Nein zu Verschlechterungen bei der Altersteilzeit – und was es für den Arbeitsmarkt wirklich braucht

06. Februar 2023

Von Vertreter*innen der Wirtschaft wird derzeit vielerorts über Arbeitskräftemangel geklagt. Die Bundesregierung hat die Abschaffung der Blockvariante der Altersteilzeit angekündigt und will Anreize für Beschäftigte schaffen, länger zu arbeiten. Damit ergeben sich Verschlechterungen für Arbeitnehmer*innen und ungleiche Bedingungen am Arbeitsmarkt. Gleichzeitig fehlen breit angelegte Lösungsansätze. Warum wären vor allem kürzere Arbeitszeiten zum Vorteil aller und welche weiteren Ansatzpunkte zur Erhöhung des Arbeitskräftepotenzials gibt es?

Warum die Abschaffung der Altersteilzeit-Blockvariante falsch ist

Altersteilzeit ermöglicht die Verringerung der Arbeitszeit vor der Pension und ist damit ein wesentliches Instrument altersgerechter Arbeitsgestaltung. Im Falle der geblockten Variante der Altersteilzeit ist es möglich, zunächst im bisherigen Arbeitszeitausmaß weiterzuarbeiten und anschließend eine Freizeitphase zu konsumieren. Damit wird ein früheres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gestaltbar. Gegner*innen aus Wirtschaft und Politik bezeichnen diese Form der Altersteilzeit als versteckte Frühpension. Für Arbeitnehmer*innen ist sie jedoch vielfach ein Weg aus einem Arbeitsleben, das mit körperlichen wie auch psychischen Belastungen ihre Gesundheit immer stärker beeinträchtigt und gefährdet. Laut Arbeitsklimaindex ist es für rund eine Million aller Beschäftigten nicht vorstellbar, unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zur Pensionierung durchzuhalten. Insbesondere der steigende Arbeitsdruck, höhere Arbeitsintensität und Personalmangel werden als Gründe angeführt, warum die Arbeit nicht mehr erträglich ist. Dass psychische Erkrankungen zu den weitaus häufigsten Ursachen krankheitsbedingter Pensionen zählen, ist nur eine der Auswirkungen dieser Entwicklungen.

Für Arbeitnehmer*innen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr länger arbeiten können und wollen, hat die Altersteilzeit in der Blockvariante einen wichtigen Anker bedeutet, der nun abgeschafft werden soll. Die Regierung zählt dieses Vorhaben im Zusammenhang mit ihren Schwerpunkten zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels auf.

Die arbeitsmarktpolitischen Effekte der Abschaffung der Blockvariante werden mit Blick auf die Zahlen zur Altersteilzeit wohl bescheiden ausfallen. Mit nicht einmal 2.500 Vereinbarungen wurden 2021 nur rund ein Viertel der Zuwächse bei der Altersteilzeit als geblockte Variante abgeschlossen. Gegenüber der kontinuierlichen Variante hat sie schon in den letzten Jahren deutlich an Relevanz verloren. Das liegt vor allem am geringeren Kostenersatz für Arbeitgeber:innen (50 Prozent der Mehrkosten werden im Fall der geblockten Altersteilzeit vom AMS ersetzt, gegenüber 90 Prozent in der kontinuierlichen Form) und der Verpflichtung zur Einstellung einer Ersatzarbeitskraft. So sind im Durchschnitt der ersten drei Quartale 2022 nur rund 8.500 Personen in geblockter Altersteilzeit, bei sinkender Inanspruchnahme seit 2019. Die Auswirkungen der Abschaffung auf den Arbeitsmarkt bei 125.000 offenen Stellen im Jahresdurchschnitt 2022 werden also vollkommen vernachlässigbar sein.

Was braucht es zur Gestaltung von guter Arbeit?

In der aktuellen Situation ist zu erwarten, dass finanzielle Anreize zur Arbeit nach dem Regelpensionsalter vor allem von Arbeitnehmer*innen in Anspruch genommen werden, die in gesundheitlich weniger anspruchsvollen Berufen mit guter Bezahlung tätig sind. Bei diesen Berufsgruppen zusätzliche finanzielle Anreize zu setzen ist verteilungspolitisch fragwürdig, vor allem wenn stattdessen effektivere Maßnahmen zur Förderung des Arbeitskräfteangebots finanziert werden könnten.

Um mehr Menschen länger im Erwerbsleben halten zu können – bzw. sogar die Arbeit im Pensionsalter zu attraktivieren, wie sich das die Regierung zum Ziel setzt –, müssen die Voraussetzungen für gesundes und alter(n)sgerechtes Arbeiten deutlich verbessert werden. Vor allem ist es die Gestaltung der Arbeitszeit, mit Fokussierung auf die Berücksichtigung lebensphasenbezogener Bedürfnisse, gesunder Dauer und Lage sowie Vermeidung von Entgrenzung, die sich hier als eines der zentralsten Handlungsfelder darstellt. Hier darf es nicht nur bei vagen Zielsetzungen und Empfehlungen bleiben. Damit die Umsetzung in der betrieblichen Praxis ankommt, braucht es auch effektivere rechtliche Grundlagen. Eine wirkungsvolle Verordnung zur geltenden Evaluierungsverpflichtung psychischer Belastungen im Arbeitnehmer*innenschutzgesetz gehört dazu ebenso, wie die Durchsetzbarkeit altersgerechter Arbeit und qualitätsvoller betrieblicher Gesundheitsförderung.

