Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt zu zunehmenden Verwerfungen in der Weltwirtschaft: Im Globalen Süden ist eine Hungersnot zu befürchten. In Ländern wie Österreich wiederum bestehen nach wie vor große Abhängigkeiten von fossiler Energie. Die weltweiten Verflechtungen mit der ukrainischen und der russischen Wirtschaft treten jetzt deutlich hervor. Neben Öl und Gas ist Russland auch Produzent wichtiger Industriemetalle, was steigende Preise auf den Rohstoffmärkten bedeutet. Sorge bereitet zudem immer mehr, dass die aktuelle Situation dazu genutzt werden könnte, um soziale und ökologische Herausforderungen hintanzustellen.
Krieg in der Kornkammer Europas
Der brutale Angriffskrieg von Putins Armee gegen die Ukraine führt gleichzeitig zu negativen Effekten in Ländern, die Zehntausende Kilometer entfernt sind. Russland und die Ukraine zählen nämlich zu den global wichtigsten Produzentenländern von Mais, Weizen und Raps. Viele Länder, vor allem in Afrika, sind auf Exporte angewiesen. Auch das UN-Welternährungsprogramm wird zu 40 Prozent durch Weizen aus der Ukraine gestützt. Durch kurzfristige Lieferprobleme und die drohende Gefahr eines Ausfalls zukünftiger Ernten ist der Preis für Weizen in die Höhe geschnellt. Das stellt insbesondere für Menschen in Ländern, in denen ein großer Teil des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden muss, ein akutes Problem dar. So werden in Ägypten, das besonders stark von Lebensmittelimporten abhängig ist, schon Versorgungsengpässe befürchtet. Doch auch die Spekulation mit Lebensmitteln kann die bestehenden Probleme verschärfen. Während der Markt für agrarische Rohstoffe bis 2000 sehr stark reguliert war, bestimmen seit dem „Commodities Future Modernization Act“ Terminbörsen die Preise für Agrargüter. Auf diesen können reine Vermutungen von Knappheit die Preise weiterhin in die Höhe treiben – eine Dynamik, die Spekulant:innen nutzen können und die solche Situationen noch befeuert.
In Österreich wirken sich die globalen Verwerfungen vor allem durch gestiegene Preise aus. Engpässe gibt es nur bei einzelnen Produkten. Als ein Beispiel sah man, dass kurz vor Ostern Eier knapp wurden, da die Hühnerhaltung durch gestiegene Getreidepreise teurer wird. Vor gravierenden Versorgungsproblemen im Lebensmittelbereich müssen wir uns aber nicht fürchten. Denn Österreich baut mehr als 85 Prozent des eigenen Weizenbedarfs selbst an.
Höchste Zeit für eine Rohstoffwende
Doch nicht nur die Preise für Weizen sind infolge des russischen Angriffskriegs stark gestiegen. Öl und Gas erleben Rekordpreise, was sich an den Tankstellen und bei den Gasrechnungen bemerkbar macht. Auch die Preise für metallische Rohstoffe sind in die Höhe geschossen. So ist der Preis für Nickel kurzfristig so stark angestiegen, dass der Handel damit an der London Metal Exchange für einige Tage ausgesetzt wurde. Auch die Preise für Palladium, Aluminium und Eisenerz sind explodiert.
Das Chaos auf den Rohstoffmärkten spiegelt die Abhängigkeiten bei diesen Metallen wider. Palladium wird etwa für die Produktion von Halbleitern benötigt und kommt zu 37 Prozent aus Russland. Nickel hingegen ist ein wichtiger Produktionsfaktor für Batterien, die aktuell unter anderem durch die Zunahme der Elektromobilität stark nachgefragt werden. Auch Neon, das für die Produktion von Halbleitern benötigt wird, wird in Russland reichlich gefördert. Während die Sanktionen gegen Russland genau diesen Rohstoffsektor nicht treffen, zeigen die Preisschwankungen dennoch eindrucksvoll die Instabilitäten und Abhängigkeiten in diesen globalen Lieferketten.
Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und systematische Umweltzerstörungen zeigen auf, dass es genug Gründe gibt, Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten zu stärken und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Auch die aktuellen Abhängigkeiten unterstreichen die Notwendigkeit einer Rohstoffwende im Rahmen progressiver Industriepolitik und die Förderung einer Handelspolitik, die gesamtgesellschaftliche Interessen in den Vordergrund stellt. Hinsichtlich metallischer Rohstoffe würde dies bedeuten, die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten entlang der Lieferkette ernster zu nehmen, Recycling zu fördern und auch die Substitution von Primärrohstoffen auszubauen.
Der Stand bei Öl und Gas
Die Abhängigkeiten hinsichtlich Weizen, Mais oder auch Metallen sind nicht zu unterschätzen. Doch in der Debatte dominiert nach wie vor die enorme Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Während Öl für Russland selbst der relevantere Exportfaktor ist, ist für Österreich für allem die Abhängigkeit von russischem Gas fatal. Nach wie vor umstritten ist die Frage, wie dramatisch ein Gasembargo für Österreich wäre. Fest steht, dass diese Folgen schwer abzuschätzen sind, Modellrechnungen sind hier oft ungeeignet, die möglichen Dominoeffekte abzuwägen. Klar ist auch, dass ein akutes Embargo ein ambitioniertes steuerndes Eingreifen des Staates verlangen würde, um die ökonomischen Folgewirkungen sozial auszugleichen und die negativen Folgen gerecht zu verteilen.
