Gleichstellung ist steuerbar! Gender Budgeting im AMS

04. Juli 2019

Im Frühjahr 2019 wurden die arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz veröffentlicht. Dabei war das bisherige sogenannte Ministerziel – zumindest 50 Prozent der Fördermittel des Arbeitsmarktservice im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu verwenden – nicht mehr enthalten. Doch gerade dieses Ziel trägt essenziell zur Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt bei. Dieser Beitrag beleuchtet die Wichtigkeit von Gender Budgeting für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt.

Gleichstellungspolitik des AMS

Mehrere Jahre lang wurde vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz die explizite Vorgabe an das Arbeitsmarktservice formuliert, zumindest 50 Prozent der Fördermittel im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu verwenden. Dass die arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben des Ministeriums vom Frühjahr 2019 diese Zielvorgabe nicht mehr enthalten haben, ist eine deutliche Abkehr von einer langjährig etablierten Praxis. Da Frauen am Arbeitsmarkt mit geschlechterbasierter Benachteiligung konfrontiert sind, soll diese Ungleichbehandlung durch einen erhöhten Fördermitteleinsatz ausgeglichen werden. Diese Benachteiligungen ergeben sich aus folgenden gesellschaftlichen Realitäten:

  • Frauen verdienen für gleiche Arbeit weniger als Männer („Gender Pay Gap“): 2017 verdienten ganzjährig vollzeitbeschäftigte Frauen um 15,6 Prozent weniger als ganzjährig vollzeitbeschäftigte Männer.
  • Noch immer hält sich das Phänomen der gläsernen Decke hartnäckig: Von 203 Vorstandspositionen in sämtlichen börsennotierten Unternehmen sind nur zehn mit Frauen (4,9 Prozent) besetzt.
  • Die Berufswahl wird nach wie vor durch Geschlechterstereotype geprägt: 2018 waren die drei häufigsten Lehrberufe von Mädchen Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin. Die Burschen hingegen wählten Lehrberufe, die vor allem im handwerklich-technischen Bereich liegen. Die drei häufigsten waren: Metalltechnik, Elektrotechnik und KfZ-Technik.
  • Noch immer sind es vor allem Frauen, die mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu kämpfen haben. Sie verkürzen ihre Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, um die unbezahlte Sorge- und Haushaltsarbeit zu leisten. Dies wiederum führt zu hohen Teilzeitquoten bei Frauen und einem massiven „Gender Pension Gap“: Die durchschnittliche monatliche Pension aller PensionistInnen betrug im Dezember 2017 bei den Männern 1.918 Euro und bei den Frauen 1.094 Euro (brutto inkl. Zulagen und Zuschüsse, ohne Sonderzahlungen).
  • Wie der allgemeine Einkommensbericht 2018 des Rechnungshofs zeigt, ist die atypische Beschäftigung stark weiblich geprägt: 63 Prozent aller weiblichen un­selbstständig Erwerbstätigen waren atypisch beschäftigt. Das liegt vor allem an dem hohen Teilzeitanteil unter den Frauen (56 Prozent). Unter den unselbstständig erwerbstätigen Männern ist der Anteil der atypisch Beschäftigten mit 26 Prozent deutlich geringer. Insge­samt ergibt sich somit ein Frauenanteil von 68 Prozent unter den atypischen Beschäfti­gungsverhältnissen (rund 1.256.900 Frauen, 578.400 Männer). Im Vergleich dazu liegt der Männeranteil bei den Normalarbeitsverhältnissen bei 68 Prozent (rund 1.617.500 Männer, 752.500 Frauen).

