„Grünes Gas“ – Die Ökologisierung von fossilem Erdgas?

12. September 2019

Der Einsatz von Energie, um das moderne Leben aufrechtzuerhalten, war stets im Zentrum der Politik aller Länder. Während jedoch in den vergangenen Jahren der Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich im Fokus stand und noch steht, wird die Diskussion zunehmend um die Bereiche Wärme (Prozess- und Raumwärme) und Verkehr erweitert. Gleichzeitig bietet grünes Gas eine Möglichkeit, den erneuerbaren Überschussstrom zu speichern und so die Versorgungslücke im Winter zu schließen. Doch was verbirgt sich hinter dem Marketingschlagworten „Greening the Gas“?

Elektrischer Strom macht in Österreich nur rund 20 % des Energetischen Endverbrauchs aus (Energiedaten Österreich 2016 – Statistik Austria). Zur Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele ist es daher notwendig, alle Bereiche, insbesondere den Wärme- sowie den Verkehrsbereich, miteinzubeziehen.

Dabei soll grünes Gas eine zentrale Rolle spielen, um Erdgaskunden eine nachhaltige Alternative zu bieten, um elektrische Energie zu speichern und um die bestehende Gas-Infrastruktur zu erhalten.

Um Erdgas durch grünes Gas zu ersetzen, stellen sich wesentliche Fragen wie:

  • Verfügbarkeit der Rohstoffe zur Gaserzeugung (z. B.: landwirtschaftliche Reststoffe)
  • Rohstoffkonkurrenz und -logistik
  • technologische Verfügbarkeit und Skalierbarkeit der Produktionsstätten
  • Wirtschaftlichkeit und Finanzierung
  • Kostentragung nach Verbrauchersektoren

Im folgenden Artikel werden die gestellten Fragen genauer betrachtet, um die Herausforderung zu verdeutlichen, welche ein Systemwechsel von fossilem zu erneuerbarem Gas (grünes Gas) mit sich bringt.

Energiepolitische Dimension

Die Versorgung mit Erdgas ist sowohl für die Wärme- und Stromversorgung privater Haushalte und des Gewerbes als auch für den industriellen Prozess zentral. Mit der laufenden Verringerung des Einsatzes von Kohle und Öl in der Energieerzeugung, aber auch in der Sachgüterproduktion, kam Erdgas bislang als „geringstes CO2-Übel“ eine zentrale Rolle zu. Pipeline-Projekte wie Nord Stream II verdeutlichen die Uneinigkeit der EU, ob man besser russisches Gas (per Pipeline) oder amerikanisches LNG-Frackinggas (per Schiff) importiert. Hier stellt „grünes Gas“ eine Alternative dar, welche jedoch mengenmäßig nur einen sehr geringen Anteil des Gesamterdgasverbrauchs wird decken können. Die, im Fall von Österreich, am häufigsten zitierte Potenzialstudie des Energieinstituts Linz im Auftrag des Fachverbandes für Gas und Wärme (Forum Gas Wasser 4/2017) stellt ein Potenzial für 2030 von ca. 14 TWh fest. Dem gegenüber steht ein jährlicher Gesamtgasverbrauch von ca. 90 TWh (Statistik Austria – Gasbilanz 2017). Grünes Gas wird künftig also nur einen Teil der aktuellen Erdgasnachfrage abdecken können. Dementsprechend gilt es zu klären, wo dieses Gas prioritär eingesetzt werden soll. Dabei spielt nicht nur die Frage nach dem effizienten Einsatz eine Rolle, sondern auch mögliche Alternativen.

Das Gasnetz – ein effizienter Energiespeicher

Gas, unabhängig aus welcher Quelle, bietet in vielerlei Hinsicht Vorteile. Von der Fernleitung aus den Importländern bis hin zum regionalen Verteilnetz besteht eine sehr gut ausgebaute Gasnetzinfrastruktur.

Besonders in mitteldicht verbauten Gebieten (Stadtränder und suburbaner Raum), wo weder Biomasse (aufgrund von Feinstaub) noch stromgeführte Wärmepumpen (aufgrund von Themen wie Lärmemissionen, Flächenbedarf, Grundwasser,…) noch die Fernwärme alleine die Wärmeversorgung sicherstellen können, spielt Gas eine zentrale Rolle. Es stellt eine relativ saubere (wenn auch fossile) Möglichkeit der Energieversorgung dar.

Dennoch ist klar: Zur Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele ist auch im Wärmebereich eine Abkehr von fossilen Energieträgern notwendig.

Eine Einspeisung von grünem Gas in das Netz ermöglicht eine schrittweise Erhöhung des erneuerbaren Energieanteils in jenen Gebieten. Zudem kann die bestehende Infrastruktur (z. B.: Gasthermen) mit grünem Gas erhalten und weiter verwendet werden.

