Eine Verkehrswende in der EU braucht mehr als schöne Worte

09. Dezember 2020

Finanzspritzen für Unternehmen, katastrophale Bedingungen für die Beschäftigten, Dieselgate und Klimakiller: Der Verkehr wird immer mehr zum Problemfall in Europa. Viele Entwicklungen sind dabei nicht die unmittelbare Folge der Corona-Krise. Sie sind vielmehr Folge eines jahrelangen ruinösen Wettbewerbs, bei dem jene Unternehmen bestraft werden, die sich sozial und ökologisch verantwortungsvoll zeigen. Auf der Strecke bleiben dabei Umwelt, SteuerzahlerInnen und Beschäftigte. Das neue EU-Verkehrskonzept sollte sich daher von eingeschlagenen Wegen verabschieden.

Ökologische Verkehrswende braucht mehr als grüne Schlagzeilen

Geht es nach der Europäischen Kommission (Generaldirektion für Mobilität und Verkehr), soll demnächst der Fahrplan für die Verkehrspolitik der nächsten Jahre vorgestellt werden. Der Verkehr soll „klimafit“ gemacht werden. Die EU-Verkehrsregelungen werden künftig auf ihre Folgen für die Umweltzerstörung geprüft und dem sogenannten „no harm principle“ („Niemandem-schaden-Prinzip“) unterliegen.

Eine härtere Gangart gegenüber einer schrankenlosen, auf fossilen Treibstoffen ausgerichteten Mobilität ist sicherlich erforderlich, denn der Verkehr entwickelt sich mehr und mehr zur Achillesferse der Klimaschutzpolitik. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dieser Ankündigung auch die entsprechenden Taten folgen. Schon in den letzten Weißbüchern der Europäischen Kommission (2001 und 2011) wurde die Ökologisierung des Verkehrs in den Fokus gerückt. Entsprechende Maßnahmen wurden aber nicht gesetzt, oder es wurden die ambitionierten Kommissionsziele von den Mitgliedsstaaten verwässert (Dieselgate, Ausnahme von Fahrverboten usw.). Die Bemühungen sind letztlich kläglich gescheitert, Verkehrs- und Wirtschaftswachstum konnten nicht entkoppelt werden, die Belastungen des Verkehrs nehmen stark zu.

Das seit Jahren andauernde Verfehlen der Unionsziele liegt zum einen an der zögerlichen Politik im Bereich der Anlastung der umweltbezogenen Auswirkungen bei der Straße und in der Luftfahrt. Zum anderen liegt das am ebenso zögerlichen Infrastrukturausbau bei Schiene, Wasserstraße, Rad- und Fußverkehr. Die Förderprogramme der EU forcieren zwar allgemein den Bau grenzüberschreitender Schienenprojekte, diese können das Schrumpfen des Netzes durch weitaus bedeutendere Streckenstilllegungen nicht verhindern. Das Straßennetz hingegen wächst stetig. Erschwerend kommt hinzu, dass die boomenden Agglomerationen, gerade abseits der Strukturfördergebiete, kaum von europäischen Förderungen profitieren. Da 80 bis 90 Prozent der Verkehre in den Ballungsräumen entstehen bzw. ebendort ihren Endpunkt haben, entscheidet sich gerade dort die Verkehrsträgerwahl für den gesamten Sektor.

Nichts zu gewinnen für die Bahnen: Diskriminierung mit System

Alle Gründe sprechen für die Bahn: Sie ist Klimaschützer, sicher, platzsparend, günstig, umweltfreundlich, wichtiger Standortfaktor und Rückgrat der Exportnationen. Die Bahn „kann“ schon jetzt Elektromobilität, sorgt allgemein für mehr Lebensqualität und schafft Arbeitsplätze. Trotzdem verliert sie vielerorts an Marktanteilen, vor allem an die Straße. Dies, obwohl Pkw oder Lkw all diese gesellschaftlichen „Goodies“ nicht oder nur zu einem weitaus geringeren Teil aufweisen können.

Hauptpfeiler der EU-Verkehrspolitik ist der Wettbewerb, verknüpft mit der Annahme, die Marktmechanismen würden auch im Verkehr „automatisch“ zum volkswirtschaftlichen Optimum führen. Dabei zeigen die Europa- und EU-Meister (Schweiz und Österreich) ganz klar: Der Erfolg liegt nicht am Grad der Marktöffnung, sondern – ganz im Gegenteil – an der Direktvergabe ohne Ausschreibung und dem klaren politischen Bekenntnis für eine starke Bahn.

Davon völlig unbeeindruckt setzt die EU-Kommission auf weitere Marktöffnungsschritte. Notwendige begleitende Maßnahmen wurden allerdings nicht gesetzt, und so sehen sich Unternehmen, Beschäftigte und ganze Verkehrsträger mit unfairen Praktiken konfrontiert, die ihnen eine Teilnahme am freien Markt unmöglich machen. Insbesondere Luft und Straße tragen keinesfalls ihre verursachten externen Kosten (Lärm, Schadstoffe, CO2, Flächenverbrauch, Klimakosten usw.). Diese werden auf die Allgemeinheit abgewälzt, statt Fairness gibt es unlautere Bedingungen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Wegekostenrechnungen des Bundes bzw. der EU gehen davon aus, dass der Straßengüterverkehr seine externen Kosten nur rund zu einem Drittel deckt.

