Wirtschaft und Menschenrechte: Europa braucht ein Lieferkettengesetz!

17. Dezember 2020

Die Unternehmensverantwortung für Menschenrechte und Umwelt entlang globaler Lieferketten muss endlich rechtsverbindlich geregelt werden. Die europaweite Kampagne „Unternehmen zur Verantwortung ziehen“ fordert neue Spielregeln für die Wirtschaft.

Die Corona-Krise zeigt nicht nur die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von Zulieferbetrieben weltweit, sondern auch die Vulnerabilität von ArbeitnehmerInnen im globalen Süden, wenn (europäische) Unternehmen ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Ein Beispiel ist der Textilsektor. Zu Beginn der Corona-Krise stornierten globale Markenunternehmen und Modehändler Aufträge für bereits produzierte oder in Produktion befindliche Waren. Lieferanten in Bangladesch verloren abrupt laufende Verträge ohne Entschädigung. ArbeitnehmerInnen wurden kurzfristig ohne Abfindung gekündigt, da die Auftraggeber den Zulieferbetrieben keinerlei finanzielle Unterstützung zukommen ließen. Der Internationale Gewerkschaftsbund veröffentlicht jährlich den „Globalen Rechtsindex“ zur Dokumentation von Verletzungen international anerkannter ArbeitnehmerInnenrechte. Die Ausgabe 2020 weist einen erschütternden Siebenjahres-Höchststand aus. Hinter den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen im globalen Süden stehen oftmals Unternehmen des globalen Nordens. Letztere weisen in der Regel jegliche Verantwortung für Ereignisse in der Sphäre von Zulieferbetrieben oder Tochtergesellschaften von sich. Dass die Unternehmen damit durchkommen, ist der Tatsache geschuldet, dass weltweit kaum verbindliche Gesetze existieren, welche die Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten festschreiben. Doch die Debatte gewinnt in den letzten Jahren an Dynamik.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Gewerkschaften und Zivilgesellschaft machen Druck

Frankreich hat 2017 ein Gesetz für Unternehmensverantwortung mit verbindlichen Sorgfaltspflichten verabschiedet (loi de vigilance). In einigen anderen europäischen Ländern wie Deutschland und der Schweiz werden derzeit intensive Debatten über die Schaffung eines Lieferkettengesetzes geführt. Die österreichische Bundesregierung zeigt hingegen keine Initiative. Dass in unseren Nachbarländern das Thema auf der politischen Agenda steht, geht auf jahrelanges Engagement von Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft zurück. In Deutschland macht die „Initiative Lieferkettengesetz“, ein breites Bündnis unter Beteiligung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Druck auf die Politik; das schweizerische Pendant heißt „Konzernverantwortungsinitiative“. In Österreich hat die SPÖ einen Entwurf für ein Sozialverantwortungsgesetz zur Bekämpfung von Kinder- und Zwangsarbeit im Bekleidungssektor eingebracht, dieser „schlummert“ jedoch im Sozialausschuss des Nationalrates. Auch auf internationaler Ebene zeigt Österreich kein Engagement. Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wird seit 2014 über ein rechtsverbindliches Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten verhandelt, Österreich hat zu dem Vorhaben bis dato nicht Stellung bezogen. Im Oktober 2020 wurde die von Österreichischem Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer unterstützte Initiative „Menschenrechte brauchen Gesetze! Damit Lieferketten nicht verletzen“ gestartet, um die österreichische Bundesregierung zum Handeln aufzufordern.

Kommission kündigt EU-Lieferkettengesetz an

Handlungsbedarf besteht auch auf EU-Ebene. Im Februar 2020 veröffentlichte die Kommission eine Studie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der befragten Unternehmen führt Sorgfaltsmaßnahmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt durch; die Maßnahmen beschränken sich in der Regel allein auf direkte Zulieferbetriebe. Justizkommissar Reynders bestätigte, dass die bisherigen Maßnahmen der Unternehmen nicht ausreichend sind. Die Kommission kündigt nun einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz für 2021 an. Diese Initiative ist sehr zu begrüßen. In den kommenden Wochen und Monaten geht es darum, den Druck der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften weiter aufrechtzuerhalten, damit nicht am Ende eine zahnlose EU-Rechtsvorschrift vorgelegt bzw. in den Verhandlungen verwässert wird. Noch bis 8. Februar 2021 läuft eine öffentliche Konsultation zu dem Vorhaben. Die Kommission möchte die Meinung der BürgerInnen hören. Der Europäische Gewerkschaftsbund, ÖGB Europabüro, AK EUROPA, Friends of the Earth und European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) rufen alle, die dieses wichtige Anliegen unterstützen wollen, dazu auf, an der Konsultation teilzunehmen.

Ein ähnlicher Beitrag erschien im EU-Infobrief 4/2020.

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