Ein männlich dominiertes Feld wie der Sport lässt Frauen und Mädchen wenig Raum: medial, aber auch was Teilhabe, Infrastruktur und finanzielle Unterstützung betrifft. Umso mehr trifft das auf jene zu, die nicht der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“ angehören. Sportlerinnen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte, die Minderheiten angehören oder BPoC (Black and People of Colour) sind, sind im Sport mit Rassismus und Sexismus konfrontiert. Eine Konferenz von Arbeiterkammer Wien und „fairplay“ versuchte sich dem Thema anzunähern und zeigt Schwierigkeiten und Lösungsansätze auf.
Sport fördert Gesundheit und Teamgeist, ist aber Männersache
Der Sommer 2021 steht unter einem sportlichen Stern. Die Fußball-Europameisterschaft der Herren ist vor einer guten Woche zu Ende gegangen, die Olympischen Spiele in Tokio stehen in den Startlöchern. Von Tour der France und Tennisturnieren ganz zu schweigen. Ein guter Zeitpunkt also, um sich über die sportlichen Möglichkeiten von migrantischen Frauen und Mädchen zu unterhalten.
Sowohl im Spitzen- als auch im Breitensport sind Frauen und Sportlerinnen mit Migrationsgeschichte unterrepräsentiert. Sport ist ein ganz klar männlich dominiertes Feld. Die Daten einer Eurobarometer-Umfrage aus 2017 zeigen: Während 44 Prozent der Männer in Österreich angeben, oft oder immer wieder Sport zu betreiben, trifft das auf nur 32 Prozent der Frauen zu. Diese Zahlen deuten auf strukturelle Hindernisse, die auf der internationalen Konferenz „Ein Hindernislauf – Inklusion und Teilhabe migrantischer Frauen & Mädchen im Sport“ diskutiert wurden. Gemeinsam mit Vertreter:innen aus der Praxis wurde ein breites Spektrum von Arbeitsrechtsthemen bis zu Aspekten von Mehrfachdiskriminierung behandelt.
Bewegung hat viele kurzfristige und langfristige Vorteile. Sport stärkt etwa Herz, Kreislauf und Stoffwechsel und fördert das Immunsystem. Auch die psychische Gesundheit profitiert von Bewegung, sich auszupowern hilft beim Stressabbau und führt zu besserem Schlaf. Abgesehen davon ist Sport für viele eine wichtige Freizeitbeschäftigung, die einen Ausgleich zum Arbeitsalltag bietet.
Teamsport steht überdies für das Erleben von gemeinsamen Erfolgserlebnissen, er schweißt zusammen und fördert Gemeinschaft. Eine ganz besondere Rolle kommt ihm auch in der Integration zu. Sport funktioniert oft ohne Sprache und kann so den interkulturellen Dialog fördern. Gemeinsame Erfahrungen machen stark, geben Selbstvertrauen und bauen Vorurteile ab. Die Barrieren für Frauen und Mädchen sind also nicht nur ein Problem auf der individuellen Ebene, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Hindernisse im Sport: schlechte Absicherung, Sexismus und Rassismus
Die wenigen Daten zu Beschäftigung von Frauen und Männern im Sport zeigen starke Parallelen zur übrigen Arbeitswelt: Prekär beschäftigte Spitzensportlerinnen, ungleiche Förderungen, ein Gehalts- und Preisgelder-Gap, schlechtere Wettkampf- und Trainingsbedingungen für Frauen und ein erschwerter Zugang zum Einzel- und Breitensport. Auch hier gilt: Männer sind eher am Sportplatz anzutreffen, Frauen übernehmen Haushalt und Familienarbeit. Nur die wenigsten Spitzensportlerinnen sind in einem Angestelltenverhältnis. Ihre Karrieren können sie meist nur durch Unterstützung von Familienangehörigen machen. Eklatant sind die mangelnden Sicherheiten bei Verletzungen und Ausfällen (z. B. Schwangerschaft).
Frauen – insbesondere zugewanderte Frauen – sind auch in diesem Bereich häufiger von Sexismus, Diskriminierung und Rassismus betroffen. Das wird durch sexistische Kleidungsvorschriften für professionelle Sportlerinnen zusätzlich verschärft. Der Sport ist ein zentraler gesellschaftlicher Bereich, in dem hierarchische Zweigeschlechtlichkeit hergestellt und reproduziert wird. Sexistische Kleidungsvorschriften sowie eine auf das Äußere der Athletinnen fokussierte mediale Berichterstattung machen Sportlerinnen zu Objekten eines „männlichen Blicks“.
