Warum will man Österreicher:in sein? – Eine empirische Untersuchung in Wien

05. April 2023

Als unumstritten in der Wissenschaft gilt, dass sich der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft positiv auf die Integration auswirkt (vgl. zuletzt Gerd Valchars und Rainer Bauböck: Migration und Staatsbürgerschaft). Neben der aufenthaltsrechtlichen Sicherheit, besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Reisefreiheit bildet der österreichische Pass die Voraussetzung für demokratische Teilhabe. Trotzdem leben in Österreich inzwischen 1,5 Millionen Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Im Auftrag der Stadt Wien und in Kooperation mit der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben Max Haller und Jeremias Stadlmair bei Betroffenen nachgefragt, warum das so ist.

Ausgewählte Ergebnisse

39 Prozent der Befragten haben einen konkreten Einbürgerungswunsch, 31 Prozent sind noch unsicher, ob sie die Staatsbürgerschaft zu einem späteren Zeitpunkt erwerben wollen und 30 Prozent haben – zumindest derzeit – keinen solchen Wunsch.

    Dekoratives Bild © A&W Blog
    © A&W Blog

    Im Fragebogen wurden sechs mögliche Motive für die Einbürgerung angeführt. Unter den Interessierten wurden zwei mit Abstand am häufigsten genannt: „Weil ich mich als Österreicher:in fühle“, haben 55 Prozent der Befragten angegeben; 53 Prozent wünschen sich einen sicheren Aufenthaltsstatus. Für ein Drittel der Teilnehmer:innen stellt die politische Teilhabe ein bedeutendes Argument dar.

    Was erhöht den Einbürgerungswunsch?

    Spannend ist, wie sich der Einbürgerungswunsch abhängig von der Staatsbürgerschaft gestaltet: EU-Bürger:innen weisen einen deutlich niedrigeren Wunsch auf als Drittstaatsangehörige. Nur 12 Prozent der Bürger:innen aus den sogenannten alten Mitgliedsstaaten wollen die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen. Bei den neuen Mitgliedsstaaten, die der EU ab 2004 beigetreten sind, sind es bereits 36 Prozent. Mit 67 Prozent weisen Drittstaatsangehörige aus Staaten außerhalb Europas den höchsten Wert auf. Den niedrigsten Wert mit nur 7 Prozent weisen unsere deutschen Nachbar:innen auf.

    Erklärt wird eine höhere Einbürgerungswahrscheinlichkeit von Drittstaatsangehörigen insbesondere mit dem höheren instrumentellen Nutzen der Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedsstaates, etwa im Hinblick auf Freizügigkeit, Arbeitsmarktzugang, Gleichbehandlung, Aufenthaltssicherheit oder Wahlrecht. Da Unionsbürger:innen österreichischen Staatsangehörigen mit Ausnahme des Wahlrechts auf Landes- und Bundesebene grundsätzlich gleichgestellt sind, überrascht dieses Ergebnis nicht. Personen, die Krieg oder Verfolgung erleben mussten, haben mit 58 Prozent einen besonders hohen Einbürgerungswunsch.

    Das Interesse am Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ist stark durch das jeweilige Alter bei der Immigration nach Österreich geprägt. So ist das Interesse von Personen, die in Österreich geboren wurden oder als Kinder/Jugendliche zu uns gekommen sind, wesentlich höher als bei jenen, die erst im Erwachsenenalter migrierten. Der Einbürgerungswunsch sinkt mit der fortschreitenden Aufenthaltsdauer: Von 44 Prozent zum Zeitpunkt der Einwanderung auf 34 Prozent nach 20 Jahren Aufenthalt.

    Von hoher Relevanz ist die Identifikation mit Österreich bzw. mit dem Herkunftsland. Wenig überraschend haben Personen, die sich stärker mit Österreich als mit dem Herkunftsland identifizieren, deutlich häufiger einen Wunsch nach Einbürgerung (64 Prozent zu 18 Prozent).

    Für die politische Partizipation ist die Staatsbürgerschaft von zentraler Bedeutung. Personen mit starkem Interesse an österreichischer Politik wollen teilhaben und haben dementsprechend einen ausgeprägten Wunsch nach Einbürgerung (54 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigen Personen, die sich wenig bis gar nicht für die Politik im Herkunftsland interessieren (50 Prozent wollen die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen). Personen, die der Ausschluss vom Wahlrecht stört, bestätigen diese Zahlen: Die Hälfte wünscht sich die Staatsbürgerschaft, weil sie politisch mitbestimmen will.

