwendig.