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Eingeschränkte Wahlfreiheit fördert Väterbeteiligung
Bestimmungen, die fixe, auf den anderen Elternteil unübertragbare Quotenanteile vorsehen, stellen sich in der Praxis als weitaus effektiver heraus als Karenzregelungen, die lediglich geschlechtsneutrale Familienansprüche vorsehen. Die gesetzliche Verankerung verringert einerseits die Notwendigkeit, mit den Arbeitgebern um die Elternzeit zu verhandeln, und andererseits das Risiko, aus diesen Verhandlungen erfolglos hervorzugehen. Der gesetzliche Anspruch wirkt effektiv gegen geschlechtsspezifische Erwartungen am Arbeitsplatz. Die starke normative Komponente der Quote schafft durch die Anwendung in der Praxis sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Vätern neue gesellschaftliche Normen: Das überholte Modell des männlichen Haushaltsversorgers konnte so durch jenes des Doppelverdienerhaushalts als Leitbild ersetzt werden. Für Väter wurde es zu einer nahezu moralischen Obligation, das Angebot in Anspruch zu nehmen, und für Arbeitgeber zur Aufgabe, dies zu unterstützen.
Starker finanzieller Anreiz
Ein weiteres gestalterisches Element der Elternzeit in Norwegen ist die großzügige Kompensation der Elterngehälter aus staatlichen Mitteln. Die Eltern erhalten bei einem Karenzanspruch von 49 Wochen 100 Prozent ihres jährlichen Einkommens mit einer Deckelung in Höhe von 668.862 NOK (= 66.986 Euro; Stand: 2022). Überdies sehen viele Kollektivverträge vor, dass die Arbeitgeber die Differenz zwischen den Gehältern, die den Höchstwert übersteigen, und dem gesetzlichen Höchstbetrag übernehmen. In den meisten Fällen bedeutet die Karenz also keine oder nur geringfügige wirtschaftliche Verluste für Eltern und Arbeitgeber. Da Männer dazu neigen, sich in ihrer Entscheidung von finanziellen Anreizen leiten zu lassen, ist es notwendig, die Väterkarenz nicht nur zu ermöglichen, sondern sie attraktiv zu gestalten.
Flexible Nutzungsmöglichkeiten für partnerschaftliche Teilung
Ebenfalls bedeutend ist der Grad an Flexibilität der Väterquote. Werden flexible Nutzungsmöglichkeiten gewährleistet, haben die Eltern den nötigen Handlungsspielraum, um ihre Elternzeit an die individuellen Bedürfnisse der Familie und des Arbeitsplatzes anzupassen. In Norwegen können Eltern den Anspruch innerhalb der ersten drei Lebensjahre des Kindes frei nutzen. Sie können die gesamte Elternzeit auf einmal gebrauchen, sie in Blöcken konsumieren oder sie durch Teilzeitarbeit auf längere Zeiträume ausdehnen. Die Möglichkeit für beide Elternteile, gemeinsam zu Hause zu bleiben, besteht ebenfalls, ist aber begrenzt auf den Zeitraum der 15-wöchigen Quote. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah keine Möglichkeit der gemeinsamen Elternzeit vor, aber nach Protesten wurden entsprechende Anpassungen vorgenommen. Während der übrigen 16 Wochen muss die Mutter einer anerkannten Beschäftigung nachgehen, während sich Vater oder Co-Mutter um das Kind kümmern. Die gleichzeitige Nutzung der Karenz ging zurück, denn sie ist mit Nachteilen, wie der Verkürzung der gesamten Karenzperiode oder der Entstehung einer Lücke zwischen der Kinderbetreuung durch Eltern und Kindergarten, verbunden.
Getrennte – statt gemeinsamer – Elternzeit fördert Sorgearbeit von Vätern
Qualitative Studien stellten, abhängig von der Nutzung der Elternzeit als gemeinsam oder separat, Unterschiede in den väterlichen Sorgepraktiken fest. Die Männer, die auf sich allein gestellt waren, hatten die Möglichkeit und den Freiraum, ihre eigenen Kinderbetreuungskompetenzen und eine erhöhte Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen ihrer Kinder zu entwickeln. Die daraus resultierende bedürfnisorientierte Sorgepraxis unterscheidet sich deutlich von jener im Fall der gemeinsamen Elternzeit. Hier setzte die Mutter ihre Betreuung fort, und der Vater nahm lediglich eine unterstützende Rolle ein. Im Vergleich zu Vätern mit alleiniger Sorgeverantwortung eigneten sie sich nicht dasselbe Ausmaß an Fähigkeiten und Selbstbewusstsein in der Kindererziehung an. Die Intention der Gesetzgebung, zwei gleichgestellte Elternteile hervorzubringen, wird in dieser Nutzungsvariante also teilweise umgangen. Während Flexibilität zweifellos eine höhere Attraktivität der Elternkarenz für beide Elternteile mit sich bringt, wird der gewünschte Effekt der Maßnahme dadurch schwerer erzielt.
Geringere Inanspruchnahme bei niedrigerem Einkommen
Ein wichtiger Schnittpunkt in der geschlechtsspezifischen Analyse der Elternzeit ist die soziale Klasse. Der Gebrauch der Väterquote ist besonders in niedrigen Einkommens- und Bildungsschichten schwächer ausgeprägt als im Mittelstand der norwegischen Gesellschaft. Diese Klassendifferenzen in der Inanspruchnahme der Elternkarenz durch Väter konnte die Quote bis zu einem gewissen Grad abbauen, denn grundsätzlich nutzt ein großer Teil der Anspruchsberechtigten die Elternzeit.
Aber nicht nur in der allgemeinen Nutzung der Elternzeit bestehen Unterschiede. Abhängig von finanziellen und arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen sowie spezifischen Wertevorstellungen gestalten Angehörige unterschiedlicher sozialer Schichten die Elternzeit uneinheitlich. Diese Diversität wird vor allem durch die Option der flexiblen, individuellen Organisation begünstigt.
Klassenabhängige Vaterschaftspraktiken
Bei einer Gegenüberstellung von Vätern aus der Arbeiterklasse und Vätern aus der Mittelschicht zeigt sich, dass die beiden Gruppen ihre Karenz nach sehr unterschiedlichen Grundvorstellungen gestalten. Die Eltern, die in der Mittelklasse zu verorten sind, bemühen sich um eine möglichst egalitäre Aufteilung der Elternzeit und erfüllen damit die Intention des Wohlfahrtsstaats hinter den Maßnahmen. Die Väter lösen die Mütter meist ab, nachdem diese ihren Anteil aufgebraucht haben und wieder Vollzeit zur Arbeit zurückkehren, und signalisieren auch innerhalb des Arbeitsumfelds, dass das Kind für diesen Zeitraum eine Priorität darstellt. Folgt man dieser Auffassung einer optimalen Kinderbetreuung, so haben beide Elternteile die Möglichkeit, schon früh eine innige Beziehung zum Kind aufzubauen.
In Arbeiterhaushalten betrachten die Eltern häufig eine komplementäre Arbeitsteilung mit der Mutter als primärer Sorgeverantwortlichen und dem Vater als Hauptverdiener als ideal für das Wohl des Kindes und der Familie. Dementsprechend verzichten die Väter entweder auf den gesamten Anspruch oder nutzen nur einen geringen Anteil. Auffällig ist, dass die Mütter oftmals mit den Vätern zu Hause bleiben und diese trotz geteilter Elternzeit eine rein unterstützende Rolle neben der Mutter einnehmen. In diesem Fall geben Väter oftmals an, Aktivitäten mit den älteren Kindern zu bevorzugen, da sie dies als ihren Kompetenzbereich verstehen.
Die beiden Gruppen haben divergierende Vorstellungen über die ideale Sorgestrategie und können diese aufgrund der flexiblen Organisationsmöglichkeiten trotz der Väterquote nach ihren eigenen Auffassungen umsetzen. Die grundlegenden Werte der Norm sickern dennoch in alle Bevölkerungsschichten durch, und auch wenn die Sorgepraktiken nicht einheitlich sind, so kann von einem Wandel im allgemeinen Männlichkeitsverständnis und einer Inklusion von Sorgearbeit in das maskuline Selbstverständnis gesprochen werden. Der Prozess vollzieht sich lediglich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und unter dem Einsatz unterschiedlicher Strategien.
Fazit: Väterquoten als effektives Gleichstellungsinstrument
Norwegens Version einer Väterquote in ihrer spezifischen Ausgestaltung und nach Gleichstellungszielen ausgerichtete gesellschaftliche Rahmenbedingungen stellt eine überaus effektive Methode dar, möglichst schnelle und umfassende gleichstellungspolitische Ergebnisse zu erzielen. Ihr Effekt ist je nach Gesellschaftsschicht unterschiedlich, führt aber längerfristig zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel von Sorgenormen. Ihre flexible Ausgestaltung wirkt einerseits zwar attraktiv, schwächt aber andererseits die gleichstellende Wirkung der Norm ab. Die Berücksichtigung der beiden Kategorien Geschlecht und Klasse in den Gesetzgebungsprozessen und der Ausarbeitung gleichstellungspolitischer Reformen ist notwendig, um die Implikationen für weniger privilegierte Eltern berücksichtigen zu können. Dennoch kann das norwegische Modell eine Vorbildfunktion einnehmen, da die Unübertragbarkeit der Quoten zu einer deutlichen Veränderung in Geschlechterrollenbildern und männlicher Sorgepraxis geführt hat.