In der aktuellen Situation wird aber klar, dass ein Gasembargo auch von Russland ausgehen kann und dass hier vorbereitend gehandelt werden muss. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einem Policy Brief ausgearbeitet, wie man sich auf einen Gasengpass vorbereiten könnte. Die Expert:innen warnen, dass es im Falle eines akuten Embargos zu enormen Preissteigerungen kommen könnte, die dann zu sozialen Verwerfungen führen würden. Die Versorgungssicherheit frühzeitig sicherzustellen ist somit auch für die soziale Gerechtigkeit zentral.
Während noch offen ist, wie es mit den Öl- und Gaslieferungen weitergeht, sind die Umstände, die uns überhaupt erst in die missliche Lage gebracht haben, klarer zu bestimmen. Auch noch nach der russischen Annexion der Krim stieg in Österreich die Abhängigkeit von russischem Gas weiter an. Unter Rainer Seele, bis 2021 OMV-Chef, verstärkte die OMV ihr Engagement in Russland und stieg gleichzeitig aus politisch stabileren Ländern wie Norwegen aus. Während sich die Probleme dieser zweifelhaften Freundschaft gerade jetzt deutlich offenbaren, wurden die schon länger fragwürdigen wirtschaftlichen Beziehungen lange still toleriert.
Was bedeutet das für die Weltwirtschaft?
Es ist offensichtlich, dass der Krieg in der Ukraine viele der bestehenden Glaubenssätze in der Handelspolitik infrage stellt. Der Krieg hat nun bewirkt, dass auch die wirtschaftlichen Eliten erkannt haben, dass die aktuelle Ausgestaltung der Weltwirtschaft nicht zukunftsweisend ist. So hat etwa Larry Fink, der CEO des Hedgefonds BlackRock, davon gesprochen, dass die Globalisierung, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten kennen, zu Ende sei. Auch kritische Stimmen, die sich schon lange für eine andere Form der Globalisierung ausgesprochen haben, wie etwa der Politologe Ferdi De Ville, erkennen in der aktuellen Situation ein Momentum hin zu einer anderen Form der Globalisierung. Er argumentiert, dass in der aktuellen Situation klar werde, dass geopolitische Konflikte nicht ignoriert und schon gar nicht durch liberale Handelspolitik gelöst werden können. Die These, dass Handelsbeziehungen zu mehr Frieden führen würden, sieht er widerlegt. Ähnlich argumentiert auch der Historiker Adam Tooze. Spätestens durch die Sanktionierung der russischen Zentralbank würde auch der Westen „finanzielle Kriegsführung“ betreiben, schreibt er. Das könnte in Zukunft zu fallendem Vertrauen der wirtschaftlichen Eliten untereinander führen. Denn wenn von einem Tag auf den anderen die russische Zentralbank sanktioniert werden kann und das Vermögen russischer Eliten beschlagnahmt wird, könnten auch andere Länder erkennen, dass ökonomische Kooperation Nachrang hat, sobald geopolitische Konflikte im Raum stehen. Insofern wird befürchtet, dass die Hochphase globaler ökonomischer Kooperation vorbei sei und wir eine Phase stärkerer ökonomischer Autonomie zwischen feindseligen Blöcken betreten würden.
Progressive Alternativen stark machen
Während progressive Akteur:innen schon lange davor warnen, dass die aktuelle Form der Globalisierung nicht nachhaltig ist, scheint die Botschaft jetzt breiter anzukommen. Das ist zu befürworten. Denn schon lange führt die neoliberale Handelspolitik zu Lohn- und Sozialdumping, ökologischer Zerstörung und Ausbeutung entlang der Lieferketten. Insofern ist ein Umdenken in der Globalisierung längst überfällig. Gleichzeitig scheinen die Schlussfolgerungen, die viele liberale und konservative Ökonom:innen und Politiker:innen ziehen, andere zu sein als jene der Globalisierungskritiker:innen.
Vorsicht ist angebracht, wenn ein Rückbau globaler Kooperation vor dem Hintergrund von Sicherheitsinteressen und wechselseitigem Misstrauen argumentiert wird. Wenngleich Bestrebungen zu mehr Autonomie in der Produktion besonders hinsichtlich kritischer Güter zu befürworten sind, ist sicherheitspolitisch motivierte Deglobalisierung weder Garant für Frieden noch die Lösung für globale Herausforderungen. So argumentiert Ferdi de Ville, dass eine ökonomische Abkopplung militärische Konflikte sogar noch wahrscheinlicher machen könnte.
Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Situation auch genutzt wird, um die Bewältigung sozialer Herausforderungen hintanzustellen. So behauptete etwa der deutsche Ökonom Lars Feld, dass durch die Kosten für die Aufrüstung soziale Ziele der deutschen Regierung jetzt Nachrang hätten. Gleichzeitig werden geopolitische Konflikte genutzt, um neoliberale Handelsabkommen mit „freundlichen“ Partner:innen voranzutreiben, und von verschiedenen Seiten wird schon eine Neuauflage von TTIP gefordert. Auch hier ist achtzugeben, dass die Situation nicht genutzt wird, um soziale und ökologische Einwände in Handelsbeziehungen hintanzustellen. Denn in der Form, in der TTIP zuletzt verhandelt wurde, hatten Konzerninteressen erste Priorität.
In diesem Sinne muss die aktuelle Debatte rund um die Globalisierung genutzt werden, um unsere Visionen einer gerechten Weltwirtschaft stark zu machen. Es ist gut, dass Skepsis an der aktuellen Ausgestaltung der Globalisierung geäußert wird. Dabei dürfen aber ökologische und soziale Fragen keinen Nachrang haben. Schon die Corona-Pandemie zeigt, dass es ein Umdenken in der Handelspolitik braucht und die neoliberale Form der Globalisierung nicht zukunftstauglich ist. Großflächige Investitionen in erneuerbare Energien, eine nachhaltige Rohstoffstrategie und eine gerechte Gestaltung von Handelsabkommen wären Vorstöße, von denen alle profitieren.