Österreichs Regierung ist säumig und legt als letztes Land in der EU ihren Nationalen Energie- und Klimaplan vor. Der Plan soll zeigen, wie wir die Klimaziele erreichen und den Strukturwandel sozial gerecht umsetzen. Doch durch die Säumigkeit und das politische Hickhack fehlt Orientierung und Verlässlichkeit für wirtschaftliche Entscheidungen. Was können wir von anderen Ländern lernen?
Der grüne Strukturwandel und die Arbeitsmärkte Europas
Die Transformation der Wirtschaft in Richtung einer digitalen, grünen und kreislauffähigen Wirtschaft wird die Arbeitsmärkte verändern. Im Sog des Strukturwandels werden alte – fossile – Geschäftsbereiche verschwinden oder sich stark verändern. Gänzlich neue – nachhaltige – Geschäftsfelder werden entstehen. Diese Veränderung wird auch Beschäftigung selbst verändern. Es werden sich Tätigkeiten verändern, andere Qualifikationen, Fähigkeiten und Kompetenzen werden nachgefragt werden. Dabei muss die Veränderung keine Dystopie von Massenarbeitslosigkeit und Einkommensverlusten sein. Im Gegenteil: Der Strukturwandel kann sogar dazu beitragen, mehr und bessere Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Dies geschieht jedoch nicht von allein, sondern muss wirtschaftspolitisch im Sinne einer Just Transition, eines gerechten Übergangs zur digitalen und grünen Ökonomie, gestaltet werden.
NEKPs vor dem Hintergrund der arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Herausforderungen
Mit den Nationalen Energie- und Klimaplänen (NEKP) sollen die Mitgliedsstaaten zeigen, wie sie ihren Beitrag zu den europäischen Klimaziele leisten werden. Sie zeichnen damit die Entwicklungsrichtung und die Transformationspfade vor, entlang derer sich die Emissionen entwickeln sollen, und mit welchen Maßnahmen die Mitgliedsstaaten potenzielle Zielkonflikte adressieren werden. Zum Beispiel, wie die kostenintensive Umstellung des Energiesystems gelingt und gleichzeitig Energiearmut verhindert und bekämpft wird.
Damit wird klar, dass auch arbeitsmarkt- und bildungspolitische Aspekte in den NEKPs adressiert werden müssen. Schließlich führt der gewünschte Strukturwandel zu positiven wie negativen Effekten auf den Arbeitsmärkten. Eine vergleichende Gegenüberstellung der Maßnahmen und Initiativen anderer Mitgliedsstaaten lohnt sich, da vieles von den unterschiedlichen Ansätzen für die eigene Umsetzung gelernt werden kann. Natürlich müssen diese Maßnahmen immer vor dem spezifischen regionalen, kulturellen und institutionellen Kontext anderer Mitgliedsstaaten betrachtet werden und können nicht einfach als Blaupausen übertragen werden.
Schweden und ein lebensstandardsicherndes Qualifizierungsgeld im Strukturwandel
Der Strukturwandel wird zu einer Verschiebung der Nachfrage nach Qualifikationen und Kompetenzen führen. Schweden führte aus diesem Grund im Jahr 2022 den Public Outplacement Grant ein. Dabei werden die Einkommen der Arbeitnehmer:innen während ihrer Weiterbildung abgesichert. Im Fall Schwedens passiert das für die Dauer von bis zu einem Jahr und Arbeitnehmer:innen erhalten in dieser Zeit bis zu 80 Prozent ihres bisherigen Einkommens. Die Maßnahme zielt insbesondere auf jene Personen ab, deren Beschäftigung vom Strukturwandel negativ betroffen ist, und soll eine Weiterbildung in potenzielle Zukunftsfelder ermöglichen.
Portugal und Weiterbildungsmaßnahmen für die Energiewende und benachteiligte Gruppen
Im Zuge des Nationalen Energie- und Klimaplans implementierte Portugal das „Green Skills & Jobs Programme“. Das Programm zielt darauf ab, kurz- und mittelfristige Bildungsangebote im Bereich von Umwelt und Energie zu schaffen. Darunter fallen insbesondere Themen wie Kreislaufwirtschaft, Wasser- und Energieeffizienz, erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität. Adressat:innen der Weiterbildungsmaßnahmen sind Beschäftigte von Unternehmen, die direkt oder indirekt von gestiegenen Energiekosten betroffen sind, sowie registrierte Arbeitslose ab 18 Jahren. Im Sinne einer „Just Transition“ werden bevorzugt Personen für das Programm herangezogen, die in der fossilen Brennstoffindustrie arbeiten, unterbeschäftigt sind, im Sinne des Geschlechts im Berufsfeld unterrepräsentiert oder arbeitslos ohne Pflichtschulabschluss sind.
