Ein Lieferkettengesetz für Österreich: Lehren von benachbarten Initiativen

30. November 2021

In Österreich läuft derzeit eine Kampagne für ein nationales Lieferkettengesetz, die von einem breiten Bündnis, bestehend aus NGOs, kirchlichen Organisationen, ÖGB und Arbeiterkammer, organisiert worden ist. Damit sollen Unternehmen auf die Einhaltung menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten verpflichtet werden. Von den Bestimmungen und Entstehungsgeschichten eines solchen Gesetzes in Deutschland und Frankreich lässt sich für die österreichische Initiative einiges lernen.

Die Motivation hinter der Auslagerung von Konzernen

Unternehmen nehmen zwar willig Subventionen und andere staatliche Hilfeleistungen entgegen. In ihre internationalen Geschäfte wollen sie allerdings so wenig Einmischung wie möglich. Dabei ist die Bedeutung der internationalen Beschaffung in Österreich sehr hoch – in Europa machen nur dänische und finnische Firmen davon in noch höherem Ausmaß Gebrauch. Die Ursachen für die Auslagerung ins Ausland liegen primär im Motiv der Kosteneinsparung bei den Löhnen, wie die Grafik zeigt. Das Ziel der Kostenreduktion ist aber eine wesentliche und strukturelle Ursache für problematische Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung in Lieferketten.

Abbildung: Beweggründe österreichischer Unternehmen für internationale Beschaffung

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Wenn negative Entwicklungen in Lieferketten publik werden, versprechen Unternehmen stets hoch und heilig, mittels freiwilliger Selbstverpflichtung allen unerwünschten Nebenwirkungen ihres Handelns zu begegnen. Allein es passiert dann nicht. Das zeigt das Scheitern des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland (2016–2020). Laut Abschlussbericht halten sich gerade mal 13 bis 17 Prozent der Unternehmen an menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Da das Soll-Ziel von 50 Prozent klar verfehlt wurde, kam die Bundesregierung ihrer Absichtserklärung nach, ein Lieferkettengesetz zu erarbeiten. Es wurde im Juni 2021 beschlossen und tritt 2023 in Kraft. Was lässt sich daraus für die österreichische Initiative lernen?

Risse in der Lobbyfront

Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt: Wer Menschenrechte und Umweltschutz im globalen Wirtschaftssystem verankern will, muss dicke und harte Bretter bohren. Der Aufstand der Wirtschaftslobby war gewaltig. Es zeigten sich aber auch Risse in der Lobbyfront. Unter anderen der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft und einzelne Unternehmer:innen setzten sich für eine strenge und weitreichende Regulierung ein. Ihr Argument: Unternehmen, die sich an menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten halten, brauchen Schutz vor unlauterem Wettbewerb. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, wies auf den Reputationsverlust hin, den ein zahnloses Lieferkettengesetz für die Marke „Made in Germany“ bedeuten würde. Exporterfolge aufgrund hoher Qualität und Zuverlässigkeit passen schlecht mit industriell verseuchtem Abwasser oder Vertreibungen beim Staudammbau zusammen.

Nicht nur Großkonzerne

Die Lieferkettengesetze Frankreichs und Deutschlands betreffen nur Großkonzerne mit Hauptsitz in diesen Ländern. Das deutsche Gesetz gilt für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, ab 2024 ab 1.000 Beschäftigten. Im französischen Gesetz, seit Anfang 2017 in Kraft, ist die Schwelle noch höher. Es erfasst (nur) Großunternehmen mit mehr als 5.000 Arbeitnehmer:innen in Frankreich selbst bzw. 10.000 weltweit.

Im Entstehungsprozess des deutschen Gesetzes wurde eindrucksvoll der Widerstand der Verbände der Klein- und Mittelbetriebe deutlich. Sie argumentierten mit unerschwinglichen Zusatzkosten und unzumutbarer Bürokratie. Dennoch: KMUs sind auch in Sektoren mit besonderen menschenrechtlichen und ökologischen Risiken tätig. Die Beschäftigtenzahl kann kein hinreichendes Kriterium sein. Umsatz, Gewinn und Internationalität des Geschäftsfeldes müssen mitberücksichtigt und KMUs einbezogen werden.

Zivilrechtliche Haftung

Die Wirtschaftslobby und das Wirtschafts- und das Finanzministerium haben sich in Deutschland in einer wichtigen Sache durchgesetzt: Das Lieferkettengesetz sieht keine eigene Haftungsnorm vor. In anderen Worten: Es können Bußgelder verhängt werden, aber eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch eine Missachtung von Sorgfaltspflichten verursacht wurden. Es ist explizit festgehalten, dass keine Ansprüche auf Schadenersatz und Wiedergutmachung abgeleitet werden können.

Wenn sich Unternehmen an die vorgeschriebenen „Bemühungspflichten“ – Berichts- und Überprüfungspflichten – halten, wird man ihnen keine Sorgfaltspflichtverletzung anlasten können. Damit liefert das Gesetz den Unternehmen, so die AK-Juristen Kunz und Wagnsonner, „die Anleitung zur einfachsten Haftungsvermeidung“. Genau eine solche wäre aber wichtig. Eine Haftungsregelung sollte man sich nicht herausschießen lassen.