Ein nicht unwesentlicher Zusatznutzen bietet das Gasnetz als Energiespeicher. Denn mit noch mehr Wind- und Sonnenenergie im System werden die Stromüberschüsse im Sommer weiter zunehmen, während es im Winter an Energie fehlt. Batteriespeicher, aber auch Pumpspeicherkraftwerke haben nicht die Kapazität für saisonale Speicherung und werden zugleich als kurz- und mittelfristige Speicher gebraucht. Die Stromüberschüsse könnten zur Erzeugung von synthetischem Gas verwendet werden, das Gas kann im bestehenden Gasnetz verwendet oder in Speichern gelagert werden und helfen, den Energiebedarf im Winter abzudecken.

Was ist grünes Gas und wie kann es hergestellt werden?

Erdgas besteht im Wesentlichen aus Methan (CH4), welches aus fossilen Quellen (Gasfelder) gewonnen wird. Der Anteil an Methan im Erdgas beträgt meist >90 %, abhängig von der Herkunft.

Grünes Gas ist ein Synonym für ein Gas mit vergleichbar hohem Methangehalt, welches auf Basis von erneuerbaren Energieträgern hergestellt wird. Die Herstellung von grünem Gas kann auf mehreren Wegen erfolgen und dabei auch auf unterschiedliche Ausgangsstoffe setzen.

  • Methan (CH4) aus Biogas

Ausgehend von landwirtschaftlichen Reststoffen wird Biogas (Anlagen der 2. Generation) hergestellt, welches üblicherweise einen CH4-Gehalt von ca. 60 % aufweist. Durch entsprechende Aufreinigung (CO2-Abscheidung, Entwässerung) wird der Anteil auf Erdgasniveau gehoben, um den Anforderungen des Erdgasnetzes zu genügen. Anschließend kann das Gas, je nach Netzebene (Druckniveau), in das allgemeine Erdgasnetz eingespeist werden.

  • Wasserstoff im Erdgassystem

Über den Weg der Elektrolyse (Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff [H2] + Sauerstoff [O2] mit Strom) kann Wasserstoff erzeugt werden, welcher als Ausgangsstoff für vielseitige weitere Verwendungswege zur Verfügung steht. Wasserstoff kann auch zu einem geringen Anteil direkt in das Erdgasnetz eingespeist werden (ca. 10–45 %) und steht somit Wärmekunden (Prozesswärme und Niedertemperaturwärme) zur Verfügung.

In vielen Industriebetrieben ist Wasserstoff ein wichtiger Rohstoff, welcher noch hauptsächlich aus Erdgas erzeugt wird (Dampfreformierung).

Im Verkehrsbereich wird Wasserstoff eine große Zukunft vorhergesagt als Alternative zu Akkumulatoren (geringe relative Energiedichte bezogen auf das Gewicht).

Der Weg über die Elektrolyse wurde bislang aufgrund des massiven Einsatzes von Strom (Wirtschaftlichkeit) nicht beschritten. Durch die günstige Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen (Wind und PV) und einem zeitweisen massiven Überangebot an Strom rückt die Elektrolyse wieder in den Fokus der Energiewirtschaft und auch der Industrie (H2-Pilotanlage, VOEST Linz).

  • Methan aus Wasserstoff

In einem weiteren Prozessschritt kann Wasserstoff durch Methanisierung in Methan (CH4) gewandelt werden. Ein großer Vorteil dabei ist die wesentlich einfachere Handhabung (Lagerung und Logistik) von Methan im Vergleich zu Wasserstoff, wenngleich jeder Prozessschritt mit Verlusten verbunden ist und somit die Gesamteffizienz der Herstellung sinkt. Dies spielt jedoch eine zunehmend untergeordnete Rolle, wenn ohnehin zeitweise ein Überangebot an erneuerbarem Strom vorhanden ist.

Insgesamt besteht jedoch noch Forschungsbedarf, was die Effizienz und Skalierbarkeit der einzelnen Technologien betrifft.

Greening the gas – Chancen, Risiken und Herausforderungen

Der Fachverband Gas-Wärme geht davon aus, dass immer weniger Menschen mit Erdgas heizen und der Bedarf sinkt. Die Kosten für das Gasnetz bleiben gleichzeitig bestehen. Niedrigere Abgabemengen und gleichbleibende Infrastrukturkosten führen dazu, dass die Netzkosten je kWh bzw. je Haushalt steigen werden. Deshalb, so die Idee, sollten wir rasch beginnen, die Produktion von „grünem Gas“ zu subventionieren. Die VerbraucherInnen würden so zwar mit den Kosten des Fördersystems belastet, mittelfristig wäre die individuelle Belastung jedoch kaum höher, weil die Netzkosten bezahlbar blieben.