Ausgehend von den oben genannten Problemstellungen für Frauen am Arbeitsmarkt hat sich das AMS folgende Gleichstellungsziele gesetzt:

  • Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen
  • Reduktion der Frauenarbeitslosigkeit
  • Verringerung der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern
  • gleicher Zugang zu allen Berufen und Positionen mit dem Ziel einer existenzsichernden Beschäftigung

Um diese Ziele zu verwirklichen und Mehrfachdiskriminierungen, von denen Frauen deutlich stärker betroffen sind, entgegenzuwirken, setzt das AMS unter anderem auf frauenspezifische Angebote – das sogenannte arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm. Dazu zählen:

Das Programm „Frauen in Handwerk und Technik“ (FiT) ermöglicht Frauen eine Ausbildung in handwerklich-technischen Berufen mit Zukunft. Neben Lehrausbildungen wird im Rahmen von FiT auch der Besuch von Studiengängen an den Fachhochschulen oder HTLs unterstützt. Damit dient FiT der Beseitigung der geschlechtsspezifischen Segregation am Arbeitsmarkt, um Frauen den Zugang in besser bezahlte Berufe mit Aufstiegschancen zu ermöglichen und gleichzeitig tradierte Rollenbilder in der Arbeitswelt weiter aufzubrechen.

Das Programm „Wiedereinstieg unterstützen“ fördert arbeitssuchende Mütter und Väter beim beruflichen Wiedereinstieg nach der familienbedingten Erwerbsunterbrechung. Das Kursangebot „Wiedereinstieg mit Zukunft“ richtet sich an Frauen und setzt an den spezifischen Rahmenbedingungen und Problemlagen der Zielgruppe an, vor allem was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anlangt.

In allen Bundesländern gibt es Frauenberufszentren, die darauf spezialisiert sind, arbeitslose und -suchende Frauen bei der Berufsorientierung und bei Fragen zu Ausbildung, Weiterbildung, Jobsuche und Kinderbetreuung zu unterstützen.

Speziell das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Hürden für Frauen am Arbeitsmarkt. Das Gender-Budgeting-Ziel (50 Prozent der Fördermittel sollen für Frauen verwendet werden) trägt dazu bei, diese Förderung von Frauen sicherzustellen und deren Erreichung zu überprüfen.

Geschlechterverteilung bei den AMS-Förderungen

Das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm trägt zwar wesentlich zur Erreichung des Gender-Budgeting-Ziels bei, jedoch gibt es im AMS eine Vielzahl an Förderinstrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wenn man also einen gleichberechtigten Zugang sicherstellen will, müssen alle Förderinstrumente nach Geschlecht analysiert werden: Im Jahr 2018 wurde insgesamt 341.609 Personen eine Förderung des AMS genehmigt. Der Frauenanteil lag bei 50,5 Prozent.

Geschlechterverteilung bei AMS-Förderungen © A&W Blog
© A&W Blog

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wird prinzipiell zwischen Förderungen im Sinne der Beschäftigung, der Qualifizierung und der Unterstützung unterschieden, da arbeitslose Personen unterschiedliche Unterstützung benötigen. Während es arbeitslose Personen gibt, die bereits qualifizierte Ausbildungen haben, gibt es einen großen Anteil an arbeitslosen Personen, die keine oder eine unzureichende Ausbildung haben. Denn generell gilt: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher das Risiko der Arbeitslosigkeit.

Die Beihilfen bei der Beschäftigung helfen arbeitslosen Menschen beim direkten Einstieg ins Erwerbsleben. Die Beihilfen bei der Qualifizierung tragen im Wesentlichen zur Existenzsicherung während einer Aus- oder Weiterbildungsphase bei (z. B. Deckung des Lebensunterhalts). Die Unterstützungsleistungen helfen arbeitslosen Personen vor allem bei der Bekämpfung von multiplen Problemlagen (z. B. Kinderbetreuungsbeihilfe aufgrund der hohen Kosten bei der Kinderbetreuung). Betrachtet man die unterschiedlichen gewährten Beihilfen nach Geschlecht, zeigt sich, dass Frauen Qualifizierungs- und Unterstützungsleistungen stärker als Männer in Anspruch nehmen. Männer hingegen nehmen die Beschäftigungsleistungen stärker als Frauen in Anspruch. Betrachtet man die Beihilfen im Detail, werden geschlechterspezifische Zugänge sichtbar: Während beispielsweise die „Kinderbetreuungsbeihilfe“ stark von Frauen in Anspruch genommen wird, werden Beihilfen wie „Kurzarbeit“ und „Solidaritätsprämie“, die stark im handwerklich-technischen Bereich zum Einsatz kommen, fast ausschließlich von Männern in Anspruch genommen.

