Fallstricke beim betrieblichen Mobilitäts­management

08. Juli 2024

Zwei Drittel aller Wege in die Arbeit werden mit dem Auto zurückgelegt – und das meist allein! Durch intelligentes betriebliches Mobilitätsmanagement (= BMM) könnte ein großer Teil davon auf saubere und billigere Verkehrsmittel verlagert werden. Warum ist Mobilitätsmanagement trotzdem noch ein Nischenthema?

Vor wenigen Wochen ist das „Praxishandbuch: Nachhaltiges betriebliches Mobilitätsmanagement“ erschienen. Es beleuchtet alle relevanten Aspekte zum Thema und gibt zahlreiche Best-Practice-Beispiele. Die Autor:innen zeigen anschaulich, dass betriebliches Mobilitätsmanagement eine Win-win-Situation ist, sowohl für die Beschäftigten, die Firmen oder Verwaltungseinrichtungen als auch die Umwelt. Warum kommt trotzdem ein Großteil der Unternehmen nicht in die Gänge? Warum wird eher in Parkplätze investiert als in Jobtickets?

12 Gründe, warum betriebliches Mobilitätsmanagement nicht umgesetzt wird:

  1. Die Verhaltensbiologie lehrt uns: Jede Veränderung und Abkehr von alten bzw. liebgewonnenen Gewohnheiten ist anstrengend und ruft (zunächst einmal) Widerstand hervor.
  2. Daher fehlt der Geschäftsführung häufig der Mut, um einen Mobilitätsmanagement-Prozess zu starten. So zeigt die Erfahrung, dass altgediente Pkw-affine Kollegen meist wehrhafter und offensiver auftreten als junge Radfahrerinnen. Man sollte also mit kleinen Schritten beginnen, um das Thema grundsätzlich im allgemeinen Bewusstsein zu platzieren.
  3. Bei erfolgreichen Beispielen steht die Geschäftsführung voll hinter der Idee und übt oft sogar eine Vorbildfunktion aus („Die Chefin radelt in die Arbeit“). Wenn aber das Management selbst mit dem (Dienst-)Auto anrollt und der Belegschaft ausrichtet, sie möge doch bitte auf ökologischere Verkehrsmittel umsteigen, so wird das eher nicht funktionieren.
  4. Es bedarf eines „Kümmerers“, also einer Person, die das Thema Mobilitätsmanagement im Unternehmen konsequent und mit Herzblut vorantreibt. Dafür müssen dieser Person aber auch zeitliche Ressourcen zugestanden werden. Weiters sollte dieser Mensch einen direkten Draht zur Geschäftsführung als auch zum Betriebsrat haben. Dies stellt aber oftmals bestehende Hierarchieebenen infrage.
  5. Mobilitätsmanagement ist nicht „von der Stange zu kaufen“. Jedes Unternehmen ist einmalig und benötigt einen maßgeschneiderten Maßnahmenmix. Dafür bedarf es viel Hirnschmalz, Zeit und Energie! Aber, jetzt kommt die gute Nachricht: Es gibt in Österreich eine Menge an Betrieben, die schon erfolgreich BMM umsetzen und von denen abgeschaut werden darf.
  6. Ein weiterer Hinderungsgrund kann der Standort sein. Eine gute Standortwahl ist die beste Mobilitätsmaßnahme! Bei manchen Betrieben fehlt es (leider) wirklich an guten Alternativen – vor allem im ländlichen Bereich. Es wird nicht gelingen, die Personen aus dem Auto zu bekommen, wenn sie dann mit den Öffis länger unterwegs sind und eventuell auch noch öfters umsteigen müssen.
  7. Betriebliches Mobilitätsmanagement ist umso erfolgreicher, je vielfältiger und diverser das damit befasste Team ist. Einerseits müssen mehrere Abteilungen (z. B. Personalbüro, Buchhaltung, Kommunikation, Betriebsrat) eingebunden sein, andererseits sollten Personen mit unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse (Eltern mit Betreuungspflichten, bewegungseingeschränkte Personen, Kolleg:innen im Schichtdienst usw.) repräsentiert sein. Diese Zusammenarbeit benötigt viel Zeit, die von den Unternehmen auch zur Verfügung gestellt werden muss.
