Die weltweit herrschende COVID-19-Pandemie brachte nicht nur die Schwachstellen im Pflege- und Gesundheitsbereich besonders zum Ausdruck, sondern auch die Pflegereform vorübergehend zu Fall. Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie wurden Qualitätsstandards im Gesundheits- und Pflegewesen kurzfristig außer Kraft gesetzt. Die vorgenommenen Maßnahmen könnten für Nutzer/-innen und Beschäftigte auf Dauer zur Gefahr werden.
Pflegereform 2020 – viele Vorhaben
2020 sollte für die Regierung das Jahr der Pflege werden. Der 2011 eingeführte Grundsatz „mobil vor stationär“ und der Wunsch vieler Menschen, so lange wie möglich daheim zu bleiben, prägt in Österreich seit Jahren sämtliche Diskussionen um die Weiterentwicklung der Langzeitpflege. Da derzeit bereits ca. 80 Prozent der pflegebedürftigen Personen in Österreich von Angehörigen betreut werden, wurde zur Entlastung pflegender Angehöriger der weitere Ausbau von mobilen Diensten und Tageszentren angekündigt. Zusätzlich wurde zur Unterstützung der Pflegenden der Einsatz von sogenannten „Community Nurses“ (Gemeinde-Krankenschwestern) vorgesehen. Um dem bestehenden Personalmangel entgegenzuwirken, sollte die Attraktivität der Gesundheitsberufe gesteigert werden. Geplant ist eine Lückenschließung zwischen der allgemeinen Schulpflicht und dem Start in die Pflegeausbildung durch die Schaffung einer berufsbildenden mittleren und höheren Schule. Auch die Einführung einer Pflegelehre wird diskutiert und teils kritisch betrachtet. Die Pflegereform sollte auch eine Erhöhung des Pflegegeldes ab der 4. Pflegestufe mit sich bringen. Für die Stärkung des Images der Gesundheitsberufe braucht es jedoch weitaus mehr, als in der geplanten Pflegereform vorgesehen wurde. Pflegekräfte verdienen bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Wertschätzung für ihre tägliche Arbeit.
Viele Pläne – COVID-19 bremst Reformvorhaben
Die Ereignisse der letzten Monate haben (nicht nur) den Zeitplan der Pflegereform massiv ins Wanken gebracht. Der Beschluss der COVID-19-Gesetze und diverser rechtlicher Grundlagen führte dazu, dass in vielen Bereichen Qualitätsstandards gelockert wurden, die früher teils jahrzehntelang im Einsatz und teils nicht mehr zeitgemäß waren. Die Veränderungen reichen dabei von veränderten Kompetenzen mancher Gesundheitsberufe bis hin zu Ausnahmeregelungen für die Personalberechnung. Diese werden hier exemplarisch beschrieben.
Einsatz von medizinischem Personal wird flexibler
Das Ärztegesetz orientiert sich grundsätzlich am sogenannten Ärztevorbehalt, wonach bestimmte Tätigkeiten nur von ausgebildeten ÄrztInnen ausgeübt werden dürfen. COVID-19 brachte vorübergehende Änderungen. Diese betreffen z. B. Kompetenzen, Sonderfachausbildungen und auch den Einsatz von ausländischen und pensionierten Ärzten/-innen. Die vorgenommenen Änderungen treten mit Ablauf des Jahres außer Kraft.
Heranziehung von Laien zur Unterstützung in der Basisversorgung
Bereits vor der COVID-19-Pandemie wurde im Pflegebereich am Rande der Maximalbelastung gearbeitet. Zur Entlastung der im Langzeitpflegebereich Beschäftigten können nun vorübergehend auch Personen, die über keine Ausbildung im Gesundheits- und Pflegebereich verfügen, unterstützende Tätigkeiten bei der Basisversorgung durchführen, auch wenn diese über reine Laientätigkeiten hinausgehen. Zur Basisversorgung zählen unter anderem Hilfestellungen bei der Körperpflege, bei der Nahrungs- und Medikamenteneinnahme oder beim An- und Auskleiden. Laientätigkeiten, die kein medizinisches oder pflegerisches Fachwissen erfordern, können ohne die Unterstützung von Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe vorgenommen werden. Diese Berechtigung bleibt längstens bis zum 31.3.2021 in Geltung. Bekannt wurde diese Regelung vor allem durch den vermehrten Einsatz bzw. die Verlängerung von Zivildienern. Durch weniger positiv getestete Bewohner/-innen in Alten- und Pflegeheimen, als vorab befürchtet, wurden nicht alle berufsrechtlichen Lockerungen zur Gänze umgesetzt.
Diverse vorübergehende Änderungen gab es bei den Berufsanforderungen für die gehobenen medizinisch-technischen Dienste, im Sanitätsdienst und beim Aussetzen von Spezialisierungen für Pflegekräfte.
Außerkraftsetzen von Mindestpflegepersonalschlüssel in Pflegeheimen
Mithilfe des Personalschlüssels wird berechnet, wie viele Pflegekräfte im Verhältnis zu den Bewohnern/-innen eines Pflegeheimes benötigt werden, um eine qualitative Pflege zu ermöglichen. Grundsätzlich darf dieser gesetzlich vorgegebene Mindestpflegepersonalschlüssel nicht unterschritten werden. Aufgrund des aktuellen Ausnahmezustandes wurde dieser jedoch in Oberösterreich und in der Steiermark außer Kraft gesetzt, um flexibler beim Ausfall von Pflegekräften agieren zu können. Die Mindestvorgaben wurden eingeführt, um eine angemessene Pflege der Heimbewohner/-innen sicherstellen zu können. Eine Unterschreitung dieser vorgesehenen Mindestbesetzung könnte gefährlich für die pflegebedürftigen Menschen werden. Die Pflege wird dadurch noch mehr auf das Nötigste reduziert werden (z. B. Waschtage können aufgrund von Zeitmangel verschoben werden), weshalb den Pflegenden noch weniger Zeit für die individuelle Betreuung der Bewohner/-innen zur Verfügung steht. Dem Umstand, dass durch COVID-19 mehr Zeit in der Pflege gebraucht wird, z. B. für Hygienemaßnahmen, Aufklärungsgespräche, aber auch im Rahmen der Durchführung der Empfehlungen zur Lockerung in den Heimen, wird in keiner Weise Rechnung getragen. Durch die Aussetzung des Mindestpflegepersonalschlüssels in einigen Bundesländern steigt die Belastung der Beschäftigten noch mehr.
Änderungsmöglichkeit beim Personaleinsatz in Krankenhäusern
Die Landesgesetzgebung kann für den Fall einer Pandemie vorsehen, dass durch Verordnung der Landesregierung Ausnahmen von diversen krankenanstaltenrechtlichen Vorgaben gemacht werden können. Es sollen unter anderem Änderungen im Personaleinsatz ermöglicht werden. Diese Bestimmung tritt sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten (4. April 2020) außer Kraft. Auch wenn bisherigen Schilderungen zufolge in der Praxis wenig Gebrauch von dieser Regelung gemacht wurde, ist eine Lockerung nach unten bei den ohnedies schon knappen Personaleinsatzplänen zu hinterfragen.