AMS-Beihilfen FrauenMännerFrauenanteilGesamt
Beschäftigung insgesamt28.35231.00147,8 %59.353
Eingliederungsbeihilfe (BEBE)16.59218.88746,8 %35.479
Förderung für Ersatzkräfte während Elternteilzeit bzw. Karenz (EK)51525 %20
Entfernungsbeihilfe (ENT)59759850 %1.195
Ein-Personen-Unternehmen (EPU)20827643 %484
Gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt (GBP)2.2321.66857,2 %3.900
Kombilohn (KOMB)3.0691.86862,2 %4.937
Kurzarbeit (KUA)891.4925,6 %1.581
Sozialökonomischer Betrieb (SÖB)8.4608.10651,1 %16.566
Solidaritätsprämie (SOL)142774,8 %291
Qualifizierung insgesamt114.366110.04451 %224.395
Arbeitsstiftung (AST)2.7021.75860,6 %4.460
Bauhandwerk (BHW)03210,00 %321
Bildungsmaßnahmen (BM)77.51673.94551,2 %151.456
Deckung des Lebensunterhalts (DLU)84.31977.55952,1 %161.874
Fachkräftestipendium (FKS)93882453,2 %1.762
Höherqualifizierung für Beschäftigte in Gesundheits- und Sozialberufen und Kindergartenpädagogik (GSK)1503581,1 %185
Kurskosten (KK)10.0247.45957,3 %17.483
Kursnebenkosten (KNK)45.20844.24650,5 %89.451
Lehrstellenförderung (LEHR)3.8876.60537 %10.492
Qualifizierung für Beschäftigte (QBN)8.1635.40460,2 %13.562
Beihilfe für Schulungskosten für Beschäftigte in Kurzarbeit (SFK)0360 %36
Unfallversicherung (UV)19.89722.15247,3 %42.047
Unterstützungsbeihilfen gesamt86.42877.74052,7 %164.167
Beratungs- und Betreuungseinrichtungen (BBE)72.95770.73750,8 %143.693
Gründungsbeihilfe (GB)2.2782.80944,8 %5.087
Kinderbetreuungseinrichtungen (KBE)740100,0 %74
Kinderbetreuungsbeihilfe (KBH)9.98722497,8 %10.211
Unternehmensgründungsprogramm (UGP)3.6074.30845,6 %7.915
Vorstellbeihilfe (VOR)1.9513.39636,5 %5.347
Förderungen gesamt172.574169.05350,5 %341.609

Gender Budgeting im AMS

Bei der Berechnung des Gender-Budgeting-Ziels 2018 wurden die kumulierten Förderzahlungen betrachtet – exklusive der Kurzarbeit, der Solidaritätsprämie und des Älterenprogramms „Aktion 20.000“ –, da diese Programme zum Großteil Männern zugutekommen. Zehn Jahre lang – ab dem Beginn der Wirtschaftskrise – hatte das AMS das gesetzte Ziel „50 Prozent Fördermittel für Frauen“ nicht mehr gänzlich erreicht. Erst aufgrund verstärkter Anstrengungen im Bereich des Controllings und des gezielten Mitteleinsatzes konnte 2018 das Gender-Budgeting-Ziel mit 50,5 Prozent wieder erreicht werden.

Gender-Budgeting-Zielerreichung © A&W Blog
© A&W Blog

Fazit

Um die geschlechterbasierte Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt effektiv zu bekämpfen, braucht es den gezielten Einsatz von Fördermitteln und klare Zielvorgaben in der Arbeitsmarktpolitik. Das arbeitsmarktpolitische Frauenprogramm trägt hierbei einen wichtigen Teil zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt bei. Gleichzeitig braucht es jedoch auch eine Gleichverteilung des Zugangs für beide Geschlechter bei allen Fördermitteln des AMS. Ohne Gender Budgeting und klare Zielvorgaben ist davon auszugehen, dass der gleichberechtigte Zugang zu den Fördermitteln nicht oder nicht zufriedenstellend gegeben ist. Daher sollten politische EntscheidungsträgerInnen das Gender-Budgeting-Ziel unbedingt als zentrales Ziel im AMS beibehalten.