Psychische Belastungen von Flüchtlingen: eine Herausforderung auf dem Weg in die Integration

25. November 2019

Psychische Belastungen stellen für viele Flüchtlinge ein bedeutendes Hindernis dar, um sich in den Aufnahmeländern gut zurechtzufinden und einbringen zu können. Dies gilt auch für Österreich und erschwert neben sozialer Integration auch den Weg in den Arbeitsmarkt, wie eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt. Daher braucht es sowohl niederschwellige soziale Unterstützungsangebote als auch, wo erforderlich, ausreichend finanzierte, langfristige psychotherapeutische Hilfe.

In den Jahren ab 2014 kamen viele Menschen aus Kriegsgebieten, insbesondere aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, nach Österreich. Viele Geflüchtete waren in ihren Herkunftsländern Verfolgung und Diskriminierung aus verschiedensten Gründen ausgesetzt sowie Erfahrungen von Kriegshandlungen, physischer wie psychischer Gewalt. Ökonomische und politische Unsicherheit sind oft mit materieller Not verbunden. Während der Flucht oder bei zwischenzeitlichem Aufenthalt in Lagern können lebensbedrohliche Umstände und Mangelerfahrungen gegenwärtig sein. Hinzu kommt meist die Trennung von Familienmitgliedern sowie das Abgeschnitten-Sein von unterstützenden FreundInnen. All dies ist mit großem Stress verbunden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Flüchtlinge vermehrt von posttraumatischen Belastungen, Angst- oder depressiven Störungen oder anderen psychischen Problemen betroffen sind.

Nach Ankunft der Flüchtlinge in einem sicheren Aufnahmeland sind Leib und Leben nicht mehr unmittelbar bedroht – dies bedeutet jedoch nicht, dass psychische Probleme unmittelbar abnehmen. Neue Herausforderungen können zusätzliche psychische Belastungen erzeugen. Dazu zählen: die Angst vor einer Rückführung, gesundheitliche Probleme, Trennung von der Familie, Sprachschwierigkeiten, mangelnde Möglichkeiten, aktiv zu sein, Schuldgefühle, die Realisierung der Verlusterfahrung und dabei potenziell eingeschränkte Möglichkeiten, sich mit anderen darüber auszutauschen. All dies kann dazu führen, dass psychische Beschwerden anhalten oder sich erst entwickeln. Neben gesundheitlicher und materieller Versorgung brauchen Flüchtlinge somit meist auch sozialpsychologische und teilweise therapeutische Hilfe, um sich zu stabilisieren, im neuen Land einen Platz zu finden und das eigene Leben wieder aktiv gestalten zu können.

Lebensumstände von Flüchtlingen in Österreich

Eine kürzlich am wiiw veröffentlichte Studie beleuchtet das Ausmaß psychischer Probleme besonders jener Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Österreich gekommen sind. Dabei wurde der Zusammenhang zwischen Stressfaktoren und psychischer Belastung untersucht bzw. welche Umstände Entlastung bieten können.

Die zugrunde liegenden Daten entstammen der Flüchtlingsbefragung FIMAS+INTEGRATION, die zwischen Dezember 2017 und April 2018 vor allem unter Personen, die bereits einen anerkannten Asylstatus hatten, durchgeführt wurde. Mehr als 1.600 Flüchtlinge im Alter von 15 bis 60 Jahren, überwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, wurden österreichweit mit Schwerpunkt auf die Landeshauptstädte interviewt. Der Fragenkatalog umfasste verschiedene Lebensbereiche, unter anderem: derzeitige Arbeitsmarktaktivität und -erfahrung im Herkunftsland, Bildung und Sprachkompetenz, Familiensituation, Wohnen, soziale Integration und eben auch Gesundheit. Zur Messung der psychischen Belastung wurde mittels klinisch validierter Skala die Häufigkeit von zehn verschiedenen Symptomen erhoben, z. B. überschießende Nervosität, Müdigkeit ohne verständlichen Grund, Hoffnungslosigkeit.

