Das aktuelle Wirtschaftssystem ist stetig bestrebt, eine Welt für den Markt zu schaffen. Dieser wird, wie es Naomi Klein einmal formuliert hat, nach den drei typischen Forderungen der freien Marktwirtschaft – Privatisierung, Deregulierung und tiefe Einschnitte bei den Sozialausgaben – ausgerichtet. Bei dieser neoliberalen Transformation geht es um eine begrifflich und historisch festmachbare Veränderung der politisch-ökonomischen Realität und somit auch der sozialen und gesellschaftlichen Lebenswelten. Dafür nutzt diese Ideologie die Macht der Sprache, um ihre Inhalte zu verbreiten und zu manifestieren.
Neoliberale Machtsprache
Es werden „Plastikwörter“ wie „Entwicklung“, „Wandel“, „Potenzial“ oder „Innovation“ verwendet, um das vorherrschende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu legitimieren. Die Wörter dieses globalen „Power Speak“ besitzen wenig oder einen äußerst dehnbaren Inhalt. Wörter und Begriffe bekommen eine nebulose Aura und sind Teil eines „Slangs der Abgeklärtheit“ der Businesssprache. Es handelt sich um die „Sprache der EntscheiderInnen“, also jener, die alles im Griff haben. Es sind die LenkerInnen, denen man einfach vertrauen muss, bei denen man mitmachen und sich anpassen muss und an die man nicht den Glauben und das Vertrauen verlieren darf. Diese verkürzte Globalsprache macht aus ihren SprecherInnen ExpertInnen, entlässt sie aber gleichzeitig aus der Verantwortung: Sie sprechen nur im Auftrag eines „Prozesses“ und der „Entwicklung“. Der Philosoph Georg Franck spricht von Kalkülsprachen, die nichts anderes symbolisieren als die Übertragung der vorherrschenden Industrialisierungslogik auf die Sprache.
Ähnlich verhält es sich auch mit neoliberalen Metaphern in ökonomischen Diskursen. Dahinter steht zwar weniger ein intendierter Prozess zur öffentlichen Meinungsbildung, ihre Analyse ist trotzdem von großer Bedeutung: Diese Sprachbilder prägen das menschliche Denken und offenbaren gleichzeitig die Denkmuster der Sprechenden. Es werden Metaphern wie „Schocks“, „Erdbeben“, „Brechen des Damms“ oder „Die Arterien der Wirtschaft sind verstopft“ eingesetzt. So erzeugt dieser globale Sprachcode laut Stephan Kaufmann eine offenbar simple Lösung, bei der die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der universelle Dietrich für alle Probleme zu sein scheint.
Industrie 4.0 als Power Speak
Es besteht zunehmend der Verdacht, dass hinter Industrie 4.0 eben genau so ein Power Speak steht, bei dem eine neoliberale Story der Alternativlosigkeit erzählt wird: Wer nicht mitmacht beim „ökonomisch irrationalen Hyper-Aktivismus“ habe demnach schon verloren. Es wird ein Zustand der Unsicherheit und Angst kommuniziert: Die ArbeitnehmerInnen wären mit fortschreitender Technologisierung plötzlich nutzlos und stünden kurz vor einer großen Entlassungswelle.
Dies ist meist – gerade in Österreich – an ein „Standort-Bashing“ gekoppelt: Nach dem Präsentieren fragwürdiger Rankings werden radikale Veränderungen gefordert. Dabei geht es letzten Endes um die Durchsetzung kapitalgetriebener Interessen, die immer mit der Zurückdrängung arbeits- und sozialpolitischer Errungenschaften einhergehen. Denn hinter der fast schon religiösen Preisung von Industrie 4.0 in Managementkreisen stehen mächtige Konzerne, die ihre Technologie-Erfahrungen verkaufen wollen, und zwar flächendeckend. Bei diesem Schlecht-Reden des (Industrie-)Standorts wird immer unterschlagen, dass der Staat eine zentrale Rolle bei der Innovationsentwicklung gespielt hat. So widerlegt etwa Marianna Mazzucato den Mythos vom schwerfälligen, bürokratischen Staat im Gegensatz zum dynamischen, erfindungsreichen Privatsektor.
Den Nebel lichten
Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen geht aber nicht nur um die Gefahr steigender Arbeitslosigkeit, sondern auch um Entfremdung, Überarbeitung, Intensivierung der Arbeit, prekäre Beschäftigung, unscharfe Trennung von beruflichen und privaten Lebenswelten sowie Überwachung und Datenschutz. Da bringen die neuen technologischen Möglichkeiten sicher eine Verdichtung der Probleme.
Es gilt aber – und das ist nicht immer einfach –, den Hype um Industrie 4.0 nüchtern und differenziert zu betrachten: Nämlich als einen ernst zu nehmenden Evolutionsprozess, der eine Reihe struktureller und herausfordernder Veränderungen mit sich bringen wird. Doch: Dieser Prozess ist steuerbar und stellt keine plötzlich über uns hereinbrechende Revolution dar, der wir hilflos ausgeliefert sind.
Denn ist erst einmal der neoliberale Sprachnebel des Sachzwangs gelichtet, so zeigt sich: Die Arbeitskraft wird auf jeden Fall ein bestimmender Produktionsfaktor bleiben. Gerade in Zeiten des Umbruchs muss daher die Aufnahme von Verteilungskämpfen im Vordergrund stehen: Es geht um angemessene Löhne, eine faire Verteilung der Arbeitszeit (Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich), eine angemessene Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an den durch die neuen Technologien erzielten Produktivitätsgewinnen sowie um die Anpassung der arbeits- und sozialrechtlichen Errungenschaften an neue Rahmenbedingungen. Der Dreh- und Angelpunkt dafür ist die Sicherung und der Ausbau von Mitbestimmung, um einen Einfluss auf betriebliche Entwicklungen zu ermöglichen.
Dieser Beitrag ist ein teilweiser Auszug aus: Hinterseer, Tobias (2016). Industrie 4.0 – Industrie 4.0: Revolution oder Evolution? WISO 1/2016, 157-161