Wissenschaft und Macht

01. März 2018

Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik erregte in letzter Zeit verstärkt das öffentliche Interesse. Tatsächlich beeinflussen sich Wissenschaft und Politik stets gegenseitig, doch ist diese Beziehung spannungsreich und widersprüchlich. Welche Auswirkungen haben die realen politischen Kräfteverhältnisse auf die Wissenschaft? Und wann kann Wissenschaft zu einer echten Chance für die Anliegen der ArbeitnehmerInnen werden?

Im Oktober 2017 zog eine besorgniserregende Meldung durch die heimischen Medien: Das österreichische Pensionssystem sei nicht nachhaltig. Jedenfalls gelangte das Beratungsunternehmen Mercer zu diesem Ergebnis – es reihte Österreich in einem Vergleich mit 30 Altersversorgungssystemen an 21. Stelle. Die Schlussfolgerung von Mercer: Das gesetzliche Pensionsantrittsalter müsse dringend erhöht -werden. Skepsis ist angebracht. Denn hinter Mercer stehen Unternehmen, die private Altersvorsorgeprodukte verkaufen. Sie haben daher ein geschäftliches Interesse daran, das staatliche Pensionsmodell als defizitär einzustufen. Noch dazu sind die Ergebnisse verzerrt, denn der Mercer Index berücksichtigt öffentliche Pensionssysteme kaum.

Spannungsverhältnis

Die Mercer-Studie ist eines von vielen Beispielen für das problematische Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Politik. Neoliberale Thinktanks, die zu umstrittenen Forschungsergebnissen gelangen und diese gezielt in die Medien hineinreklamieren, konnten ihren Einflussbereich in den letzten Jahren erheblich erweitern. Die Linzer ÖkonomInnen Stephan Pühringer und Christine Stelzer-Orthofer haben den Einfluss solcher Forschungsinstitute, die hauptsächlich von finanzkräftigen Unternehmen finanziert werden, untersucht. Sie zeigen auf, dass neoliberale Thinktanks wie das Hayek Institut und die Agenda Austria konsequent sozialstaatliche Interventionen diskreditieren, indem sie – versehen mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit – die „Grenzen“ des Sozialstaats betonen und dessen „Unfinanzierbarkeit“ behaupten.

Die von privat finanzierter Wissenschaft ausgehende Gefahr reicht über routinierte Angriffe auf sozialpolitische Errungenschaften weit hinaus. Besonders brisante Interessenkonflikte können vor allem dann entstehen, wenn sich Unternehmen an Studien beteiligen, die Aussagen über Risiken für Gesundheit und Umwelt treffen. Im März 2017 veröffentlichte die Umweltschutzorganisation Global 2000 den Bericht „Glyphosat und Krebs: Gekaufte Wissenschaft“. Darin legt die NGO dar, wie der US-Saatgutkonzern Monsanto in zahlreichen Fällen auf wissenschaftliche Artikel Einfluss genommen hat, die eine Ungefährlichkeit von Glyphosat bescheinigten.

Vorwürfe wie diese verdeutlichen, dass eine öffentliche Debatte über die Finanzierung und Kontrolle von Forschung dringend erforderlich ist. Diese ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, weil Universitäten zusehends dazu gezwungen sind, drittmittelfinanzierte Forschungsaufträge zu lukrieren, die häufig von Privaten vergeben werden. Welche Forschungen sollten privat finanziert werden dürfen? Wann sollte die Kontrolle der Studien mittels Ausschreibemechanismen anderen übertragen werden? Sollte unternehmensfinanzierte Forschung das alleinige Fundament für politische Entscheidungen bilden dürfen? Die Klärung solcher Fragen ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit. Was auf dem Spiel steht, ist nicht zuletzt auch der Verlust der Autorität von Wissenschaft in der medialen Öffentlichkeit. Diese Folge wäre verheerend, weil aufgrund der rasanten und systematischen Verbreitung von Fake News die Glaubwürdigkeit von evidenzbasierten Inhalten besonders wichtig ist.

Eine Forschungsfinanzierung allein durch die öffentliche Hand würde Objektivität oder gar Parteilosigkeit allerdings nicht garantieren. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Studie über islamische Kindergärten, die das Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien im Auftrag des Integrationsstaatsministeriums durchführte. Die Arbeit geriet in Misskredit, nachdem ein Dokument publik wurde, wonach der Text von Beamten des Außen- und Integrations-ministeriums manipuliert und zugespitzt worden sei.