    Einstellungen zur Staatsbürgerschaft

    Die Teilnehmer:innen wurden in dieser Studie zu ihrer grundsätzlichen Einstellung zu Staatsbürgerschaft gefragt. Ähnlich wie von der Arbeiterkammer gefordert, vertreten 83 Prozent der Befragten die Meinung, dass in Österreich geborene Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen sollen (ius soli). 86 Prozent sprechen sich für allgemeine Einbürgerungserleichterungen für alle aus. Die Wichtigkeit als Zeichen der Identifikation und Zugehörigkeit streichen 74 Prozent hervor.

    Komplexer gestaltet sich die Frage nach der Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften. Hier ist die (insgesamt starke) Zustimmung unter EU-Bürger:innen höher als unter Drittstaatsangehörigen. Zudem ist sie höher unter jenen, die kein Interesse an der österreichischen Staatsbürgerschaft haben. Diese Ergebnisse können dadurch erklärt werden, dass eine Doppelstaatsbürgerschaft insbesondere für jene attraktiv ist, die andernfalls die österreichische Staatsbürgerschaft eher nicht beantragen würden (hier vor allem EU-Bürger:innen). Nach Ansicht der Studienautor:innen lässt sich daraus ein beträchtliches Potenzial zur Stärkung des Einbürgerungsinteresses ableiten.

    Der Forderung nach einem modernen Staatsbürgerschaftsgesetz und der Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften hat sich auch eine Initiative von Auslandsösterreicher:innen angeschlossen.

    Conclusio

    Es überrascht nicht, dass EU-Bürger:innen weniger an der österreichischen Staatsbürgerschaft interessiert sind. Das Interesse an Doppelstaatsbürgerschaften hingegen ist im Vergleich zu Drittstaatsangehörigen deutlich höher. Das liegt in erster Linie an der vorhandenen rechtlichen Gleichstellung, wie die Verfasser:innen der Studie betonen. Darüber hinaus kann die ökonomische Entwicklung und politische Stabilität des Herkunftslandes maßgeblich zur Erklärung unterschiedlicher Einbürgerungsinteressen herangezogen werden. Eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, dass ein höheres sozioökonomisches Entwicklungsniveau des Herkunftslandes mit geringerem Interesse am Erwerb der neuen Staatsbürgerschaft korreliert (siehe bei Vink et al., 2017). In diesem Sinne zeigen auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass Personen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (außer Slowenien und Kroatien), der Türkei und allen Drittstaaten ein stärkeres Einbürgerungsinteresse haben. Derselbe Effekt ist bei Personen zu beobachten, die einen hohen Identifikationswert mit Österreich aufweisen.

    Die Studie macht eines deutlich: Dort, wo es Unsicherheiten bezüglich Aufenthaltsstatus, Arbeitsmarktzugang, Zugang zu Sozialleistungen oder Ungleichbehandlung und Diskriminierung gibt, ist der Einbürgerungswunsch besonders stark ausgeprägt. Menschen sehnen sich nach (rechtlicher) Sicherheit. Für EU-Bürger:innen ist die österreichische Staatsbürgerschaft im Grunde genommen nur dann interessant, wenn sie die bisherige behalten dürfen. Vor diesem Hintergrund sollte die restriktive Haltung zu Doppelstaatsbürgerschaften dringend überdacht werden.

    Je stärker sich Personen mit Österreich identifizieren, desto stärker ist das Interesse an der österreichischen Politik und Gesellschaft, desto höher ist wiederum der Einbürgerungswunsch. Dieses Ergebnis macht ein weiteres Mal deutlich, dass der Wunsch und die Verleihung der Staatsbürgerschaft das Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich steigern. Auf die demokratiepolitischen Folgen unseres restriktiven Einbürgerungsrechts wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder hingewiesen, die unverhältnismäßig hohen Hürden habe ich hier dargestellt. Es ist zugleich ein weiteres Signal für die Politik: Sie muss anerkennen, dass Staatsbürgerschaft ein Motor für gelingende Integration und nicht das Ende des Integrationsprozesses ist.

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