Zurück in die Zukunft: Es braucht wieder eine solidarische Steuerfinanzierung der Krankenversicherung

05. Mai 2023

Bis zur Einführung des Pflegegeldes 1993 war die Krankenversicherung der Pensionsbezieher:innen überwiegend aus Steuermitteln finanziert. Zur Umsetzung des Pflegegeldes wurden die Krankenversicherungsbeiträge (KV-Beiträge) der Erwerbstätigen und der Pensionsbezieher kräftig erhöht, der Bund hat sich im selben Ausmaß aus der Finanzierung zurückgezogen. Seitdem wurden die KV-Beiträge der Pensionist:innen weiter erhöht und der Anteil der Steuermittel weiter reduziert. Mit den KV-Beiträgen der Aktiven kann weder die demografische Herausforderung einer alternden Gesellschaft noch der notwendige Strukturwandel in der Gesundheitspolitik bewältigt werden. Eine Rückkehr zur breiten solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung (KV) der Pensionsbeziehenden aus Steuermitteln ist daher dringend geboten. Der Beitrag beleuchtet Hintergründe, das Ausmaß des Rückzugs des Bundes und die Dimension der erforderlichen Steuermittel.

Die Zeiten der breiten solidarischen Steuerfinanzierung

In den Jahren vor dem In-Kraft-Treten des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) mussten die Träger der Pensionsversicherung (PV) für sämtliche Pensionsbezieher:innen einen bestimmten Prozentsatz an die KV leisten, der jährlich an den tatsächlichen Aufwand angepasst wurde. Mit dem ASVG ist man 1956 von dieser personenbezogenen Aufwandsdeckung zu einer pauschalen Aufwandsdeckung übergegangen. Jeder PV-Träger hatte einen Prozentsatz vom Pensionsaufwand zunächst an den Hauptverband der Sozialversicherungsträger zu überweisen, dieser hatte die eingehenden Mittel nach einem vom Sozialministerium festgelegten Schlüssel auf die KV-Träger zu verteilen.

Für Pensionsbezieher:innen, die bei einer Gebietskrankenkasse versicherten waren, mussten 7 %, für Versicherte der Landwirtschaftskasse 6 % des Pensionsaufwandes überwiesen werden. Diese Beitragssätze konnten im Verordnungswege erhöht werden, wenn die Beiträge nicht ausreichten, um die Summe der Aufwendungen in der KV für Pensionist:innen zu decken. 

Von den Pensionsbezieher:innen selbst wurde ein von der Pensionshöhe abhängiger Beitrag einbehalten. Bei niedrigen Pensionen 1 %, ansteigend auf 2,6 % für höhere Pensionen. Die Überweisung von 7 % des Pensionsaufwandes an die KV-Träger stellte für die PV-Träger eine Belastung dar, die überwiegend vom Bund gedeckt wurde.

Bereits 1970 wurde der bis dahin auf 8,7% erhöhte Beitragssatz der PV-Träger weiter auf 9,25 % des Pensionsaufwandes erhöht, weil im Rechenkreis der KV der Pensionist:innen ansonsten € 250 Mio Schilling gefehlt hätten. Da sich die Zahl der krankenversicherten Pensionist:innen bei den PV-Trägern unterschiedlich entwickelte, wurde auch die Aufteilung der Bundesmittel auf das Verhältnis Erwerbstätige und Pensionist:innen gesetzlich geregelt. Dadurch sollte vermieden werden, dass für die Gesundheitsversorgung der im Erwerbsleben stehenden Versicherten die Mittel fehlen.

1972 erfolgte die Erhöhung des Beitragssatzes auf 10,5 %, zudem wurde der Eigenbeitrag der Pensionsbeziehenden auf 3 % erhöht und die Ausgleichszulage einbezogen. Weiters wurde darauf wertgelegt, dass auch für die in die KV sonst einbezogenen Versichertengruppen (Präsenzdiener etc) ein kostendeckender Beitrag geleistet wird. Bis zum Jahr 1993 war die KV der Pensionist:innen somit weitgehend steuerfinanziert.

