Immer mehr Menschen arbeiten auch in Österreich in Niedriglohnjobs. 2015 betraf dies rund 460.000 arbeitende Personen in Österreich. Doch welche Ursachen gibt es für die wachsende Verbreitung solcher Tätigkeiten? Welche Personengruppen sind besonders häufig in solchen Jobs zu finden? Und wie stellt sich die Entwicklung Österreichs im Kontext dieser Trends in anderen deutschsprachigen Ländern dar?
Niedriglohnrisiko trifft bestimmte Personengruppen
Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen, dass sich der Niedriglohnsektor in den letzten 20 Jahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz sehr unterschiedlich entwickelt hat. In Deutschland beobachten wir zuletzt einen massiven Anstieg von Niedriglohnjobs. Dies ist vor allem auf die Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes infolge der Hartz-IV-Reformen zurückzuführen. In Österreich verläuft der Anstieg der Niedriglohnquote moderater – vor allem aufgrund der vergleichsweise immer noch starken sozialpartnerschaftlichen Beziehungen. Im Gegensatz dazu können wir in der Schweiz ein hohes Ausmaß an Stabilität im Niedriglohnsektor beobachten. Die Niedriglohnquoten haben sich dort in den letzten 20 Jahren kaum verändert.
In allen deutschsprachigen Ländern gibt es allerdings besonders gefährdete Personengruppen, die im Vergleich zum Rest der erwerbstätigen Bevölkerung mit höheren Risiken konfrontiert sind, in einem Niedriglohnjob zu arbeiten. Zu diesen Risikogruppen gehören zum Beispiel Menschen mit befristeten Tätigkeiten, Teilzeitbeschäftigte, Frauen, Beschäftigte im Handel oder in der Gastronomie und vor allem junge Arbeitnehmer*innen (bis 30 Jahre). Zusätzlich zeigen unsere Ergebnisse, dass die Niedriglohnbeschäftigung in allen drei Ländern noch stärker gestiegen wäre, wenn sich die Zusammensetzung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren nicht positiv verändert hätte (v. a. aufgrund des Trends zur höherqualifizierten Arbeit).
Über die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und die Entwicklung des Niedriglohnsektors
Die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte hat in den letzten 20 Jahren in fast allen westlichen Gesellschaften zu einem Wandel der Beschäftigungsverhältnisse für viele Arbeitnehmer*innen geführt. Als Folge haben auf der einen Seite sogenannte atypische Beschäftigungsformen (z. B. Werkverträge, Leiharbeit) an Bedeutung gewonnen, auf der anderen Seite nimmt die Ungleichheit innerhalb der Lohnverteilung stark zu. In Österreich, Deutschland und der Schweiz verliefen die Entwicklungen am Arbeitsmarkt nicht einheitlich: Während in Österreich die Liberalisierung des Arbeitsmarktes vergleichsweise relativ spät und moderat einsetzte, kam es in Deutschland in der Folge der Hartz-Gesetze zu massiven Reformen in Richtung einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Mit der Implementierung dieser Gesetze ging der Ausbau von schlecht bezahlten Mini- und Midijobs einher; gleichzeitig ist der Anteil der Arbeitnehmer*innen, die kollektivvertraglich entlohnt werden, stark gesunken. Der Schweizer Arbeitsmarkt ist im Unterschied zu Österreich und Deutschland stärker dezentral organisiert und es gibt schon länger eine Tendenz der Ablösung von überregionalen Tarifverträgen durch lokale oder betriebsspezifische Vereinbarungen zwischen den Tarifparteien. Dadurch können Firmen und Betriebe viel flexibler reagieren, als das z. B. in Österreich der Fall ist. Außerdem sind wesentlich mehr Menschen in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert, als das für die meisten anderen europäischen Länder zutrifft.
Diese Veränderungen am Arbeitsmarkt korrespondieren auch mit der Entwicklung des Niedriglohnsektors in den drei untersuchten Ländern. In Anlehnung an internationale Standards definieren wir einen Niedriglohnjob als Beschäftigung mit einem Verdienst unterhalb von zwei Dritteln des Medianbruttostundenlohns. Dies betrifft z. B. in Österreich alle unselbstständig Beschäftigten im Alter von 16–65 Jahren, die weniger als zehn Euro brutto in der Stunde verdienen (Anmerkung: Dabei werden nur Einkommen aus unselbständiger Beschäftigung berücksichtigt, die mindestens eine Stunde pro Woche erwerbstätig sind. Damit können auch Aussagen über Teilzeiterwerbstätige und Mini-Jobber gemacht werden. Selbständige, Freiberufler, mithelfende Familienangehörige oder Personen, die sich in Aus- oder Weiterbildungsmaßnahmen befinden [z.B. Schüler*innen/ Lehrlinge] wurden aus unseren Analysen ausgeschlossen). Empirisch zeigt sich ferner, dass aktuell etwa jeder siebte Beschäftigte in einem Niedriglohnjob tätig ist. Mitte der 1990er-Jahre waren dies nur etwas mehr als zwölf Prozent der Berufstätigen. Im Vergleich dazu hat die Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland innerhalb der letzten Jahre massiv zugenommen und betrifft derzeit etwa 22 Prozent der Arbeitnehmer*innen. Die Niedriglohnquoten in der Schweiz sind niedriger als in Österreich und Deutschland und in den letzten 20 Jahren nahezu auf dem gleichen Niveau verblieben (siehe Abbildung).