Nur was man (er)kennt, kann man regeln. Digitale Transformation und Mitbestimmung im Betrieb

05. Juli 2021

Technologischer Wandel ist sowohl ein gestaltbarer als auch ein betrieblich umkämpfter Prozess, dessen Ausgang theoretisch weitgehend offen ist, in der Praxis aber oft scheinbar vorgegebenen Pfaden folgt. Wir sehen einen schleichenden Wandel der Arbeitsbedingungen. Arbeitsverdichtung, Beschleunigung, Wandel der Aufgaben, Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind wichtige Themen für Mitbestimmung im Zuge der digitalen Transformation. Betriebsräte müssen dafür früh und regelmäßig über Prozesse der Digitalisierung informiert sein. Ziel soll dabei eine formalisierte Einbindung in betriebliche Entscheidungsprozesse sein. Auf dem Weg dahin hilft ein guter Draht zu den IT-Abteilungen.

Digitale Transformation als Aushandlung

Die digitale Transformation erweitert die Handlungsspielräume für die Gestaltung von Geschäftsprozessen, die Arbeitsorganisation und die Arbeitstätigkeiten. Unmittelbar betroffen sind davon die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Der digitale Wandel im Betrieb ist dabei sowohl Chance als auch Risiko. Der Prozess des technologischen Wandels ist gestaltbar und auch betrieblich umkämpft. Das Ergebnis dieses Prozesses ist theoretisch weitgehend offen. In der Praxis folgt er jedoch oft scheinbar vorgegebenen Pfaden. Welche Technologien entwickelt und eingesetzt werden, ist schlussendlich vor allem auch eine politische Frage und geprägt von den Machtbeziehungen der Akteur*innen. Wie sich die Arbeit von Beschäftigten in Vorreiterbranchen der digitalen Transformation tatsächlich ändert, welche Trends auf der Ebene der Unternehmen ankommen und wie die Betriebsratsgremien darauf reagieren bzw. reagieren können, war Thema zweier Projekte (https://wien.arbeiterkammer.at/digitalearbeit und https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/digitalerwandel/Entwicklungstrends_Digitaler_Arbeit_II.html) der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) für die Arbeiterkammer Wien. Die empirische Basis bildeten Expert*inneninterviews, Fokusgruppen und qualitative Interviews aus den Bereichen Finanz- und Technologiedienstleistung, Energiewirtschaft und Logistik.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Viele moderne digitale Tools, die in den letzten Jahren in Unternehmen eingeführt wurden, sind Fortführungen und Weiterentwicklungen bestehender Systeme. Dies bedeutet primär, dass die Arbeit einem ständigen Wandel unterworfen ist und Prozesse der Digitalisierung und Automatisierung fortwährend Teil der Arbeitsrealität der Beschäftigten sind. Diese inkrementellen Weiterentwicklungen sehen wir insbesondere bei Enterprise-Resource-Planning-(ERP)- bzw. Workflow-Systemen oder Office-Anwendungen, die sehr weit verbreitet sind und den individuellen Arbeitsablauf steuern. Wir sehen aber auch Weiterentwicklungen bei komplexeren Automatisierungen, wie die Robotic Process Automation (RPA). Bei dieser Prozessautomatisierung werden repetitive, manuelle, zeitintensive Tätigkeiten durch sogenannte Softwareroboter automatisiert ausgeführt. Auch die Implementierung moderner digitaler Kommunikationstools geht schleichend und weniger disruptiv voran, als es die Werbeprospekte der großen Technologieanbieter suggerieren.

Die Arbeit der Beschäftigten ist von digitalen Tools geprägt und verändert sich kontinuierlich. Einzelne Tätigkeiten fallen weg, neue kommen hinzu. Der von Betriebsräten diagnostizierte Befund, dass ein langfristiger Trend in Richtung Reduktion der Arbeitskräfte bereits sichtbar wird, ist auf der Seite der individuellen Beschäftigten aufgrund des schleichenden Wandels aber nicht in dieser Deutlichkeit wahrnehmbar. Die Verwendung einzelner Anwendungen ist in den meisten Fällen unumgänglich. Über die größten Spielräume verfügen die Beschäftigen bei den Kommunikationstools. Bei anderen Systemen, wie zum Beispiel ERP-Systemen, ist eine Nicht-Verwendung de facto unmöglich.

Schleichender Wandel der Arbeitsbedingungen

Obwohl viele digitale Anwendungen keine grundlegenden Neuentwicklungen darstellen, sehen wir, dass die digitale Durchdringung des Arbeitsalltags starke Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten hat.

Wir sehen kontinuierlichen Lernaufwand in Form von Schulungen und Learning by Doing. Dieses stetige neu Erlernen von Anwendungen wird von Beschäftigten auch als belastend beschrieben. Teilweise kommt es auch zu Überforderungen aufgrund der parallelen Nutzung vieler unterschiedlicher Programme. Außerdem zeigt sich eine Verdichtung von Arbeit: Dort, wo Tätigkeiten beschleunigt werden oder Aufgaben wegfallen, kommen neue hinzu. So sehen wir eine Zunahme von zum Beispiel administrativen Aufgaben, die vorher in eigenen Abteilungen gemacht wurden. Man denke an Reiseabrechnungen und Controlling-Aufgaben, die durch die Unterstützung von Software nunmehr auch von nicht spezifisch ausgebildetem Personal durchgeführt werden können. Nichtsdestotrotz gilt auch hier: Die Beschäftigten müssen ihr Wissen erweitern. Darüber hinaus berichten Beschäftigte von eingeschränkten Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, insbesondere dann, wenn ihre Tätigkeiten sehr eng an Programme gebunden sind, wie wir es etwa bei Workflow-Systemen sehen. Hier kommt es auch zu Erfahrungen einer Dequalifizierung.