Umbau der Finanzierung der Krankenversicherung

Die Einführung des Pflegegeldes war im Budget 1993 nicht berücksichtigt. Um den Aufwand für das Pflegegeld zu decken, wurde die Steuerfinanzierung der KV der Pensionist:innen massiv reduziert. So wurden die KV-Beiträge der Erwerbstätigen um 0,8 % (um 0,4% für DN und DG) und der Beitrag der Pensionsbeziehenden um 0,5 % erhöht. Gleichzeitig wurde der Finanzierungsanteil des Bundes an der KV der Pensionsbezieher:innen im selben Ausmaß reduziert. Die Beitragserhöhung der aktiv Erwerbstätigen wurde also zur Finanzierung der KV der Pensionsbeziehenden herangezogen. Damit ist man von der Idee der überwiegenden Steuerfinanzierung der KV der Pensionsbezieher:innen abgegangen. Im Ergebnis wurde die Einführung des Pflegegeldes implizit über die Erhöhung der KV-Beiträge der Aktiven und Pensionsbezieher:innen bewerkstelligt.

Technisch wurde die Umstellung durch die Einführung sogenannter Hebesätze geregelt. Um die unterschiedlichen Pensionist:innenanteile der PV-Träger zu berücksichtigen, wurden Hebesätze in unterschiedlicher Höhe festgelegt.

Der erste Hebesatz wurde im Bereich der Pensionsversicherung der Angestellten und der Arbeiter mit 210 % normiert. Dh die Summe der KV-Beiträge der Pensionsbezieher im Ausmaß von 3,5 % der Pension wurden als 100 % definiert, dieser Betrag wurde aus Bundesmitteln um 110 % erhöht, woraus sich in Summe 210 % ergaben. Aktuell beträgt der Hebesatz 178 %.

Zwischenfazit: Bundesmittel auf dem Rücken von Pensionist:innen und Erwerbstätigen halbiert

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Bis 1993 hat der Bund rund 8 % des Pensionsaufwandes an die KV als Beitrag geleistet, mit den Eigenbeiträgen der Pensions- und Ausgleichszulagenbezieher:innen wurden insgesamt mehr als 10 % des Pensionsaufwandes aufgebracht. Diese breite solidarische Finanzierung ermöglichte damals annähernd eine Kostendeckung in der KV. Wie die demografische Entwicklung zeigt (siehe Tabelle 2), gibt es seit 1991 rund 600.000 mehr 65+-Jährige in Österreich, die Zahl der über 80-jährigen hat sich in etwa verdoppelt. Unter Berücksichtigung, dass besonders ältere Menschen häufig Leistungen aus der Krankenversicherung brauchen, ist offensichtlich, dass die Ausgaben der Krankenversicherung für diese Bevölkerungsgruppe daher stark gestiegen sind. Trotz dieser Entwicklung hat der Bund seinen Anteil von rund 8 % auf aktuell unter 4 % des Pensionsaufwandes reduziert. Diese Halbierung der Bundesmittel erfolgt auf Kosten der Pensionsbezieher:innen, deren Beiträge seit 1993 sukzessive bis auf aktuell 5,1, % der Pensionshöhe erhöht wurden. Aber auch auf Kosten der Arbeitnehmer:innen, die den Bundesbeitrag mit einer Beitragserhöhung ausgleichen und Limitierungen der Leistungen hinnehmen müssen. Aber auch das gesamte Gesundheitssystem leidet darunter, da insgesamt weniger Mittel für die Gesundheitsversorgung von Pensionsbezieher:innen an die KV geleistet werden, dies bei steigenden Ausgaben.

Gesundheitsausgaben in Österreich: großer Anteil für Pensionist:innen

Etwa 49 % aller medizinischen Leistungen während stationären Aufenthalten werden an ab 65-jährige Patient:innen erbracht. Auch im niedergelassenen Bereich wird ein Großteil der Versorgung von älteren Patient:innen in Anspruch genommen.