Natürlich gibt es auch bei den Bahnen Verbesserungsbedarf und sind weitere Investitionen in Infrastruktur und Wagenmaterial erforderlich. Manch eine Innovation braucht allerdings Jahrzehnte bis zur Umsetzung, letztlich ist die Eisenbahn extrem langlebig. Waggons fahren leicht 30 bis 40 Jahre. Die komplette Umrüstung des Schienensektors kann daher sehr lange dauern, wie das Beispiel der noch immer nicht eingeführten Mittelpufferkupplung zeigt. Diese Kupplung erleichtert das „Zusammenhängen“ von Waggons, es geht schneller und sicherer. Sie macht gerade den Güterverkehr viel effizienter. Rund 450.000 Schienenfahrzeuge wären davon betroffen. Unklarheiten wie die technische Ausgestaltung, die Umstellungsphasen und die Ausbildungserfordernisse sollten weitaus rascher als bisher beseitigt werden.

Angesichts der Verzerrungen gegenüber der Straße bleiben die Bahnen, selbst bei rascher Durchführung diverser Innovationen, stets chancenlos.

Lohn-, Sicherheits- und Sozialdumping als Säule des billigen Verkehrs!

Eine soziale Harmonisierung (Arbeits-, Einsatz- und Entlohnungsbedingungen) wurde bei der Vollendung des Binnenmarktes nicht durchgeführt. Die wenigen Regelungen, wie die Entsenderichtlinie, bleiben im Verkehr oftmals zahnlos. Über Briefkastenfirmen werden sowohl Fahr- und Flugzeuge als auch Beschäftigte, oft völlig legal, in Länder „verlagert“, in denen die Steuer- und Lohnhöhen bzw. das Niveau des ArbeitnehmerInnenschutzes Vorteile für die Unternehmen bringen.

Der Kostendruck auf die Branche durch die schrankenlose Liberalisierungspolitik und der dadurch einsetzende „Wettlauf um immer noch billigeren Verkehr“ ist für die 11 Mio. Beschäftigten im Verkehr katastrophal. Den Druck der Branche bekommen fast ausschließlich sie zu spüren. Entlohnung und Einsatzbedingungen der Beschäftigten sind nahezu die letzten Stellschrauben in der Unternehmenskalkulation, letztlich sind die anderen Kosten (Maut, Treibstoff, Fahrzeuge usw.) für alle Unternehmen ident. Lohn- und Sozialdumping sind die Regel, lange Arbeitszeiten, schlechte Entlohnung, miserable Ruhebedingungen, Stress, Müdigkeit und lange Zeiten fernab der Familie kennzeichnen den Alltag der Beschäftigten, insbesondere auf der Straße und zunehmend auch in der Luftfahrt. Dies seit Jahren mit Unterstützung durch die EU-Gesetzgebung. Billiger Verkehr für einen ebensolchen Wirtschaftsstandort kommt vor allem die Beschäftigten teuer zu stehen.

Endlich Fairness!

Anstatt einseitig weitere Preissenkungen auf der Straße, der Schiene, in der Luft- und Schifffahrt zu forcieren, muss in Zukunft der Fokus der europäischen Politik auf einem sicheren, ökologischen und sozial ausgewogenen Verkehr liegen. Es muss im Verkehrssektor faire Bedingungen geben, bei denen jene belohnt werden, die der Allgemeinheit keine Kosten verursachen. Vermiedene externe Effekte müssen, etwa über Förderungen an die Unternehmen oder die verladende Wirtschaft, in die Kostenkalkulation einfließen. Lohn- und Sozialdumping darf kein Wettbewerbsvorteil bleiben, und die sozialen Probleme der Verkehrsbranche müssen endlich gelöst werden.

Will man den Verkehr sozial gerecht und ökologisch vertretbar machen, braucht es

  • die Internalisierung der externen Kosten in voller Höhe,
  • die Normierung der Einsatzbedingungen (Arbeits- und Ruhezeiten, Entgelt, ArbeitnehmerInnenschutz usw.) und die Ausbildung aller im Verkehr beschäftigten Mitarbeiter, die sicherheitsrelevante Aufgaben wahrnehmen,
  • die Sicherstellung des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort,
  • mehr Investitionen und mehr EU-Förderungen für Schieneninvestitionen (Eisen-, U-Bahnen und Straßenbahnen) in den Agglomerationen,
  • vereinfachte Regelungen und stärkere Förderungen und Beihilfen für volkswirtschaftlich erwünschte Schienenverkehre wie Rollende Landstraße, unbegleiteter Kombiverkehr usw.,
  • intensive Anreize, den Verkehrsträger Bahn aufseiten der produzierenden und verladenden Industrie zu verwenden,
  • wirksame Maßnahmen gegen Steueroasen und Briefkastenfirmen,
  • den Erhalt der Direktvergabe und Stärkung des öffentlichen Eigentums im öffentlichen Verkehr,
  • den Stopp der Liberalisierung zur Stärkung der Fairness und Nachhaltigkeit,
  • das Vereinfachen der Kontrollmöglichkeiten und das Forcieren der Kontrollen.
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