Soziale Arbeit stärkt soziale Teilhabe und erhöht die soziale Sicherheit. Sozialpädagog:innen und Sozialarbeiter:innen tragen dazu bei, Ungleichheit und Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft entgegenzutreten. Trotz ihres besonderen Auftrags gibt es für die Berufsangehörigen keine berufsrechtlichen Regelungen. Die Verabschiedung eines Berufsgesetzes ist überfällig. Es ist weit mehr als ein berufspolitisches Projekt – es ist essenziell für den Sozialstaat und im Interesse der gesamten Bevölkerung.
Ein Berufsrecht erhöht die Qualität
Woran denken Menschen, wenn sie den Begriff „Soziale Arbeit“ hören? Bei vielen, die sich nicht mit Sozialer Arbeit befassen, wird es eine eher diffuse Vorstellung geben, die vielleicht etwas mit „helfen“ und „armen Menschen“ zu tun hat. Leider ist auch der Wissensstand politischer Entscheidungsträger:innen in Österreich vielfach nicht stärker ausgeprägt als jener der Gesamtbevölkerung. Das hat negative Auswirkungen auf die Anerkennung des Berufs und der Leistungen der Berufsangehörigen. Es hat vor allem auch Auswirkungen auf die Qualität der sozialen Dienstleistungen und damit auf jene Menschen, die Unterstützung durch Soziale Arbeit benötigen. Ohne ein Berufsrecht für Soziale Arbeit ist nicht sichergestellt, dass die Unterstützung, die Menschen derzeit in komplexen sozialen Problemlagen erhalten, auch wirklich hilfreich ist. Denn Jede:r darf sich derzeit als „Sozialarbeiter:in“ bezeichnen und – unabhängig von der tatsächlichen Kompetenz – Unterstützung anbieten. Ob diese entsprechend fachlicher Standards erfolgt bzw. die entsprechenden Sachkenntnisse vorliegen, kann nicht überprüft werden. Aufgrund des Fehlens einer Beschwerdestelle bei vermuteter Fehlintervention gibt es keine Statistik über Schadensfälle aufgrund unsachgemäß umgesetzter Sozialer Arbeit – einzig Berichte der Volksanwaltschaft bzw. der Kinder- und Jugend- sowie der Patientenanwaltschaft geben Hinweise darauf, dass Mängel existieren und Rechte der Betroffenen nicht immer gewahrt werden. Auch ohne detaillierte Analyse bekannter Einzelfälle wird deutlich: Jede Fehlintervention ist eine zu viel und sie ist immer mit vermeidbaren persönlichen und gesellschaftlichen Folgekosten verbunden.
Soziale Arbeit ist einzigartig – und fast überall auf der Welt gesetzlich anerkannt
Will man etwas zur Sozialen Arbeit sagen, ist eine Beschreibung des Berufs und dessen Rolle unumgänglich. Soziale Arbeit umfasst die Ausprägungsformen Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Die zentralen Funktionen Sozialer Arbeit sind die lebensweltliche Unterstützung von Menschen in komplexen oder herausfordernden Lebenslagen. Ziel der Arbeit ist die Förderung und Sicherung von selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe, Inklusion, Übernahme sozialer Verantwortung sowie die Durchsetzung sozialer Rechte. Dazu gestaltet und fördert Soziale Arbeit Prozesse der sozialen Unterstützung, der Hilfe, der Bildung, des sozialen Lernens, der Sorge, der persönlichen Entwicklung und der Stärkung sozialer Beziehungen. Und sie bringt sich auf der systemischen Ebene in die Gestaltung von gesellschaftlichen Bedingungen im Zusammenhang mit sozialen Problemlagen ein.
Damit unterscheidet sich die Soziale Arbeit von anderen Berufen, die zwar das Wort „sozial“ in der Bezeichnung führen, aber andere Schwerpunkte abdecken. Das ist etwa bei den Sozialbetreuungsberufen der Fall. Diese sind eine Kombination aus einem Betreuungs- und einem Pflegeberuf und unterstützen vor allem Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderungen bei der Bewältigung und Gestaltung ihres Alltags. Die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und der Sozialbetreuungsberufe sind unterschiedlich und sollten nicht miteinander verwechselt werden.
Soziale Arbeit ist eine Form professioneller Unterstützung, die weltweit Anerkennung genießt. Über die International Federation of Social Workers (IFSW) sowie die International Association of Schools of Social Work (IASSW AIETS) sind sowohl Praktiker:innen als auch Forschende und Lehrende weltweit vernetzt. Die beiden Vereinigungen haben mit der Global Definition of Social Work, den Global Standards for Social Work Education and Training sowie dem Dokument Ethics in Social Work, Statement of Principles wegweisende Dokumente verabschiedet. Auch die International Labor Organisation (ILO) hat den Beruf Social Worker definiert und in die International Standard Classification of Occupations (ISCO) aufgenommen. Die genannten Dokumente sind das Ergebnis einer über 100 Jahre dauernden Professionsgeschichte der Sozialen Arbeit. In fast allen Staaten der Welt ist Soziale Arbeit als eigenständige Profession anerkannt über Berufsgesetze geregelt und damit verankert. Nach Auskunft des IFSW sind Österreich und Bulgarien die beiden einzigen Staaten in Europa, die keinerlei entsprechende gesetzliche Regelungen verabschiedet haben. Auch im angloamerikanischen Raum sind entsprechende Gesetze sowie ein Nachweis der Berufsbefähigung üblich.