Ungerechtigkeiten und Übergriffe sind ganz besonders dort zu finden, wo Abhängigkeiten herrschen. In dieser Situation befinden sich viele Sportlerinnen. Dagegen öffentliche oder rechtliche Schritte zu setzen, braucht Mut und Kraft. Allzu oft steht die Autonomie der Sportverbände über den Rechten einzelner Sportler:innen: Als die Boxer:innen Deshire Kurtaj, Umar Dzambekov und Marcel Rumpler als Mitglieder des A-Kaders öffentlich das Verhalten von ihrem Nationaltrainer kritisiert hatten, wurden die Boxer:innen durch den Österreichischen Boxverband lebenslang gesperrt. Deshire Kurtajs langjähriges Ziel, als erste österreichische Boxerin bei Olympischen Spielen anzutreten, wurde damit zunichtegemacht.
Die in der Öffentlichkeit thematisierten sexuellen Übergriffe und fehlende Sanktionen für Belästiger verhindern oft schon den Einstieg von Mädchen in den Sport, weil Eltern aus Angst um ihre Töchter diese nicht in Sportvereine oder Sportverbände geben.
Kaum Sportlerinnen in Spitzenfunktionen oder in den Medien
Viele dieser Hindernisse sind struktureller Natur. So gibt es rund 60 Bundes-Sportfachverbände in Österreich und lediglich sechs der Präsident:innen sind Frauen, die Strukturen der Sportgremien und Dachorganisationen sind männlich dominiert. Zugewanderte Menschen gibt es in hohen Funktionen kaum. Es gibt in Österreich immer noch kein Bundessportgesetz, das Sportler:innen Absicherung bieten würde. Einen Kollektivvertrag gibt es nur für männliche Fußballer, aber nicht für Frauen.
In der Öffentlichkeit werden viele Sportlerinnen kaum wahrgenommen. Role-Models wie Helia Mirzaei, Liu Jia, Mirna Jukic, Vera Dumser und Sarah Joelle Gregorius haben wichtige Vorbildwirkung, sind aber viel zu selten. Der ORF berichtet zwar neuerdings öfter über die Frauen-Fußball-Nationalmannschaft, aber wohl deshalb, weil er die Rechte am Männerfußball nicht bekommen hat.
Von Freiheit und Kampfesmut: Stimmen von migrantischen Sportlerinnen
„Wenn ich Fußball spiele, fühle ich mich viel freier.“
Die mehrfach ausgezeichnete Helia Mirzaei kickt für ihr Leben gern und das seit ihrer Kindheit. In Afghanistan und später im Iran wurde ihr das aufgrund ihres „Frauseins“ verwehrt. 2015 flüchtete sie gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter nach Österreich und ergriff die Chance, bei „Kicken ohne Grenzen“ in einem rein weiblichen Team mit Fluchterfahrung zu spielen. Für Helia Mirzaei sind solche Initiativen besonders wichtig, um das Selbstbewusstsein sowie die Deutschkenntnisse zu stärken.
„Wenn du Erfolg hast, kann man dich nicht kleinreden.“
Die ehemalige Schwimmerin Mirna Jukić-Berger konnte vier Europameisterschaften für sich entscheiden und gewann eine Bronzemedaille bei den Olympischen Sommerspielen 2008. Der Krieg in Kroatien brachte sie nach Österreich, ihr Talent und ihre Erfolge erleichterten ihr die Integration.
Für viele Kinder aus migrierten Familien ist Sport für Mädchen nicht selbstverständlich. Gerade Mädchenschwimmen ist wichtig und in vielen Kulturen nicht üblich. Laut Mirna Jukić-Berger wären Mädchenschwimmkurse ohne männliche Zuseher ein wichtiger Aspekt.
„Männer verdienen relevant mehr als Frauen, obwohl sie die gleichen Leistungen erbringen.“
Liu Jia ist mit 15 Jahren nach Österreich gekommen und hier erfolgreiche Tischtennisspielerin mit einem Europameistertitel und der nun sechsten Teilnahme an Olympischen Spielen. Sie ist eine der wenigen weiblichen Weltspitzen in Österreich und kann von ihrer sportlichen Leistung gut leben. Trotzdem kritisiert Liu Jia die fehlende Transparenz bei Verdiensten im Sport und die ungleich höheren Sponsorenverträge für Männer.