Ausmaß psychischer Belastung unter Flüchtlingen © A&W Blog
© A&W Blog

Die Untersuchung zeigt, dass ein bedeutender Teil der in Österreich befragten Flüchtlinge klinisch auffällig psychisch belastet ist. Bei 20 Prozent der interviewten Personen können schwere psychische Probleme angenommen werden, bei weiteren 11 Prozent sind mittelgradige Probleme wahrscheinlich. Eine detaillierte Betrachtung der Umfragedaten zeigt, dass jüngere Flüchtlinge (15- bis 34-Jährige) überdurchschnittlich stark belastet sind. Ebenso zeigen geflüchtete Frauen stärkere Symptome im Vergleich zu Männern.

Ausreichende therapeutische Betreuung ist notwendig

Bei mittelgradigen psychischen Belastungen treten u. a. Symptome wie gelegentliche Panikattacken, auffallend flacher Affekt oder ausnehmend weitschweifige Sprache auf. Ausgeprägte Konflikte im beruflichen wie anderen sozialen Bereichen sind wahrscheinlich. Bei schweren psychischen Problemen liegen ernsthafte Symptome wie z. B. Suizidgedanken oder schwere Zwangsrituale vor. Die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit sind stark beeinträchtigt (z. B. keine Freunde, Unfähigkeit, eine Arbeitsstelle zu behalten). Darüber hinaus können Selbst- und Fremdgefährdung in stärkerem Maße vorliegen, und die Realitätskontrolle kann eingeschränkt sein.

Therapeutische Hilfe ist State of the Art sowohl zur Behandlung mittelgradiger als auch schwerer psychischer Probleme. Bei schweren Belastungen wird oft auch eine medikamentöse Behandlung notwendig. Eine Behandlung ist unumgänglich, denn psychischer Stress steigert nicht nur das Selbstgefährdungspotenzial, sondern birgt auch das Potenzial zur Fremdgefährdung.

Stressoren und entlastende Faktoren – was hemmt zusätzlich und was hilft?

Im Rahmen der Studie wurde auch untersucht, unter welchen Umständen Flüchtlinge Entlastung erfahren und welche Bedingungen die psychische Belastung zusätzlich erhöhen. Jene Personen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen war, hatten ein signifikant höheres Risiko, psychische Gesundheitsprobleme zu haben. Die Angst, abgeschoben zu werden, und die Unsicherheit über die Zukunft bedeuten eine andauernd hohe Belastung. Erst nach positivem Abschluss des Verfahrens kann auch innerlich eine neue Heimat erfahren werden und somit eine Beruhigung eintreten.

Wie zu erwarten, verstärken physische Gesundheitsprobleme auch psychisches Leiden. Viele der Flüchtlinge weisen einen schlechteren Gesundheitszustand auf, kommen sie doch aus Ländern, in denen die Versorgung (auch kriegsbedingt) ungenügend war. Wichtig sind hier niedrigschwellige Zugänge im Gesundheitssystem für Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, fehlendem Wissen über das österreichische Gesundheitssystem oder generell geringer Gesundheitskompetenz.

Hinzu kommt, dass Flüchtlinge nach der Ankunft sogenannten akkulturativen Stress erfahren. Die Orientierung in einem neuen Land mit unbekannten sozialen „Regeln“ erzeugt Unsicherheit. Eigene Positionen müssen neu ausgehandelt und (wieder) gefunden werden. So pendeln viele zwischen Gefühlen von Orientierungslosigkeit, Hoffnung und Anpassungsdruck. Erfahrungen von Ablehnung oder Diskriminierung lassen, wie in der Analyse nachgewiesen, psychischen Stress signifikant ansteigen.

Sozialer Zusammenhalt ist lebenswichtig

In mehrfacher Hinsicht zeigt sich in der Studie, wie wichtig vertrauensvolle Beziehungen sind, um innerlich Halt zu haben. Zum einen ist – natürlich nicht nur – für Flüchtlinge Familienzusammenhalt von großer Bedeutung. Dies zeigt sich vor allem bei jenen Personen, deren PartnerInnen oder Kinder im Heimatland oder einem anderen Land auf dem Weg nach Österreich zurückgeblieben sind. Die damit verbundenen Sorgen verursachen einen höheren Stresslevel bei den befragten Personen. Niedrigere psychische Belastung weisen jene Flüchtlinge auf, die neben PartnerInnen oder Kindern auch noch mit weiteren Familienmitgliedern im gleichen Haushalt leben. Dies zeigt die Wichtigkeit von Familienzusammenführung für die psychische Gesundheit von Flüchtlingen. Österreich gilt hierbei als sehr restriktiv, wie auch vom UNHCR beanstandet wird. Vertrauensvolle Beziehungen sind aber auch über die Familie hinausgehend von Bedeutung für die psychische Gesundheit. Befragte, die angegeben haben, jemanden zu kennen, mit dem sie über persönliche Probleme reden können, sind weniger belastet.

