Medien zwischen Zensur und Verantwortung

26. Juli 2021

Inwieweit sind Unternehmen für die auf ihren Plattformen veröffentlichten Inhalte verantwortlich? Durch die Sperrung des Twitter-Accounts von Präsident Trump sowie die Löschung einer Rede von FPÖ-Klubobmann Kickl von YouTube gewann die Frage, wie weit (Medien-)Unternehmen Inhalte kontrollieren bzw. zensurieren dürfen und müssen, neue Aktualität. Mit einer geschützten Pflicht zur Verantwortung, einem ausgebauten Recht auf Richtigstellungen und vor allem einer entschiedenen Politik gegen die Medienkonzentration könnte diesen Problemen begegnet werden.

Nur wer Inhalte kontrollieren kann, kann auch dafür verantwortlich sein

Wer für den Inhalt eines Mediums gegenüber Dritten, vor allem gegenüber der Staatsgewalt, verantwortlich ist, muss diese Inhalte auch kontrollieren – also zensurieren und beeinflussen – können und zumindest in einer Demokratie auch unter dem Schutz der Medien- und Pressefreiheit stehen.

Allerdings ist schon seit dem Aufkommen der ersten Massenmedien bekannt, wie schwierig die Kontrolle dieser sogenannten vierten Gewalt in einer Demokratie ist.

Bei den klassischen Medienformaten verlangt man die Offenlegung der für den Inhalt Verantwortlichen. Damit können zumindest ex post, gegebenenfalls in Gerichtsverfahren, falsche oder beleidigende Behauptungen gegenüber den Verantwortlichen bestritten oder sanktioniert werden.

Bezüglich des Kontrollrechts bzw. der Kontrollpflicht der PlattformbetreiberInnen läuft es medienpolitisch auf die Frage hinaus: Sind Twitter, Facebook, YouTube, Snapchat etc. wie ZeitungsherausgeberInnen, VerlegerInnen und Fernsehsender zu behandeln, oder sind sie wie die Post und Telekom als NetzbetreiberInnen zu sehen, die Nachrichten nur von einem zum anderen (über-)tragen und sich um den Inhalt der Nachrichten nicht zu kümmern haben?

NetzbetreiberInnen sind laut EU-Recht verpflichtet, Netzneutralität zu gewährleisten, d. h. sie haben alle Inhalte gleichwertig zu übertragen und sich nicht um diese zu kümmern. Wobei diese Regel etwa im Urheberrecht insofern durchbrochen wird, als auch NetzbetreiberInnen eine gewisse Mitwirkungspflicht beim Vollzug trifft.

… und wer bestimmen kann, kann auch zensurieren

Im Prinzip funktioniert das auch bei den neuen Medien: sowohl indem man die PlattformbetreiberInnen rechtlich verantwortlich und damit zu ausgelagerten ZensorInnen macht oder indem man die namentliche und authentifizierte Zeichnung der Beiträge durch die VerfasserInnen verlangt.

Allerdings leiden diese Möglichkeiten zur Regulation unter den gleichen Schwächen wie bei den traditionellen Medien:

Sie bedrohen die Meinungsfreiheit. Denn sobald es identifizierbare Verantwortliche gibt, können diese unter Druck gesetzt werden. Entweder werden die VerfasserInnen direkt gezwungen oder es wird Druck auf die für die Inhalte Verantwortlichen ausgeübt, gewisse Äußerungen zu verhindern. Noch perfider ist es, wenn AutorInnen oder Medienverantwortliche durch (indirekte) Drohungen zur Selbstzensur veranlasst werden. Diese Möglichkeit zur Beeinflussung hat positive Seiten, wenn es darum geht, falsche, beleidigende oder illegale Äußerungen zu unterbinden, aber auch negative, wenn damit legitime Kritik an Regierungen, Unternehmen und Ähnlichem unterdrückt wird.

Zudem ist es problematisch, wenn den PlattformbetreiberInnen die eigene Ruhe wichtiger ist als die Rechte ihrer NutzerInnen. Wenn etwa YouTube schon bei nur behaupteten Urheber- oder sonstigen Rechtsverletzungen die Beiträge – ohne weitere Prüfung – sperrt. Eine Thematik, die unter dem Begriff „Overblocking“ auch beim Beschluss des sogenannten „Hass im Netz“-Pakets intensiv diskutiert wurde.

In der Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform werden die PlattformbetreiberInnen zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens verpflichtet, bei dem UserInnen gegenüber Giganten wie Disney, Universal oder Sony Music eine faire Chance gegeben werden soll. Wobei KritikerInnen dieser Bestimmung nach wie vor Zweifel haben, wie weit damit willkürliche Zensur vermieden werden kann.

Ob die AnbieterInnen von „Gratis“-Plattformen wie YouTube, Facebook oder Twitter sich allerdings auch mit der chinesischen, der US-amerikanische oder sonstigen Regierungen einlassen werden, um UserInnen, denen sie zu nichts verpflichtet sind, zu verteidigen, steht auf einem anderen Blatt.

Ein schmaler Grat zwischen Meinungsfreiheit und Verleumdung

Ein Verzicht auf die Kontrollmöglichkeiten bei Internetveröffentlichungen ist aber ebenso wenig denkbar.

Die Opfer falscher, ehrenrühriger oder unzulässiger Behauptungen müssen ihre Rechte gegenüber den BeleidigerInnen durchsetzen können. Umso mehr, als durch die Divergenz zwischen persönlich oder sozial vernichtenden Aussagen und dem, was straf- und medienrechtlich verboten ist, dieser Schutz ohnehin oft unvollständig ist.