Umfassende umweltbezogene Pflichten

Während es einen abgesicherten Corpus an grundlegenden Menschenrechten gibt, ist die Rechtslage in Bezug auf Umweltbelange komplex und unübersichtlich. Hunderte internationale Umweltabkommen sind grundsätzlich anwendbar. Das deutsche Lieferkettengesetz regelt nur einige wenige umweltbezogene Pflichten, die sich aus drei Übereinkommen ergeben, die im Wesentlichen auf den Schutz der menschlichen Gesundheit abzielen.

Im französischen Fall zeigt sich, dass die Hürde für zivilrechtliche Haftungsklagen wegen Umweltzerstörung hoch ist, weil ein Zusammenhang zwischen dem Fehlen des Plans und dem daraus entstandenen Schaden nachgewiesen werden muss. Eine – ursprünglich vorgesehene – „klagsfreundlichere“ Umweltschutzregelung wurde vom französischen Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben. Daraus folgt: Es muss auf eine eigenständige und umfangreiche umweltbezogene Sorgfaltspflicht gedrängt werden. Rechtsexpert:innen haben dafür bereits innovative Vorschläge vorgelegt.

Einbeziehung indirekter Zulieferer

Das deutsche Lieferkettengesetz findet nur für direkte Zulieferer Anwendung. Hier haben die Unternehmen eine weitere Hauptforderung durchsetzen können, denn im ursprünglichen Entwurf erstreckten sich Sorgfaltspflichten auch auf mittelbare Zulieferer.

Die Stellungnahme des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie liest sich wie ein Trommelfeuer einer einzigen Botschaft: Alles, was über direkte Geschäftsbeziehungen hinausgeht, hat nichts mehr mit uns zu tun. Damit wird freilich dem eigentlichen Charakter von Lieferketten, den komplexen und vielstufigen Produktionsverflechtungen, gerade nicht Rechnung getragen. Und man fragt sich: Wer, wenn nicht die Leitunternehmen des globalen Nordens soll dafür verantwortlich sein, was und wie in Lieferketten produziert wird? Es wäre im Sinne der jüngsten Lieferengpässe ohnehin angesagt, dass die Unternehmen aus eigenem Interesse genauer Bescheid wissen, wer ihre Zulieferer in der zweiten, dritten oder vierten Reihe sind.

Lückenlose Integration des Finanzsektors

Zu den österreichischen Unternehmen mit der größten internationalen Verflechtung gehören Banken und Finanzdienstleister. Der Finanzsektor wäre daher möglichst lückenlos in ein Lieferkettengesetz zu integrieren. Das deutsche Gesetz beschränkt die Pflicht zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten auf Kreditnehmer, Sicherungsnehmer oder das Anlageobjekt des Finanzdienstleisters. Sorgfaltspflichten gelten nur für Finanztransaktionen, „die so bedeutend sind, dass mit ihnen typische besondere Informations- und Kontrollmöglichkeiten einhergehen“. Vermögensanlagen von Versicherungen sind sogar explizit ausgenommen.

Aber auch für den Bankensektor, die Versicherungsindustrie und Pensionsfonds braucht es weiterreichende und verbindliche Regelungen. Private Banken und Entwicklungsbanken finanzieren Großprojekte und Rohstoffvorhaben transnationaler Konzerne im globalen Süden. Investmentfonds und Versicherungen machen Land zu einem Anlageobjekt – und tragen so zu Landraub und Nahrungsmittelspekulation bei. Das passiert nicht nur in Afrika und Asien, sondern auch „nebenan“ in Osteuropa. Die Deutsche Bank oder ING DiBa sind wegen solcher ethisch fragwürdigen Geschäfte in die Kritik geraten.

Zum Schluss

Schließlich brauchen wir für ein gerechtes sozial- und klimafreundliches Leben nicht nur neue Regeln für das Handeln von Unternehmen. Auch öffentliche Bereitstellung und soziale und ökologische öffentliche Beschaffung sind gefragt.

Dafür bietet das deutsche Lieferkettengesetz einen Hebel: Die Kontrollbehörde kann bei fehlender Risikoanalyse und Abhilfe Sanktionen aussprechen und bei Verstößen gegen Sorgfaltspflichten Bußgelder verhängen. Ab einer Bußgeldhöhe von 175.000 Euro können die betreffenden Unternehmen (für maximal drei Jahre) von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Auch diese Schwelle könnte niedriger sein. Überhaupt könnte öffentliche Beschaffung viel breiter und strategischer verwendet werden – mit dem Ziel, Menschen- und Umweltrechte in Lieferketten zu sichern und eine sozial-ökologische Transformation voranzubringen.

Die Autor:innen haben 2021 den Band „Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung“ im Mandelbaum Verlag herausgebracht.

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