In Österreich ticken die Uhren anders
Die fehlende Regelung in Österreich steht in Kontrast zur über 100-jährigen Entwicklung des Berufs. 1912 wurde die erste Ausbildungseinrichtung eröffnet. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten erfolgte die Akademisierung aber nicht im Zug der Bildungsreformen der 1960er Jahre, sondern erst nach der Jahrtausendwende. Obwohl dieser Schritt im Vergleich sehr spät erfolgte, war er zweifellos ein unverzichtbarer Beitrag zur Professionalisierung und Disziplinentwicklung. Allerdings wurde die Akademisierung nicht durch die Schaffung eines Berufsgesetzes begleitet. Durch dieses Versäumnis verloren Absolvent:innen der neu geschaffenen (Fach)hochschulstudiengänge die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung „Diplomsozialarbeiterin bzw. Diplomsozialarbeiter“, die im Schulorganisationsgesetz geregelt war. Ebenso gehörte damit ein österreichweit einheitlicher Lehrplan, wie er im Schulunterrichtsgesetz verankert war, der Vergangenheit an.
Der Österreichische Berufsverband der Sozialen Arbeit (obds) sowie Vertreter:innen von Ausbildungseinrichtungen, anderen Professionen sowie der Gewerkschaften und Arbeiterkammern versuchten ab dem Jahr 1997 Politik und Verwaltung von der Notwendigkeit eines Berufsgesetzes zu überzeugen. Doch trotz verschiedener Lippenbekenntnisse von Bund und Ländern folgte erst im Jahr 2020 eine erste politische Umsetzungsabsicht durch das Vorhaben eines Berufsgesetzes für die Soziale Arbeit im Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung.
Ein erster Schritt: ein Bezeichnungsschutz
Im Regierungsprogramm für die Periode von 2020–2024 bekennt sich die Bundesregierung dazu, in Zusammenarbeit mit den Ländern ein bundeseinheitliches Berufsgesetz zu schaffen. Daraus ist mittlerweile die Zusage geworden, einen Bezeichnungsschutz als erste Etappe auf dem Weg zu einem bundeseinheitlichen Berufsgesetz vorzusehen – und damit einen Teil der bis zur Jahrtausendwende geltenden gesetzlichen Grundlage wieder in Kraft zu setzen. Ein entsprechendes Bezeichnungsgesetz wurde vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung vorbereitet. Dieses einfache Gesetz könnte im Gegensatz zu einem umfassenden Berufsgesetz für Soziale Arbeit bereits im Herbst 2023 zur Abstimmung gebracht werden. Da ein umfassendes Berufsgesetz aufgrund der geteilten Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im föderalen Österreich eine Anpassung der verfassungsrechtlichen Regelungen verlangt, ist mit einer längeren Vorlaufzeit zu rechnen. Umso wesentlicher ist es auch, diese Herausforderung rasch in Angriff zu nehmen.
Sowohl der obds, die Österreichische Fachgesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa) als auch Ausbildungseinrichtungen für Sozialpädagogik und Sozialarbeit befürworten die Einführung des Bezeichnungsschutzes als ersten Schritt zur Sichtbarmachung und Anerkennung der Berufsgruppe. Ein Bezeichnungsschutz verhindert die Verwendung von Begriffen wie „Soziale Arbeit“ oder „Sozialarbeiter:in“ bzw. „Sozialpädagog:in“ als Berufsbezeichnung durch nicht entsprechend ausgebildete Personen. Und ein solches Gesetz ermöglicht, die Berufsgruppen der Sozialen Arbeit direkt zu adressieren, da es die zugehörigen Personen klar definiert. Ein Bezeichnungsschutz darf aber nicht das Ende, sondern muss der Beginn einer umfassenden rechtlichen Absicherung der Sozialen Arbeit sein. Denn nur ein umfassendes Berufsrecht stellt den vollen Nutzen für die Gesellschaft, die Menschen, die Unterstützung durch Soziale Arbeit nützen, und die Berufsangehörigen sicher.
Beim Berufsrecht geht es um mehr als Anerkennung
Auch wenn mit einem Berufsgesetz die zweifellos richtige und notwendige Anerkennung des Berufs erfolgt, geht die Bedeutung weit darüber hinaus. Berufsgesetze verfolgen das primäre Ziel, jene Menschen vor Schaden zu schützen, die Unterstützung in schwierigen, mit Vulnerabilität verbundenen Lebenssituationen benötigen. Kurz gesagt soll sichergestellt sein, dass die Unterstützung mehr nützt als schadet. Es ist daher kein Zufall, dass Gesundheitsberufe ebenso über eigenständige Berufsgesetze verfügen wie Rechtsanwält:innen, Notar:innen und andere Berufe, die mit hoher Verantwortung verbunden sind.
Die Schutzfunktion des Berufsrechts wird über Definitionen sowie Rechte und Pflichten für Berufsangehörige verwirklicht. So beschreibt ein Berufsgesetz üblicherweise Kernaufgaben und Ziele eines Berufs, Qualifikationserfordernisse, erforderliche Abläufe und Prozesse (z. B. Dokumentation), sieht eine Registrierung der Berufsangehörigen vor und formuliert Rechte der unterstützten Personen. Darüber hinaus wird die professionelle Entscheidungsfreiheit der entsprechend ausgebildeten Berufsangehörigen abgesichert, die diese zur Planung und Umsetzung individuell abgestimmter Interventionen benötigen. Menschen, die Unterstützung benötigen, sollen sicher sein können, dass die Personen, die „Soziale Arbeit“ leisten, auch die dafür notwendigen Qualifikationen mitbringen. Für das Feld der Sozialen Arbeit würden solche Regelungen etliche Vorteile bringen.