Eine allgemeine sogenannte Klarnamenpflicht ist nicht die Lösung. Denn die Tatsache, dass viele „Hate Crimes“ im Internet völlig offen ohne Anonymität stattfinden, zeigt, dass das Problem weniger in der Anonymität, sondern vielmehr im Fehlen von Schutzbestimmungen liegt.

Auch das aus Teenager-Intrigen, Dorfklatsch und Dirty Campaining bekannte Prinzip, dass irgendetwas immer hängen bleibt, macht es umso notwendiger, zumindest eine Chance auf offizielle Richtigstellung zu wahren.

Gerade in Österreich und Deutschland will man auch verhindern, dass politische ExtremistInnen wie Neonazis das Netz zum Wiederaufbau ihrer menschenverachtenden Ideologie verwenden. Wer selbst nicht bereit ist, die demokratischen Rechte der anderen auf freie Meinungsäußerung zu achten, kann auch nicht verlangen, sie selbst zu genießen.

Neben diesen gesellschaftspolitischen Anlässen gibt es auch noch ökonomische Gründe, das freie Veröffentlichen zu regulieren, nämlich das oben angesprochene Urheberrecht.

KomponistInnen und FilmemacherInnen sollten einen fairen Lohn für ihre Mühe bekommen und nicht einfach schwarz kopiert werden dürfen. Anders formuliert: Auch der Schutz von UrheberInnenrechten hat eine Berechtigung. Die unfaire Divergenz von strengem Schutz von großen Medienkonzernen und wenig bis keinem faktischem Schutz für AnfängerInnen im Kunstgeschäft tut dem grundsätzlich keinen Abbruch.

Letztlich scheint die Lösung in einer Kombination aus drei politischen Maßnahmen zu liegen.

Eine Pflicht zur Verantwortung

Die anonyme Beteiligung an der öffentlichen Debatte ist kein demokratisches Grundrecht. Wer immer sich an viele Menschen wendet, um diese zu einem Kauf, einer politischen Haltung oder auch nur zu einem Lachen zu bewegen, muss auch bereit sein, dazu mit Gesicht und Namen einzustehen. Das ist im Übrigen auch jetzt schon Stand der Regulierung und gilt auch im Internet, das – entgegen der häufig gehörten Aussage – keineswegs ein rechtsfreier Raum ist.

Mit Gesicht und Namen einstehen zu müssen könnte wiederum die oben beschriebenen Möglichkeiten, Druck auszuüben, verstärken. Gerade für politisch Verfolgte ist es lebensnotwendig, von ihren VerfolgerInnen nicht identifiziert zu werden.

Bei klassischen Medien löst man das Problem durch den Quellenschutz. Wenn eine dritte Partei, etwa ein Journalist oder eine Journalistin, nach Prüfung der Quellen diese für veröffentlichbar hält und für diese Entscheidung die Verantwortung übernimmt, stehen die eigentlichen Quellen unter dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses.

Mit den neuen Regeln durch das „Hass im Netz“-Paket verpflichtet man die Plattformen, die Klarnamen ihrer NutzerInnen im Zuge von gerichtlichen Verfahren herauszugeben. Es wäre klug, eine entsprechende Anonymisierung auch öffentlich anzubieten, damit nicht jede und jeder die/der internationale Plattformen nutzt, zum Einstieg den großen Datensammlern bestätigte Identitäten liefern muss. Wobei auch dabei größte Vorsicht geboten ist. Nur auf Aufforderung durch ein Gericht und im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens sollte die Identität entschlüsselt werden.

… eine Stimme für die Wahrheit

Neben dem Schutz der aktiv Involvierten muss auch die Qualität der veröffentlichten Information geschützt werden. Sollte sich also eine Meldung als falsch oder ungerechtfertigt herausstellen, so muss die Öffentlichkeit mit der gleichen Vehemenz, mit der die Falschmeldung verbreitet wurde, auch auf die Richtigstellung hingewiesen werden.

Die BetreiberInnen eines Kanals müssen so wie alle regelmäßig erscheinenden Medien verpflichtet werden, Richtigstellungen von durch die Falschinformation Beeinträchtigten zu veröffentlichen. Und zwar in gleicher Form und gleichem Umfang wie die Ursprungsmeldung. Vor allem aber unter Kontrolle der Geschädigten, um ein Ausweichen in formalisierte und mit JuristInnenjargon unlesbar gemachte Partezettel-Entgegnungen zu verhindern.

… und viele Stimmen für eine breite Beteiligung an der Debatte

Die allerwichtigste Maßnahme ist es, den Zugang zu einem breiten Publikum möglichst weit offenzuhalten. Die Macht der großen Medien und Plattformen liegt nämlich in der Aufmerksamkeit, die ihnen bei einem breiten Publikum zuteilwird. Je mehr sich diese Macht bei wenigen großen Plattformen konzentriert, umso abhängiger wird die Erhaltung der Meinungsvielfalt von deren Politik.

Daher ist die Förderung offener Internetstandards, frei zugänglicher Plattformen und die Förderung der breiten Verwendung dieser offenen Strukturen notwendig zum Erhalt der Medienfreiheit. Ebenso bedeutend wie das Recht von MedienmacherInnen, nicht beschränkt zu werden, ist die Sicherung der Tatsache, dass es viele Medien geben kann, um Nachrichten beim Publikum zu verbreiten.

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