Luxemburgs Aufwertung dringend benötigter Lehrberufe in der öffentlichen Wahrnehmung
Der Bedarf an Arbeitskräften in der sozial-ökologischen Transformation betrifft nicht nur den höchstqualifizierten Bereich. Entgegen der oft vorherrschenden medialen Darstellung von „grünen Jobs“ mit akademischem Abschluss braucht es in der Umsetzung der Klimaneutralität alle Qualifikationsstufen. Luxemburg möchte deshalb die öffentliche Wahrnehmung genau auf diese Ebenen lenken. Im Rahmen der schulischen Berufsorientierung für Lehrberufe und unter Einbezug der Sozialpartner in der Gestaltung der Curricula möchte Luxemburg rasch auf sich verändernde Bedingungen im Strukturwandel reagieren.
Dieses Bestreben hat bereits zur Einführung neuer Diplome, z. B. „Smart Buildings and Energy“, „Smart Energy“, und neuer Zertifizierungen, z. B. „Kälteschein“ für die Montage und Wartung von Kälteanlagen, geführt. Begleitend startete Luxemburg eine nationale Initiative zur Aufwertung handwerklicher Berufe, welche für die Transformation besonders wichtig erscheinen. Die zuständigen Ministerien sollen gemeinsam mit den Sozialpartnern ein Programm entwickeln, das die strategische Bedeutung des Handwerks hervorhebt und Schüler:innen ermutigt, sich aktiv für eine handwerkliche Ausbildung in den Bereichen des Energie- und Klimawandels zu entscheiden.
Niederlande: MINT-Absolvent:innen, Information und politische Steuerung
Die Transformation wird in spezifischen Branchen und Technologiesektoren zu einem steigenden Fachkräftebedarf führen. Die Antwort der Niederlande ist der „Green and Digital Jobs Action Plan“, welcher den steigenden Fachkräftebedarf durch eine Reihe von Maßnahmen decken möchte. Kern des Plans sind vier Säulen:
- Erhöhung der Anzahl der Absolvent:innen einer MINT-Ausbildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik): Verbesserung der Wahrnehmung, Chancen und Perspektiven von MINT-Ausbildungen, u. a. durch gezielte Informations- und Kommunikationsmaßnahmen.
- Beibehaltung und Erhöhung der Zahl der Absolvent:innen des MINT-Arbeitsmarkts durch Förderung des Quereinstiegs in MINT-Berufe durch Informations-, gezielte Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme.
- (Prozess-)Innovation und Digitalisierung: Nicht ein Mangel an Innovation ist eine wesentliche Barriere in der Transformation, sondern die fehlende rasche gesellschaftliche Durchdringung der Geschäftsmodelle damit. Ziel ist u. a die Beschleunigung der Digitalisierung in Unternehmen.
- Koordinierung fragmentierter Initiativen: Fragmentierte Initiativen leiden unter einer Schwächung der Wirksamkeit; Evaluierung durch datengestützte Dashboards, z. B. Klimamonitor, Emanzipationsmonitor, Technologiepaktmonitor etc.
Die Gestaltung einer Just Transition als Such- und Lernprozess
Die große gesellschaftliche Herausforderung betrifft alle Länder gleich: Sie müssen ihren europäischen Weg in die Klimaneutralität und neue grüne und digitale Wirtschaftsstrukturen entwickeln, der jedoch länder- und regionsspezifisch unterschiedlich ausfallen kann. Trotz der großen Unterschiede in der konkreten Umsetzung von Maßnahmen zeigt der Vergleich der Nationalen Energie- und Klimapläne viele Gemeinsamkeiten auf.
Anhand der ausgewählten Beispiele aus Schweden, Portugal, Luxemburg und den Niederlanden zeigen sich die großen Herausforderungen des notwendigen raschen Strukturwandels für die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik: Soziale Sicherheit in Phasen des Umbruchs gewährleisten (Schweden), benachteiligte Gruppen aktiv in die Energiewende einbinden (Portugal), Anpassung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen sowie gesellschaftliche Aufwertung von klimarelevanten Berufen (Luxemburg) und eine Stärkung der Koordinierung zwischen unterschiedlichen Initiativen zur Erhöhung ihrer Wirksamkeit sowie gezielte Informations-, Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im MINT-Bereich (Niederlande).
Fazit
Die Maßnahmen der Nationalen Klima- und Energiepläne der einzelnen Mitgliedsstaaten sind nicht neu. Gerade in Österreich existieren viele solcher Programme und Initiativen in ähnlicher Form ebenfalls. Andere könnten in angepasster Form auch jederzeit eingeführt werden. Aus europäischer Sicht fehlt jedoch die kontextualisierte Zusammenschau der unterschiedlichen Maßnahmen. Daher sollte eine sogenannte Just Transition Observatory eingerichtet werden. Diese Beobachtungsstelle verfolgt das Ziel der Sammlung und kondensierten Darstellung der vielen nationalen Initiativen. Diese Institution wäre eine zentrale Anlaufstelle für Wissen und gegenseitiges Lernen.