Eingebundenheit in einen breiteren sozialen Zusammenhalt bzw. Beziehungen und psychisches Wohlbefinden gehen miteinander einher. Vermehrte Sozialkontakte auch über die eigene „Community“ hinaus senken nachweislich die empfundene mentale Belastung. Angebote vielfältiger sozialer Integration im Bereich Bildung, Freizeitaktivitäten etc. haben positive Auswirkungen, die über den engeren Zweck der Förderung weit hinausgehen.

Insbesondere Sprachkompetenz ermöglicht es, sozial aktiver zu werden, Ängste einem realistischerem Blick weichen zu lassen und damit auch Chancen auf neue Wege nutzen zu können. Je besser die Deutschkenntnisse der befragten Flüchtlinge waren, umso niedriger war deren Grad psychischer Belastung. Kursangebote in diesem Bereich brauchen eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung.

Bildung schützt nicht vor Belastungen, Zugang zu Wohnen und Arbeit hilft

In der Forschungsliteratur wurde früher vermutet, dass Flüchtlinge mit besserer Bildung eventuell auch mehr Kompetenzen hätten, sich im Ankunftsland zurechtzufinden und auch psychisch zu stabilisieren. Die Realität zeigt jedoch, dass höher Gebildete nicht weniger belastet sind. Dies ist nicht weiter verwunderlich, haben doch höher Ausgebildete auch größere Schwierigkeiten, den Weg in den österreichischen Arbeitsmarkt zu finden. Für sie ist hohe Sprachkompetenz und eine Anerkennung der Qualifikationen in stärkerem Ausmaß notwendig, um einen passenden Job in Österreich zu finden.

Je zufriedener die befragten Personen mit den Wohnverhältnissen waren, desto höher war auch das psychische Wohlbefinden. Zugang zu Arbeit ermöglicht es, sich als selbstwirksam zu erleben, und schafft, wenn die Tätigkeit als sinnvoll erlebt wird, Zufriedenheit. Das Verhältnis zwischen psychischer Belastung und Arbeit ist aber natürlich ein zweiseitiges. So zeigt eine ebenfalls gerade am wiiw veröffentlichte Studie die Notwendigkeit psychischer Gesundheit für soziale Integration auf, die wiederum Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert.

Fazit: Die Zeit heilt keine Wunden – therapeutische Behandlung und erfolgreiche Integrationsschritte sehr wohl

Die Studie zeigt, dass psychische Belastungen nicht einfach über die Zeit sinken, wenn andere Erklärungsfaktoren mit berücksichtigt werden. Dies wurde bereits für Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien aufgezeigt, unter denen viele auch Jahrzehnte nach Ankunft im Aufnahmeland (unbehandelte) psychische Probleme hatten. Nur wenn Integrationsschritte erfolgreich bewältigt werden – so unter anderem Asylstatus, Behandlung physischer Gesundheitsprobleme, Sprachkompetenz, seinen eigenen Platz mit und unter anderen in der neuen Gesellschaft finden und aktiv gestalten können, Arbeitsmarktintegration – kann auch die psychische Belastung zurückgehen. Damit dies gelingt, braucht es aber auch genügend psychosoziale und langfristige therapeutische Betreuungskapazitäten, denn auch in Österreich ist ein bedeutender Anteil, der in den letzten Jahren angekommenen Flüchtlinge, psychisch stark belastet. Einrichtungen wie Hemayat, SINTEM Caritas oder im Kinder-/Jugendbereich auch die boje, um nur einige zu nennen, leisten seit Jahren hervorragende Arbeit in diesem Bereich. Notwendig ist aber die Sicherstellung ausreichender, nachhaltiger Finanzierung durch die öffentliche Hand.