Dem gegenüber stehen die Einnahmen der KV: Die ÖGK verzeichnete 2021 Beitragseinnahmen in Höhe von 13,3 Mrd €. Für Pensionist:innen wurden 3,3 Mrd € einbezahlt, davon rund 1,9 Mrd € durch Beiträge der Pensions- und Ausgleichzulagenbezieher:innen selbst und 1,4 Mrd € vom Bund. Allein für Krankenbehandlungen, Heilmittel und Krankenhausaufenthalte wandte die ÖGK mehr als 11 Mrd € auf. Geht man davon aus, dass rund die Hälfte dieser Aufwendungen für Pensionsbezieher:innen anfällt, wird deutlich, dass die Beiträge für Pensionsbezieher:innen die Ausgaben der KV bei Weitem nicht decken.  Die Lücke an Steuermitteln für die KV der Pensionsbeziehenden beträgt allein bei der ÖGK grob abgeschätzt rund 2 Mrd €.

Aktuelle demografische Entwicklungen: alternde Bevölkerung

Aufgrund der demographischen Entwicklungen wird die Zahl der älteren Menschen in den nächsten Jahren stark wachsen. Aktuell beträgt der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung rund 20 %, dieser Anteil wird laut Prognosen der Statistik Austria bis 2050 auf rund 28 % ansteigen. Der Anteil der über 80-Jährigen ist seit 1991 von 3,57 % auf 5,88 % 2022 angestiegen. Bis 2050 wird ein Anstieg auf 11,52 % prognostiziert. Somit ist zu erwarten, dass 2050 2,7 Mio über 65-jährige und 1,1 Mio über 80-jährige Menschen in Österreich leben werden.

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Fazit: Zurück zur solidarischen Steuerfinanzierung

Mit Einführung des Pflegegeldes 1993 wurde die Steuerfinanzierung in der KV der Pensionsbezieher:innen drastisch reduziert und ist aktuell auf einem Tiefpunkt angekommen, obwohl der Anteil der Älteren an den Gesundheitskosten stetig steigt.

Zwangsläufig werden die Gesundheitsausgaben aufgrund des demographischen Wandels vor allem auch im Spitalsbereich massiv ansteigen. Schon jetzt ist das Angebot im extramuralen Bereich nicht ausreichend und oft nur bei Wahlärzt:innen für privat zahlende Patient:innen zugänglich.

Um hier entgegenzuhalten, braucht es strukturelle Verbesserungen in der Versorgung und vor allem auch in der Finanzierung der KV. 1993 dachte man noch daran die Erhöhung der KV-Beiträge für Erwerbstätige rückgängig zu machen (Entschließungsantrag). Wir brauchen Kostenwahrheit. Die Arbeitnehmer:innen können und sollen die demografische Last nicht tragen. Der Bund muss seine Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der Pensionsbezieher:innen auch im Bereich der ÖGK wieder wahrnehmen.

1990 wurden etwa 30 % der Gesamtkosten des Gesundheitssystems für Ältere aufgewendet, mittlerweile sind es rund 50 % und wir stehen erst am Beginn einer großen demografischen Herausforderung. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr weiter hinnehmbar, dass für die KV der Pensionsbezieher:innen lediglich 23 % aller KV-Beiträge kommen und der Bund weniger als die Hälfte davon trägt. Die Lücke im Budget der KV beträgt aktuell allein in der ÖGK und nur für die Leistungen für Pensionist:innen rund 2 Mrd €. Diese Lücke kann sinnvoll nur aus Steuermitteln gefüllt werden.

Die solidarisch aus Steuermitteln finanzierten Beiträge für die KV der Pensionsbezieher:innen müssen deutlich über 10 % hinaus anwachsen, damit die demografische Herausforderung in der Gesundheitsversorgungbewältigt werden können.