  8. Dies zeigt: BMM ist keine einmalige Maßnahme, sondern ein andauernder Prozess. Das verlangt nach mehrjähriger Verpflichtung, Geduld und einem langen Atem, da manche „Erfolge“ sich erst zu einem späteren Zeitpunkt einstellen.
  9. Knackpunkt der Verkehrsmittelwahl ist das Vorhandensein von kostenlosen bzw. billigen Parkplätzen am Betriebsstandort; ein hoch emotionales Thema! Vorzeigebeispiele für erfolgreiches Mobilitätsmanagement sind Unternehmen, bei denen es einen Mangel an Parkplätzen gibt (Boehringer Ingelheim, ORF-Zentrale). Beim ORF erfolgt beispielsweise die Vergabe von Parkplätzen nach objektiven Kriterien der Notwendigkeit. Firmen, die über ausreichend Parkplätze verfügen, sehen keine Veranlassung, diese zu „bewirtschaften“, also Geld über Vermietung zu verdienen. Das wäre aber aus zwei Gründen vorteilhaft: (1) Die Zahl jener, die ohne tatsächliche Dringlichkeit mit dem Auto in die Arbeit fahren, würde sinken. (2) Mit dem eingenommenen Geld könnten Maßnahmen des Mobilitätsmanagements finanziert werden.
  10. Das führt zum nächsten Punkt: Viele Maßnahmen kosten das Unternehmen Geld; sei es die Finanzierung von Jobtickets, Radabstellplätzen, Werksbussen oder Shuttlediensten zum nächsten Bahnhof. Es gibt aber auch Initiativen, die kostenneutral sind, wie ein Jobrad, die Anpassung der Arbeitszeiten an die Öffi-Fahrpläne oder die Organisation von Fahrgemeinschaften. Bei dieser Betrachtung dürfen auch nicht die Kosten für Parkplätze (Errichtungskosten, monatliche Mietkosten etc.) vergessen werden! Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass Beschäftigte, die regelmäßig in die Arbeit radeln, durchschnittlich 1,3 Tage pro Jahr weniger im Krankenstand sind.
  11. BMM sollte auch Dienstreisen umfassen. Bei diesen wird häufig dem Flugzeug gegenüber dem (Nacht-)Zug der Vorzug gegeben. Das hat mehrere Gründe: (1) Häufig ist das Flugzeug tatsächlich billiger. (2) Statusdenken darf auch nicht unterschätzt werden. (3) Die Regelung der Reisezeit ist oft nicht optimal. Hier wäre es wünschenswert, wenn die Fahrt im Nachtzug bis 22 Uhr und ab 6 Uhr Früh als bezahlte Reisezeit abgegolten würde. Dies wird beispielsweise von der AK Wien so gehandhabt.
  12. Abschließend ist noch die fehlende Planungssicherheit für Betriebe zu nennen: Solange die Politik betreffend Erreichung der Klimaziele immer wieder unterschiedliche Signale sendet und unterschiedliche Aussagen tätigt, wird es schwer sein, die Betriebe im großen Stil mitzunehmen.

Wie die Erfahrung zeigt, beschäftigen sich viele Unternehmen erst mit betrieblichem Mobilitätsmanagement, wenn der entsprechende Leidensdruck vorhanden ist. Sei es, weil es an Parkraum mangelt (Beispiel Boehringer Ingelheim und ORF) oder man beim Anwerben neuer Mitarbeiter:innen Probleme hat. Um BMM nicht dem Zufall zu überlassen, wäre ein gesetzlich vorgeschriebenes betriebliches Mobilitätsmanagement für Betriebe ab 50 Beschäftigten notwendig.

© A&W Blog


Herzlichen Dank an Angelika Rauch (tbw research) und Markus Schuster (Herry Consult) für ihre Kommentare und die tollen Praxisbeispiele.

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