Arbeitskräftepotenziale richtig nutzen

Wenn es um echte Hebel zur Aktivierung des Arbeitskräftepotenzials in Österreich geht, ist klar, wo es anzusetzen gilt. Der wichtigste Ansatzpunkt ist die Aufstockung der Wochenarbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigten, insbesondere bei Frauen. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten liegt in Österreich bei 21,5 Stunden. Eine Erhöhung auf 25,3 Stunden würde rein rechnerisch knapp 137.000 neue Arbeitsplätze bedeuten.

Da Frauen nach wie vor den überwiegenden Teil an unbezahlter Reproduktionsarbeit wie Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen leisten, braucht es in diesen Bereichen dringend Entlastung. Vor allem im ländlichen Raum sind Kinderbetreuungsmöglichkeiten noch immer nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Die Kindertagesheimstatistik 2020/21 belegt das desaströse Bild, wenn es um Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. So schließen rund 14 Prozent der Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich bereits um 14 Uhr und bleiben im Durchschnitt über 21,5 Tage pro Jahr zur Gänze geschlossen. Gerade Frauen bleibt daher in vielen Fällen gar nichts anderes übrig, als ihre Arbeitszeit zu reduzieren.

Der Ausbau von flächendeckenden, kostenlosen und ganztägig geöffneten Kinderbetreuungseinrichtungen kann daher einen wichtigen Beitrag leisten, Frauen in größerer Zahl auf den Arbeitsmarkt zu bringen und ihnen Vollzeitarbeit zu ermöglichen. Neben dem großen Potenzial an Arbeitskräften würde ein höheres Arbeitsausmaß auch eine faire Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit und eine bessere finanzielle Situation von Frauen bedeuten.

Zudem zeigt sich, dass derzeit insbesondere in jenen Branchen über Arbeitskräftemangel geklagt wird, in denen die Arbeitsbedingungen häufig besonders schlecht sind. Gerade in Bereichen wie der Gastronomie und der Hotellerie lassen sich Arbeitszeiten schlecht planen, die Einkommen sind niedrig, und es ist eine Vielzahl an Verstößen gegen das Arbeitsrecht festzustellen. Auch in Bereichen wie der Kinderbetreuung oder der Pflege sind Druck und Verantwortung groß, die Entlohnung fällt hingegen häufig niedrig aus.

Auch über die Branchen lässt sich bereits seit einigen Jahren eine dramatisch sinkende Zufriedenheit der Beschäftigten mit ihren Arbeitsbedingungen beobachten. So weist der Arbeitsklimaindex für das Jahr 2022 den niedrigsten Wert seit 1998 aus, insbesondere ein stetig gestiegener Arbeitsdruck und arbeitsbedingter psychischer Stress sowie überlange Arbeitszeiten machen den Beschäftigten zu schaffen.

Kürzere Arbeitszeiten sind das Gebot der Stunde

Vollzeitbeschäftigte in Österreich weisen auch im EU-weiten Vergleich besonders lange wöchentliche Arbeitszeiten auf, was in krassem Widerspruch zu den Arbeitszeitwünschen vieler Beschäftigter steht. So wünschen sich gerade Vollzeitbeschäftigte zu großen Anteilen kürzere wöchentliche Arbeitszeiten, während viele Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeiten erhöhen wollen. Auch während der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden Maßnahmen wie der Kurzarbeit arbeiteten viele Beschäftigte deutlich kürzer als zuvor – und fanden offensichtlich Gefallen daran. Viele Arbeitnehmer*innen wünschen sich auch über die Pandemie hinaus kürzere Arbeitszeiten und gerade jene, die während der COVID-19-Maßnahmen kürzer gearbeitet hatten, wollen nicht mehr zum vorherigen Arbeitszeitausmaß zurückkehren, was jedoch naturgemäß ein Spannungsverhältnis im Hinblick auf die individuelle Einkommenssituation erzeugt.

Gerade bei der Suche nach Arbeitskräften können sich innovative Arbeitszeitangebote und betriebliche Initiativen auch aus Sicht der Unternehmen als vorteilhaft erweisen: So experimentieren Unternehmen wie die Wiener Linien und jüngst T-Systems mit Unterstützung der Gewerkschaft GPA mit kürzeren Arbeitszeiten und einer 4-Tage-Woche, um als Arbeitgeber attraktiv und konkurrenzfähig zu bleiben. Schon aus diesem Grund erscheint eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung naheliegend, außerdem würden die positiven gesundheitlichen Effekte kürzerer Arbeitszeiten wohl dazu führen, dass Beschäftigte nicht so schnell ausbrennen und dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung stehen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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    Fazit

    Zusammenfassend ist festzustellen, dass die arbeitsmarktpolitische Wirkung der Abschaffung der Altersteilzeit-Blockvariante als gering anzusehen ist. Zugleich fällt eine wichtige Möglichkeit für Arbeitnehmer:innen weg, aus einem Umfeld mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen auszusteigen. Soll die Erwerbsquote für ältere Arbeitnehmer:innen tatsächlich wirksam erhöht werden, braucht es Maßnahmen zur Schaffung eines gesunden Arbeitsumfeldes. Um Frauen in größerer Zahl auf den Arbeitsmarkt zu bringen, braucht es insbesondere die Schaffung und den Ausbau von flächendeckenden, kostenlosen und ganztägig geöffneten Kinderbetreuungseinrichtungen. Zentral sind die Senkung der wöchentlichen Normalarbeitszeit, eine ordentliche Entlohnung und insgesamt gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen.

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