In Asien kommen die Mädchen zum Sport, weil sie viele Vorbilder haben. Mit ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit möchte Liu Jia Kinder für Sport begeistern. Denn Sport motiviert, gleicht aus, macht glücklich und hält einen am Leben.
„Wenn die Alte das schafft, dann schaffe ich das auch.“
Nachdem ihrer Kinder groß wurden, beschloss Vera Dumser, Schiedsrichterin zu werden – eine der wenigen in Österreich. Zugewanderte Frauen schätzen und nutzen die Chance, Fußball spielen zu können. Dafür sind Frauenmannschaften notwendig, die es kaum gibt, so Vera Dumser.
Zugewanderte Frauen sind häufig rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt. Vera Dumser möchte den Frauen und Mädchen Mut machen und sie darin stärken, sich keine Form von männlicher und sexistischer Herabwürdigung gefallen zu lassen. Als sie etwa von einem Funktionär grob beleidigt wurde, ging sie mit Erfolg vor das Schiedsgericht.
„Wir haben alles aufs Spiel gesetzt, und es hat sich ausgezahlt.“
Sarah Joelle Gregorius ist neuseeländische Fußball-Nationalspielerin. Auch in Österreich konnte Frauenfußball durch die erfolgreiche EM-Teilnahme 2016 an Aufmerksamkeit gewinnen. Ihr großes Anliegen liegt in der gewerkschaftlichen Arbeit für Sportlerinnen. Fußballerinnen können Gewerkschaften in der Regel nicht beitreten, weil sie in den meisten Ländern im rechtlichen Sinn keine Arbeitnehmer:innen sind und damit auch nicht von sozialer Sicherung profitieren können.
Sarah Joelle Gregorius ist es in Neuseeland gelungen, eine Fußballerinnen-Gewerkschaft zu gründen. Für sie braucht es eine faire rechtliche Grundlage, damit Frauen die Möglichkeit haben, Berufsfußballerinnen zu werden und ihr Potenzial zum Erblühen zu bringen. Frauen, die mit Leidenschaft am Feld sind, müssen auch in die verschiedensten Strukturen und Vertretungen aufgenommen werden.
Frau zu sein ist schwer, Migrantin noch mehr! Was kann dagegen getan werden?
Wollen Frauen mit Migrationshintergrund sportlich aktiv werden, haben sie viele Hürden zu überwinden. Um Sport für Frauen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung zu öffnen und eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, ist ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich. Politik, Medien, Gesellschaft, Sportverbände und -vereine müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein und an allen Hebeln ansetzen. Mit Sport werden Mädchen und Frauen empowert. Bereits im jungen Alter werden Grundsteine für eine lebenslange Begeisterung für Sport und Bewegung gelegt.
- Dafür braucht es Räume! Neben dem Ausbau von niederschwelligen Sportmöglichkeiten im öffentlichen Raum (Volleyballplätze, Fitnesscenter im Freien, Kletterwände, Skatemöglichkeiten etc.) sollte eine Öffnung von Turnhallen und Schulsportplätzen, wenn diese leer stehen, im Vordergrund sein. Auch für junge Menschen, die nicht in eine Vereinsstruktur eingebettet sind, soll es Möglichkeiten und Organisationskonzepte geben, diese Bewegungsräume unbürokratisch zu nutzen.
- Machtmissbrauch, Mobbing, Diskriminierung, Rassismus und Sexismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und müssen schnell, vehement und deutlich bekämpft und sanktioniert werden. Vereine und Verbände müssen sich ihrer Fürsorgepflichten bewusst sein.
- Ein klare Haltung zu Gleichberechtigung sowie Aufklärung und Sensibilisierung von männlichen Kollegen in Sportverbänden, Sportvereinen und Sportvorständen sind essenziell.
- Es gilt ein Appell an die Medienwelt, über Missstände wie etwa prekäre Beschäftigung im Sport zu berichten, aber auch über die Erfolge von Sportlerinnen.
- Der Staat hat eine tragende Rolle. Deshalb sollten staatliche Förderungen an Kriterien für Gleichberechtigung (Schutzmaßnahmen, verpflichtende Frauenmannschaften usw.) gekoppelt werden.