EU-Ratsvorsitz: Sicher sind wir nur mit sozialen Goldstandards!

19. Juli 2018

Alle reden über Migration, da fallen die Lücken bei den sozialpolitischen Vorhaben der EU-Ratspräsidentschaft nicht so stark auf. Dabei ist gerade die Frage des Lohn- und Sozialdumpings für Österreich essenziell.

Ein Europa, das schützt?

Am 1. Juli 2018 hat Österreich zum dritten Mal für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernommen. „Ein Europa, das schützt“ – dieses Motto hat die Bundesregierung für ihren Vorsitz ausgewählt. Ein Motto, das auf den ersten Blick durchaus positive Gefühle weckt. Und Erwartungen schürt, dass der EU-Vorsitz als Chance genutzt wird, um das soziale Europa zu stärken und um die Weichen für einen sozialen und wirtschaftlichen Aufwärtskurs zu stellen, der auch bei allen Menschen ankommt.

Allerdings werden diese Erwartungen auf den zweiten Blick enttäuscht. Denn die Bundesregierung legt ihr Motto sehr einseitig aus. Im Vordergrund stehen Sicherheit und Migration, die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung und Stabilität in der Nachbarschaft. Das sind aus Sicht der Bundesregierung die Schwerpunktbereiche, bei denen es mehr Zusammenarbeit in Europa braucht.

Dass diese Bereiche ihre Bedeutung haben, daran gibt es wohl keinen Zweifel. Es braucht eine europäische Verantwortung für die geflüchteten Menschen. Und dass sich Europa mit allen Aspekten der Digitalisierung engagiert auseinandersetzen muss, ist ein Gebot der Stunde. Wir wissen, dass so gut wie jede Branche und fast jeder Arbeitsplatz vom digitalen Wandel betroffen sein werden.

Kein Wort über den Schutz für europäische ArbeitnehmerInnen

Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob die Bundesregierung den Vorsitz auch nutzen wird, um wichtige Akzente zur Bewältigung der großen sozialen Herausforderungen für die Menschen in Europa zu setzen. Denn aus Sicht der ArbeitnehmerInnen weist das Programm eine große soziale Schieflage auf.

Es fehlen Hinweise zur Schärfung des sozialen Profils der EU. So wird die erst im November 2017 proklamierte „Europäische Säule sozialer Rechte“ mit keinem Wort erwähnt. Auch von einem der wichtigsten sozialpolitischen EU-Vorhaben fehlt jede Spur: der geplanten Europäischen Arbeitsbehörde, die zukünftig gegen grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping vorgehen soll.

Gerade Österreich ist von Entsendungen sehr stark betroffen, der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping muss daher auf allen Linien vehement geführt werden. Österreich wäre bestens als Sitz der neuen Arbeitsbehörde geeignet. Und es wäre ein starkes Signal der Bundesregierung an heimische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Rahmen des EU-Vorsitzes alles zu unternehmen, um diese Institution in unser Land zu holen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – das muss das Motto sein. Doch beim Thema Arbeitsbehörde herrscht großes Schweigen.

Statt hoher Standards nur unverständliche Maßnahmen

Stattdessen werden mit nebulosen Hinweisen auf „Subsidiarität“ oder „Gold Plating“ Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht in der gesamten EU infrage gestellt. Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschritt. Und sie ist ein weiteres Beispiel dafür, wie durch unverständliche Maßnahmen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa und damit die Attraktivität der europäischen Integration leichtsinnig gefährdet werden.

Statt Europa in einen Abwärtsstrudel sinkender Standards zu manövrieren, sollten mit dem EU-Vorsitz wieder jene Entwicklungen vorangetrieben werden, die ein fortschrittliches Bild von Europa zeichnen. Wir leben in einem Europa der Vielfalt, in dem wir sehr viel voneinander und miteinander lernen können. Bei diesem Lernprozess sollte es darum gehen, sich die besten Ideen von den Besten Europas abzuschauen, um die höchstmögliche Lebensqualität für alle Mitgliedstaaten zu erreichen. Und es sollte nicht darum gehen, uns an Mindeststandards zu orientieren.

Vielmehr sollten die Beschäftigten, KonsumentInnen und die Umwelt im Mittelpunkt stehen. Die Ratspräsidentschaft sollte daher dazu genutzt werden, soziale Herausforderungen anzugehen, sei es der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping oder jener gegen die weiterhin hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit. Es geht darum, Europa in eine soziale Zukunft zu führen. Dabei gibt es genug zu tun und genug zu lernen.

Eine ausführlichere Bewertung des österreichischen Programms für die EU-Ratspräsidentschaft findet sich im EU Infobrief 2/2018.

Eine ähnliche Version ist bereits am 3. Juli 2018 als Kommentar der anderen im Standard erschienen.