Kein Garant für Objektivität

Nachdem eine externe Prüfungskommission Einflüsse seitens des Ministeriums bestätigt hatte, kündigte der Rektor der Universität Wien an, die Erarbeitung von Richtlinien für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik einzuleiten. Ein solches Regelwerk wäre zu begrüßen, um direkte Einflussnahmen künftig zu unterbinden, es wäre aber trotzdem kein Garant für wissenschaftliche Objektivität. Mit der Frage, ob eine solche überhaupt möglich ist, hat sich die Wissenschaftstheoretikerin Ulrike Felt intensiv auseinandergesetzt. In einer historischen Betrachtung zeichnet sie nach, dass ab der Jahrhundertwende, insbesondere in der sozialdemokratischen Bewegung, die Idee von einer Wissenschaft existierte, „die als wertfrei, objektiv, universell und einer internen Logik folgend gedacht war“. Eine solche Wissenschaft wurde „als ideales Grundprinzip für das gute Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft“ betrachtet. Laut Felt existierte die Vision, der Sieg der Sozialdemokratie würde sich von allein einstellen, „wenn sich nur ein wissenschaftlicher Geist in der Gesellschaft durchsetzte“.

Wie illusionär die Vorstellung von einer objektiven Wissenschaft ist, wird bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien besonders sichtbar. Denn ForscherInnen agieren keineswegs unabhängig von ihrer Person. So formulieren sie Forschungsfragen von ihrem spezifischen Standpunkt aus und gehen dabei von Annahmen aus, die auf bestimmten Werten und Anschauungen basieren. Als Mitglieder der Gesellschaft werden selbstverständlich auch sie von gesellschaftspolitischen Diskursen beeinflusst und geprägt. Hinzu kommt, dass EntscheidungsträgerInnen bei der Auswahl der ExpertInnen für gewöhnlich auf jene Personen und Institutionen zurückgreifen, die mit ihren Wertesystemen und Weltanschauungen kompatibel sind. Im Fall der Kindergarten-Studie hätte also ein anderer Auftragnehmer bzw. eine andere Auftragnehmerin vielleicht die Analysekategorie „Islam-Kindergarten“ gar nicht erst unhinterfragt übernommen. Vielmehr hätte er oder sie ihre Verwendung im politischen Diskurs vielleicht kritisch analysiert, um sodann gänzlich andere Forschungsfragen vorzuschlagen. Bei aller Kritik, die in den Medien an der Studie geäußert wurde, fiel auf, wie erstaunlich selten die Diskussion darauf gelenkt wurde, auf welche wirkmächtigen Narrative die Studie aufbaute und wegen welcher politischen Wirkungen sie überhaupt durchgeführt werden -sollte.

Wissenschaft wird von politischen EntscheidungsträgerInnen also vielfach dazu verwendet, die eigenen Interessen zu legitimieren und letztlich durchzusetzen. Wissenschaft und Politik sind weitaus enger miteinander verknüpft, als es auf den ersten Blick erscheint. Die politischen Kräfteverhältnisse bestimmen nicht nur, wie wissenschaftliche Stellen besetzt und an wen Forschungsaufträge vergeben werden. Sie beeinflussen auch, welche Denktraditionen und Sichtweisen sich innerhalb eines Wissenschaftsfeldes gegenüber anderen durchsetzen. Der Philosoph Michel Foucault gelangte zum Ergebnis, dass es kein Wissen gibt, das neutral von Macht ist, und keine Macht, die sich nicht in das Wissen einlässt. Aus der Einsicht, dass kein Wissen frei von Machtbeziehungen ist, folgerte Foucault, dass nicht Wissen als solches, sondern eine kritische Haltung als zentrales Mittel von Emanzipation angesehen werden müsste.

Im Zeichen der Kritik

Umgelegt auf die Tätigkeit der ArbeitnehmerInnenvertretung könnte dies bedeuten, dass Expertise zwar unabdingbar ist, um interessengeleitete Forschungsergebnisse zu erschüttern und daraus abgeleitete politische Forderungen zu delegitimieren. Es bedeutet jedoch auch, dass man es dabei nicht belassen darf. Wissenschaft wird vor allem dann zu einer echten Chance für die Anliegen der ArbeitnehmerInnen, wenn sie im Zeichen der Kritik steht. Kritik würde in diesem Zusammenhang bedeuten, das Selbstverständliche, das allgemein Anerkannte zu hinterfragen. Hinter unseren Alltagsannahmen stehen vielfältige Machtmechanismen. Diese gilt es sichtbar zu machen, um so den Weg für Alternativen zu ebnen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in Arbeit & Wirtschaft, Schwerpunkt Wissenschaft (Dezember 2017)