Der Umgang mit dem Wandel der Arbeitsbedingungen ist stark individualisiert. In betriebliche kollektive Gremien hat dieses Thema noch keinen Eingang gefunden. Auch die Beschäftigten beschreiben, dass es keinen Austausch zum individuellen Umgang mit der digitalen Transformation gibt. Dies zeigt sich markant bei den Themen Homeoffice und mobile Arbeit. Beschäftigte berichten von mitunter schmerzhaften Lernerfahrungen im Umgang mit mobilen Kommunikationstechnologien und einem Prozess des Lernens, was die Trennung von Arbeit und Freizeit betrifft. Unterstützung durch Arbeitgeber oder – so vorhanden – Betriebsrat wird nicht erwartet. Die Beschäftigten gehen davon aus, dass sie ihren individuellen Weg im Umgang mit den Technologien selbst finden müssen. Die Chancen eines kollektiven Austauschs werden nicht gesehen.

Direkte Mitgestaltung da, wo sie das Unternehmen braucht

Direkte Mitgestaltung der Beschäftigten bei Prozessen der digitalen Transformation ist vom Management durchaus gewünscht. Die Rahmenbedingungen werden jedoch von Führungskräften vorgegeben, und die Prozesse sind top-down gesteuert. Die Möglichkeiten, Ideen in den Entwicklungs- und Einführungsprozessen von Technologien einzubringen, stehen den Beschäftigten in sehr unterschiedlichem Ausmaß zur Verfügung. Häufig werden Beschäftigte in ihrer Rolle als Expert*innen in Prozesse einbezogen. So werden beispielsweise Vertreter*innen unterschiedlicher Abteilungen bestimmt, die sich stellvertretend in die Gestaltung einbringen, in anderen Fällen können Beschäftigte Feedback abgeben oder sogar bottom-up vorschlagen, welche Bereiche überhaupt zur Digitalisierung und Automatisierung geeignet sind. Diese Ideenpools sind mitunter auch mit Bonuszahlungen im Falle einer Umsetzung verbunden.

Klar ist, welche Ziele mit der digitalen Transformation verfolgt werden, liegt immer im Ermessen des Managements. Die Einbeziehung der Beschäftigten hat auch die Funktion, die Akzeptanz für Prozesse in der Belegschaft zu erhöhen, und darf nicht mit kollektiven Formen der betrieblichen Mitbestimmung gleichgesetzt werden.

Kontakt zur IT-Abteilung als Schlüssel zur Mitbestimmung

In Betrieben mit Betriebsrat sind Betriebsvereinbarungen ein zentrales Mittel, um Rahmenbedingungen für Digitalisierungsprozesse festzulegen. Besondere Bedeutung haben dabei die sogenannten Rahmen-Betriebsvereinbarungen, die die Grundlagen der Dos and Don’ts festschreiben. Von Rechts wegen muss der Betriebsrat bei Entscheidungen rund um die Themen Datenschutz und Datensicherheit und bei individueller Leistungskontrolle einbezogen werden.

Bis es jedoch dazu kommen kann, dass Betriebsräte die Interessen der Beschäftigten in Bezug auf die Implementierung spezifischer Technologien in Verhandlungen mit dem Unternehmen erfolgreich einbringen können, ist es ein weiter Weg. Der Schlüssel ist größtmögliches Know-how zu den geplanten und aktuellen Entwicklungen im Unternehmen. In den untersuchten Unternehmen finden sich unterschiedliche Muster der Informationsgewinnung. Da es selten formalisierte Abläufe in Form von Gremien gibt, sind Betriebsräte oft auf engen informellen Austausch mit IT-Abteilungen angewiesen. Wir sehen auch, dass Beschäftigte aus IT-Abteilungen durchaus proaktiv auf den Betriebsrat zugehen, etwa wenn neue Technologien vor der Einführung stehen. Zwischen Betriebsrat und IT-Abteilungen gibt es oft über lange Zeit etablierte informelle und regelmäßige Treffen, bei denen man sich über aktuelle Entwicklungen austauscht. Als problematisch wird geschildert, dass diese Kontakte zunehmend wegbrechen: Outsourcing der IT-Abteilungen oder hohe Fluktuation machen den Aufbau solcher vertrauensvoller Kontakte schwer.

Ableitungen für betriebliche Praxis

Für die betriebliche Praxis lässt sich festhalten, dass die Entwicklung, Einführung und auch der spezifische Umgang mit digitalen Technologien mitgestaltbar sind. Wir sehen jedoch auch, dass die Möglichkeiten der Arbeitnehmer*innen eingeschränkt sind. Die grundlegenden Entscheidungen verbleiben beim Management, das Beschäftigte proaktiv einbezieht, wenn deren Expertise gebraucht wird, um Innovation zu fördern und Digitalisierung voranzutreiben.

In der betrieblichen Praxis gilt es darauf zu achten, dass darüber hinaus Formen echter kollektiver Mitbestimmung etabliert werden. Um früh und regelmäßig informiert zu werden und um ausreichend technische Expertise aufzubauen, ist eine gute Verbindung zu den IT-Abteilungen empfehlenswert. Von großem Nutzen ist es, wenn Personen mit IT-Kenntnissen für das Betriebsratsgremium rekrutiert werden. Ziel muss die formalisierte Einbindung in betriebliche Entscheidungsprozesse rund um digitale Technologien sein. Z. B. in Form von regelmäßigen Gremien, in denen Management, IT und Beschäftigtenvertreter*innen zusammenarbeiten. Eine gute Hilfestellung bietet auch der Leitfaden Arbeitswelt 4.1 Aspekte der Digitalisierung für Betriebsräte der GPA djp.

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