Geht diese Idee auf, hätte das den Vorteil, dass

  • die bestehende Gasnetzinfrastruktur weiter genützt werden kann,
  • die vergleichsweise günstigen Gasthermen nicht durch andere Technologien ersetzt werden müssen,
  • wir mehr erneuerbare Energie in den Wärmebereich bringen und so auch die EU-Vorgaben erfüllen können,
  • auch im städtischen Bereich mehr erneuerbare Energie zur Wärmeversorgung eingesetzt werden kann (kein Feinstaubproblem wie bei Biomasse),
  • künftig auch im Fernwärmebereich „grünes Gas“ zum Einsatz kommen könnte.

 

Die Strategie ist aber auch mit einer Reihe von Risiken verbunden:

  • Sie unterstellt einen massiven technologischen Fortschritt. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass die Kosten zur Herstellung von grünem Gas sukzessive sinken. Passiert dies nicht, befinden wir uns in einer technologischen Sackgasse mit entsprechenden „sunk costs“.
  • Gleichzeitig wird unterstellt, dass ausreichend erneuerbare Ressourcen für die Produktion von „grünem Gas“ vorhanden sind. Das ist wahrscheinlich, allerdings können Rohstoffkonflikte (z. B. mit anderen Industrien) nicht ausgeschlossen werden. Dies kann dazu führen, dass Nahrungsmittel zur Produktion von grünem Gas eingesetzt werden und /oder steigende Rohstoffpreise die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Industriezweige gefährden.
  • Die InteressensvertreterInnen der Unternehmen wollen, dass die Förderung nur von den NutzerInnen auf Netzebene 3 getragen wird. Das bedeutet: Private Haushalte und kleine bis mittlere Gewerbebetriebe müssten die Kosten alleine tragen. Argumentiert wird dabei damit, dass die Industrie ohnehin dem Emissionshandelssystem unterliegt.
  • Grünes Gas wird zu stark nur für Wärme eingesetzt. Dabei kann insbesondere Wasserstoff im industriellen Prozess deutlich effizienter eingesetzt werden und wird auch im Schwerverkehr benötigt. Gleichzeitig besteht auch im Strombereich Bedarf nach grünem Gas. Denn Gaskraftwerke werden auch in Zukunft benötigt, um die volatile Einspeisung der Erneuerbaren auszugleichen und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Gaskraftwerke versorgen aber auch Haushalte, Gewerbe und Industrie mit Fernwärme.
  • Ist die Menge an grünem Gas zu gering, so könnte es also passieren, dass das Gas für kleine Gasthermen eingesetzt wird, die Mengen aber nicht für Fernwärme ausreichen.

Schlussfolgerungen und Einschätzung

Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Gesamtkosten, aber auch die Förderkosten nicht abschätzen. Eine Einschätzung über das Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie die Realisierungswahrscheinlichkeit ist daher kaum möglich.

Die Finanzierung der Produktion und Weiterentwicklung von grünem Gas soll – nach Vorstellungen der Gasnetzbetreiber – durch einen Grüngasförderbeitrag erfolgen (äquivalent zum Ökostromförderbeitrag). Die Kosten dafür sollten demnach ausschließlich von den Kundinnen und Kunden auf Netzebene 3 (vorwiegend Haushaltskundinnen und -kunden) getragen werden. Das Argument dazu lautet, dass die Dekarbonisierung des Raumwärmebereiches Priorität hätte und man Erdgaskunden eine Alternative zu fossilem Gas bieten möchte. Zudem sei die Industrie (höhere Netzebene) bereits in das Emissionhandelssystem eingebunden. Beide Argumente sind nicht stichhaltig.

Grünes Gas steht prinzipiell jedem zur Verfügung und kann somit auch von Industriekunden genutzt werden, um ihren CO2-Ausstoß und damit den Bedarf an CO2-Zertifikaten zu verringern. Weiters erfolgt durch eine Einbindung aller Ebenen auch eine Dekarbonisierung der städtischen Fernwärmen, welche u. a. auch auf Gas setzen und der Netzebene 2 angehören.

Die Finanzierung sollte daher jedenfalls verursachergerecht durch die Gaskunden aller Ebenen und eventuell auch durch die Gas-Erzeuger erfolgen. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil die Systemkosten für die gewerblichen/industriellen Verbraucher auf den höheren Netzebenen massiv steigen würden, wenn die privaten Haushalte immer weniger Gas nachfragen bzw. aus dem System aussteigen. Bevor man diesen Schritt gehen kann, gilt es aber ohnehin zu klären, welche Mengen an künstlichem Methan (aus Biogas) und Wasserstoff realistisch und in welchem Bereich diese am effizientesten eingesetzt werden können bzw. wo dieses grünen Gas am dringendsten benötigt wird. Diese grundsätzlichen Entscheidungen sind zu treffen, bevor ein Fördersystem eingerichtet wird, dass nur dazu dient, der Erdgasbranche die Angst vor der Zukunft zu nehmen.